Sie gehören zum Fernsehen wie die Mainzelmännchen und das Wort zum Sonntag: die Quotenmeldungen! Viel mehr als das Kino-Box-Office steht die TV-Einschaltquote für etwas Geteiltes, über das am nächsten Tag gesprochen wird in den Kantinen und Büros des Landes. Was die Amerikaner als „watercooler moment“ bezeichnen, gehört zu den drohenden Verlusten des Streamingzeitalters, in dem das Gespräch über Gesehenes durch Ungleichzeitigkeiten und Spoilerwarnungen schwer behindert wird. So ist es eine Meldung wert, wenn mal über zehn Millionen Leute noch gleichzeitig etwas gucken.
Im Fall der BBC-Serie Bodyguard waren es sogar 10,4 Millionen, die deren finale sechste Episode „linear“ schauten. In Deutschland machte zuletzt Babylon Berlin Schlagzeilen mit 7,8 Millionen Zuschauern – allerdings nur für die ersten Episoden, inzwischen sind die Quoten runter auf knapp 4,3. Bodyguard dagegen, darin eben zeigten sich die altmodischen „Straßenfeger“-Qualitäten der Serie, steigerte seine Anhängerschaft von Folge zu Folge.
Die Feststellung, dass die Geschichte des Afghanistan-Kriegsveteranen, der den Personenschutz einer ihm verhassten Innenministerin übernehmen muss, „spannend“ ist, klingt vergleichsweise nichtssagend. Denn der Suspense steigert sich gleich in der ersten Folge zu etwas geradezu Physischem, etwas Vordere-Stuhlkante-Zähneklappern-Mäßigem. Nicht nur, dass hier eine Bombe in einem Zug zuerst gefunden und dann entschärft werden muss, man hat mit Richard Maddens David gleich den Helden vor Augen, den man wirklich noch siegen sehen will. Und so verwirrend es später wird mit Terroristen-, Mafiosi- und Polit-Intrigen, so unbedingt bleibt da die Identifikation mit diesem David Budd.
Ein solches Charisma hätte man Richard Madden, der als Robb Stark in Game of Thrones eine damals nur kurz schmerzende Lücke hinterließ, nicht unbedingt zugetraut. In Bodyguard spricht er mit seinem heimatlichen schottischen Akzent, der allein schon die Mühe des Untertitel-Lesens wettmacht. Und er verkörpert eben einen jener echten Helden, wie man sie von früher, vor der Antihero-Phase, kennt: ein aufrechter good guy, dessen persönliche Probleme noch irgendwie altruistisch wirken. Er fesselt mit seiner aufmerksamen und sich kümmernden Art vom ersten Augenblick an, in dem er als Vater zweier kleiner Kinder im bombenbedrohten Vorortzug das Kommando übernimmt und dabei nach allen Seiten, auch zu der der Täter hin, so entschieden wie respektvoll auftritt. Wie gesagt, von da ab wünscht man ihm nur Gutes, in diesem Meer des Bösen.
Ganz ähnlich wie Line of Duty, der Serie, mit der sich Autor und Regisseur Jed Mercurio einen Namen machte, besteht Bodyguard aus einer gut austarierten Mischung von hanebüchenen und vertrauten Elementen. Zum Spiel damit gehört fiktive Gegenwart der Handlung, in der es den Irak-Krieg gab, aber kein Brexit-Referendum. Hanebüchen ist die nahezu absurde Anhäufung von Ereignissen wie Anschlägen und Intrigen; vertraut dagegen erscheinen die Figur der taffen Politikerin mit Anlehnungsbedürftigkeit und der Held mit PTSD, der sich selbst nicht helfen kann.
Ma’am statt Sir
Gleichzeitig hanebüchen und vertraut ist allerdings die erotische Spannung, die sich in Bodyguard zwischen der Ministerin und ihrem Personenschutz ergibt. Sicher, irgendwann rettet er ihr auch das Leben, aber zuvor gibt es da noch eine Szene, die in verhaltener Weise fast noch mehr Sex-Appeal aussendet: Als eine schusselige Assistentin der Ministerin kurz vor einem TV-Auftritt Kaffee über die Bluse schüttet, zieht David kurz entschlossen sein eigenes weißes Hemd aus mit dem Hinweis, um die Schultern herum müsse es passen. Dabei ist das nur eine Szene von vielen, in denen die Serie unplakativ, aber konsequent den alltäglichen TV-Sexismus unterläuft. Man muss eigens darauf achten, um zu realisieren, dass in den Nebenrollen, auch den dafür untypischen wie Schaffner und Scharfschütze, verblüffend viele Frauen besetzt sind. David ist von lauter aktiv handelnden Frauenfiguren umgeben: Da ist nicht nur die Politikerin, die er schützen soll, sondern auch seine engste Kollegin, seine Vorgesetzte und deren Chefin. Es dürfte die erste Serie sein, in der man öfter die Respektanrede „Ma’am“ hört als das altbekannte „Sir“.
Info
Bodyguard Jed Mercurio Sechs Folgen, seit 25. Oktober auf Netflix
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