Ich möchte ein Eisbär sein

IM KINO Pepe Danquarts Dokumentarfilm »Heimspiel«

Der klassische Sportfilm handelt von den Tugenden, die zum Sieg führen - wie auf der Berlinale von Oliver Stone mit Any given Sunday wieder vorgeführt. In der Regel sind das Dinge wie Teamgeist, Ehrgeiz in der richtigen Dosierung, Disziplin und so weiter. Stets muss erst etwas über das Leben gelernt werden, bevor gesiegt wird. Sportfilme sind so gesehen moderne Varianten des Entwicklungsromans: Der Sport als Projektionsfläche menschlicher Existenz.

Auch Pepe Danquarts Heimspiel handelt vom Sport als Projektionsfläche. Aber auf ganz andere Weise, und das nicht nur, weil es ein Dokumentarfilm ist. Es geht um eine Eishockeymannschaft im Osten Berlins und deren Anhänger, die, obwohl der Verein sich inzwischen »Eisbären« nennt, wenn es darauf ankommt, immer noch lieber »Dy-na-mo« skandieren. Einst bildete der SC Dynamo Berlin zusammen mit Dynamo Weißwasser die kleinste Eishockeyliga der Welt, denn 1971 waren in der DDR bis auf diese zwei alle Eishockeyclubs aufgelöst worden. Zu wenig Medaillenchancen für zu viel Personal- und Materialaufwand, hatten die Funktionäre beschlossen und es ist ausgerechnet dem persönlichen Einsatz Mielkes zu verdanken, dass immerhin diese beiden Clubs weiter existieren durften. Doch Mielke ist natürlich nicht der Grund, dass die »Eisbären« mittlerweile das erlangt haben, was man »Kultstatus« nennt. An einer besonders schönen Stelle des Films versucht einer der Spieler, wie der übergroße Teil der Mannschaft von jenseits des Ozeans stammend, das Phänomen des Dynamo-Kultes zu beschreiben. Es sei wie mit Grateful Dead. Was heißen soll: eine eingeschworene Gemeinschaft, die sich, für Außenstehende ganz unverständlich, auf besondere Weise über etwas einig ist.

Warum das so ist, und worüber man sich hier einig ist, liegt auf der Hand und wird im Film benannt. Der einstigen großen Sportnation DDR seien ganze drei Mannschaften geblieben: Die Magdeburger Handballer, die Rostocker Fussballer und eben die Eisbären. Es sind vor allem Mannschaftssportarten, die als Projektionsfläche für nationale Identitäten herhalten. Sie bieten auf ihren Spielplätzen das ideale Terrain zum Uminterpretieren erlebter Geschichte. Ein Sieg der Eishockeymannschaft aus Hohenschönhausen, vor allem einer gegen die direkte Konkurrenz aus dem Westen Berlins, den »Capitals«, ist Labsal für die wunden Seelen der Fans aus dem Osten; jedesmal eine kleine Wiedergutmachung dafür, dass man sich hier mehr oder weniger untergründig auf der Verliererseite wähnt.

Danquarts Film ist weniger ein Film über den Eishockeysport. Spiele werden nur in kurzen, für wenige Momente mitreißenden Sequenzen gezeigt. Als Laie begreift man nicht so recht, was hier gespielt wird; man staunt über die Schnelligkeit der Spielzüge und die aufwendige Montur der Spieler. Doch dieser Mangel an Einführung in Reglement und Taktiken ist nicht unbedingt ein Nachteil. Danquart geht es um die Fans. Und das bedeutet: um Liebe. Um jene Art von Liebe, die manchmal Suchtcharakter annimmt und eher einer Obsession gleicht. Ohne die gezeigten Fans je der Lächerlichkeit preiszugeben und im übrigen auch ohne ermüdende Soziologien gelingt es Heimspiel, ein Stück sozialer und psychischer Realität einzufangen.

Denn die Liebe der Fans ist distanzlos, das macht ihr Wesen aus. Man liebt nicht einfach ein Team, das erfolgreich ist, man identifiziert sich mit einer Mannschaft und liebt darin ein Bild seiner selbst: das eher ungeliebte eigene ich wird als geliebtes anderes erlebt, verkannt und überschätzt zugleich. Bei Siegen ist das beglückend und bei Niederlagen ist man nicht allein. Das ist das Gute am Sport. Es sind dazu noch die historischen Konstellationen zehn Jahre nach der Wende, die den Eisbären und ihren Fans wahre Sternstunden der Liebe bescheren. In Danquarts Film ist das ein schöner Anblick.

Letzteres vielleicht gerade deshalb, weil diese Überidentifikation der Ostfans mit ihrer Ostmannschaft im Grunde auf kuriosen Konstruktionen fußt. Nicht nur, dass der Manager deutlich hörbar aus dem Westen stammt, auch die Spieler sind vorwiegend kanadischer und skandinavischer Herkunft, die gemeinsame Sprache in der Kabine ist englisch. Geht sonst in allen Sportarten die Klage um, dass die Kommerzialisierung, der gewinnträchtige Ein- und Verkauf von Spielern, die traditionelle lokale Anbindung der Vereine auflöst, so zeigt Danquarts Dokumentarfilm die Eisbären als ein Beispiel dafür, wie unirritierbar diese Form von Lokalpatriotismus letztlich ist.

Das schönste am Sport aber ist, dass das Liebesobjekt doch stets eines der Wahl bleibt und nicht zwingend an Herkunft gebunden ist. Wie es in Köln Anhänger des FC Bayern gibt und eventuell sogar in München Menschen, deren Herz für Hertha schlägt, so muss man nicht in Hohenschönhausen geboren sein, um Eisbärenfan zu werden. Doch ganz beliebig kann die Wahl nicht sein, da die obsessive Liebe immer auch eine Aussage über den Liebenden selbst beinhaltet und so, auf welche Weise auch immer, die eigene Herkunft spiegelt.

Den besonderen Charme von Danquarts Film macht aus, dass man sich, egal woher man kommt, nicht ausgeschlossen fühlt. Heimspiel ist ein Dokumentarfilm mit Verführungskraft: plötzlich ertappt man sich dabei, das Lokalderby der Berliner Eishockeymannschaften zu verfolgen und dem Ergebnis alles andere als gleichgültig zu begegnen. Auch eine Art Lektion fürs Leben.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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