Eines haben die Macher von Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels auf jeden Fall geschafft: Selten war im Vorfeld einer Premiere so wenig über die Handlung nach außen gedrungen. Wie ein Staatsgeheimnis wurden die Details des Films gehütet. Man wusste nur: Es geht um einen Kristallschädel, und Indiana Jones wird einen Sohn haben, verkörpert von Shia LaBeouf, woraus man schließen konnte, dass die Geschichte nun etwa 20 Jahre später einsetzen, also Ende der fünfziger Jahre spielen würde. Als Mutter des Jungen würde Karen Allen, die Partnerin des ersten Teils, wieder auftauchen.
Fast könnte man sagen: Damit ist das Wesentliche dieses Films schon erzählt. Wer darüber enttäuscht ist, missversteht wahrscheinlich das Projekt. Regisseur Steven Spielberg, Produzent George Lucas und Hauptdarsteller Harrison Ford nämlich sind dafür angetreten, alles zu machen wie gehabt. Schließlich sei man das Original, beteuerten sie gutgelaunt auf der Pressekonferenz in Cannes, da habe man es nicht nötig, die vielen Nachahmer, die es im letzten Vierteljahrhundert gegeben hat, übertreffen zu wollen.
Das Original also stellt sich erst mal mit den eigenen Markenzeichen vor: Indiana Jones, das ist der Mann mit der Peitsche und dem Hut. Die ersten Szenen des Films führen in jenes Geheimlager der US-Regierung, in dem, wir erinnern uns, im letzten Teil auch die Kiste mit der Bundeslade deponiert wurde, auf dass niemand falschen Gebrauch davon mache. Auf eine andere Kiste unter den zu Tausenden dort gestapelten haben es nun die Russen - wir befinden uns im Jahr 1957, also im Kalten Krieg - abgesehen. Unter der Führung einer Militärwissenschaftlerin, gespielt von Cate Blanchett, haben sie Indiana Jones gekapert, um sich von ihm bei der Suche helfen zu lassen. Der Zuschauer sieht zuerst nur seinen Hut im Staub, dann einen Mann im Schattenriss, der sich den Hut auf den Kopf setzt. Wenig später kommt die Peitsche zum Einsatz. Nach 15 Minuten Film ist die Welt der Fans durchaus noch in Ordnung.
Nur leider geht es danach immer so weiter: Statt neuer Handlung gibt es Versatzstücke aus alten Filmen. Die Suche nach dem Kristallschädel, auf den es die Russen so abgesehen haben, sie besteht aus den üblichen Verfolgungsjagden und den gewohnt auswegslosen Situationen, aus denen "Indy" sich jedes Mal aufs Neue mit Stiefeltritt und Fausteinsatz herausprügelt. Zusammen mit Marion (Karen Allen), ihrem Sohn Mutt (Shia LaBeouf) und dem unzuverlässigen Kollegen Mac (Ray Winstone), der mehrfach die Seiten wechselt, müssen sie einen Dschungel voller gefräßiger Riesenameisen und mehrerer Wasserfälle überwinden, um schließlich zum vergrabenen Tempel zu kommen. Der verwandelt sich wie üblich sofort bei Betreten in eine Art steinernes Mobile, das beim Verrücken eines Steines in komplexen Folgereaktionen die Form einer tödlichen Falle annimmt.
Immerhin muss man zugestehen, dass das Alter bei Harrison Ford nicht allzu sichtbare Spuren hinterlassen hat. Als "Indy" macht er eine gute Figur, denn altmodisch war der Charakter schon immer. Shia LaBeouf als sein Sohn aber bekommt leider keine tragende Rolle, sondern hinterlässt den Eindruck, man habe ihn als Typ nur eingeführt, um ihn in Teil V dann richtig zur Geltung kommen zu lassen. Die revolutionärste Neuerung von Teil IV besteht derweil darin, dass der Bösewicht eine Frau ist: Cate Blanchett - die auf der Pressekonferenz bekannte, sie habe immer davon geträumt, selbst Indiana Jones zu sein - spielt jene Sorte eiserner Lady, die die westliche Kalte-Kriegs-Mythologie so gern auf sowjetischer Seite phantasiert hat: ein bisschen Maschinenmensch, ein bisschen Blaustrumpf und jede Menge auf sibirische Temperaturen heruntergekühlten Sex-Appeal. Trotzdem hat man den ganzen Film hindurch das Gefühl: Das war alles schon mal da, und zwar besser.
Denn entgegen der vollmundigen Ankündigung der Macher bietet Indiana Jones IV nicht die versprochene Rückkehr zu den guten, alten Tugenden des Abenteuerfilms mit Konzentration auf "Storytelling" statt "Special Effect". Im Gegenteil, der Film leidet genau unter dem Syndrom, das alle Actionfilme heute plagt: Dem Zuviel an digitalen Zaubereien steht ein Zuwenig an Witz im Drehbuch gegenüber. Vielleicht liegt es auch in der Natur der Sache: Die Figuren haben sich einfach nichts Neues zu sagen, ihre selbstbezüglichen Dialoge haben den Unterhaltungswert von Stammtischanekdoten. Die Handlung ist nicht nur holprig erzählt, sondern auch voller logischer Löcher und Widersprüche, von Wahrscheinlichkeit wollen wir gar nicht sprechen. War das schon immer so? In der spektakulärsten Szene überlebt "Indy" einen Atomtest, indem er sich in einem Kühlschrank verbarrikadiert, das lässt man sich ja noch allein wegen des Schauwerts gefallen. Aber wie ein russischer Sondereingreiftrupp es geschafft hat, im Jahre 1957 nach Nevada zu kommen, in voller Uniform, das hätte man an doch gerne ansatzweise erklärt gehabt.
Zum Abschluss ein paar Zahlen: Der erste Indiana Jones, Jäger des verlorenen Schatzes, kam 1981 in die Kinos; sein Budget betrug 18 Millionen Dollar, eingespielt hat er 384 Millionen weltweit. Hauptdarsteller Harrison Ford war 38 und Regisseur Steven Spielberg sogar erst 34. Indiana Jones IV nun soll mindestens 180 Millionen Dollar gekostet haben, man rechnet angeblich mit zwei Milliarden weltweitem Einspiel-Ergebnis. Ford hat mit 65 das offizielle Rentenalter erreicht und Spielberg könnte mit seinen 61 in die verdiente Frühpension gehen.
Warum sie das nicht getan hätten, wurden sowohl Ford als auch Spielberg rund um die Premiere in Cannes immer wieder gefragt. Ford gab zu, an seiner Rolle als "Indy" zu hängen, die seine Karriere bestimmt habe. Steven Spielberg bekannte, Ford habe ihn über lange Jahre erst überreden müssen. Aber es sei ihm etwas aufgefallen: Niemand habe ihn je nach einem zweiten Teil von A. I. oder Amistad gefragt, wegen einer Fortsetzung von Indiana Jones - und von E.T. - aber habe man ihm ständig in den Ohren gelegen. Indiana Jones IV, das wollten beide gewissermaßen auch als Service für die Fans verstehen. Ob sie denen damit wirklich einen Gefallen getan haben?
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