Intellektuell ist monströs

Im Kino Ein Porträt des Philosophen Slavoj Zizek als intensiv schwitzender Denker

Man darf da nichts beschönigen: Der Slowene Slavoj Zizek ist nicht gerade das, was man sich unter einem "Rockstar" vorstellt. Vielmehr handelt es sich bei ihm um einen waschechten Intellektuellen mit all den damit verbundenen äußerlichen Begleiterscheinungen: Dicklich, bärtig, das Hemd stets leicht verrutscht und mit beeindruckenden Ringen unter den Augen, die auf regelmäßigen Schlafentzug hindeuten. Außerdem kommt er beim Reden leicht ins Schwitzen und fasst sich unangenehm oft ohne Taschentuch an die eigene Nase. Seinen Ruf als "Rockstar der Philosophie" verdankt Zizek deshalb keinem "Styling" und keiner Pose, sondern tatsächlich seinem Denken, das Wirkungen erzeugt, die den dröhnenden Bass-Riffs des "Heavy Metal" vergleichbar sind: Seine oft paradoxen Thesen - "Die Liebe ist das Böse!" lösen nicht nur im Kopf Schwingungen aus.

Astra Taylors filmisches Porträt Zizek! fängt dementsprechend stimmig an: Vor dem Hintergrund eines Universitätsgebäudes redet Zizek in die Kamera und sagt Dinge wie "Was wir Schöpfung nennen, ist eigentlich kosmisches Ungleichgewicht, durch einen Fehler entstanden". Augenblicklich wird klar, was diesen Mann so besonders macht: Es ist die Intensität, mit der er spricht. Sein nahezu fehlerfreies Englisch hat einen harten slowenischen Akzent, gerne wird er laut und unterstreicht das Gesagte mit heftigen Armbewegungen und Augenrollen. Unwillkürlich ist man versucht, vor diesem Denken mit vollem Körpereinsatz in Deckung zu gehen.

Dass Sloweniens berühmtester Philosoph einst auch politischen Ehrgeiz an den Tag legte, erfährt man in diesem Film wie nebenbei. 1990, bei den ersten Mehr-Parteien-Wahlen im Land kandidierte Zizek für den Präsidentenrat. Im Film erzählt er von der damaligen Fernsehdebatte mit den übrigen 12 Kandidaten; er habe naturgemäß viel geredet, so dass ein Konservativer sich dazu hinreißen ließ, folgende Bemerkung zu machen: Zweifellos sind Sie der Intelligenteste von uns allen, aber lassen Sie uns doch auch mal zu Wort kommen. Er sei wegen dieses Eingeständnisses seiner geistigen Überlegenheit fast gewählt worden, meint Zizek. Der Zuschauer von heute, belehrt durch die zweimalige Bush-Wahl, mag da anders denken: Jemanden als besonders klug zu bezeichnen ist in den Medien ein erprobtes Mittel, ihn der Lächerlichkeit Preis zu geben.

Die große Stärke dieses an sich ganz unscheinbaren Dokumentarfilms besteht genau darin, solche Überlegungen zuzulassen. Man sieht den faszinierenden Denker bei seiner Arbeit, man sieht aber auch ein paar seiner Beschränktheiten. Der 28-jährigen Regisseurin gelingt das Kunststück des Mittelwegs zwischen Verehrung und Entlarvung. Sie hat den Philosophen auf Vortragsreisen nach Argentinien und in die USA begleitet und Zuhause in Ljubljana besucht. Vor ihrer Kamera wiederholt er einige seiner wichtigsten Denkfiguren. Etwa dass, wo Freud noch von den inneren Zwängen befreien wollte, die den Einzelnen davon abhielten zu genießen, es heute im Spätkapitalismus darauf ankomme, sich vom Zwang zum permanenten Genießen zu befreien. Oder dass wir entgegen landläufiger Annahmen gar nicht im Zeitalter des Zynismus leben. Mit erfrischender Lust an Paradoxien bricht Zizek immer wieder vertraute Wahrnehmungen auf. Das Neue und Pointenhafte daran macht regelrecht süchtig.

Mit viel Geschick setzt Astra Taylor die diskreten Mittel des Dokfilms gleichzeitig dazu ein, etwas von der Person hinter diesem Denken sichtbar zu machen. Es reicht, die Kamera schon laufen zu lassen, bevor er dessen gewahr ist und man sieht den souveränen Dirigenten einer Selbstinszenierung, der auf Knopfdruck loslegen kann. Szenen auf dem Weg zur Vorlesung zeigen ihn als gespaltene Persönlichkeit, die einerseits mit fast unterwürfiger Freundlichkeit Autogramme gibt und andererseits hinterher zur Regisseurin sagt: "Ich hasse das, ich hasse das." Und wenn er anhand alter Fernsehaufnahmen sein Idol Lacan dafür kritisiert, mit theatralen Gesten Bedeutung zu heucheln, wird einem bewusst, dass die Meister der Bobachtung oft blind sind für die eigene Erscheinung. Oder auch nicht: In einer Szene filmt ihn die Regisseurin im Bett liegend, den haarigen Oberkörper entblößt, Zizek redet über das Philosophieren im Allgemeinen. Es ist, als ob er selbst Spaß habe beim Austesten dessen, ab wann die Lächerlichkeit einer Lage die Ernsthaftigkeit seines Redens zu beeinträchtigen beginnt.

Eine der erhellendsten Szenen diesbezüglich spielt sich in einer amerikanischen Late-Night-Talkshow ab, in die Zizek geladen wurde. Dem TV-Moderator klappern förmlich die Zähne vor Angst: Die Unaussprechlichkeit des Namens und der Geburtstadt, die Komplexität des Themas, die ungeschlachte Gestalt des schlecht frisierten Osteuropäers, das alles passt so wenig in die amerikanische Fernsehwelt, dass der Moderator sich nicht anders zu helfen weiß, als über das eigene Unverständnis und Befremden Witze zu reißen - und dabei insgeheim seinen Gesprächspartner herabzuwürdigen. Doch Zizek konterkariert ihn sofort: Er bevorzuge die falsche Aussprache seines Namens, die richtige bestärke nur seine Paranoia. Und sein Buch habe er in der Absicht geschrieben, dass selbst die Großmutter des Moderators Lacan verstehen lerne. Nun hat Zizek die Lacher auf seiner Seite. Dann beginnt er mit einem einfachen Beispiel zu erklären: Früher hätte ein normal autoritärer Vater seinen Sohn zum Besuch der kranken Großmutter gezwungen und zusätzlich noch von ihm gefordert, sich "anständig zu benehmen". Die liberalen antiautoritären Eltern von heute stellen ihren Kindern solche Besuche frei und weisen lediglich darauf hin, dass die Großmutter sie sehr liebt und sich wahnsinnig freuen würde. Jedes Kind kapiert, wo der größere Zwang ausgeübt wird. Selbst der TV-Moderator beteuert, nun etwas verstanden zu haben.

Der Ausschnitt könnte kaum deutlicher zeigen, dass der Begriff "Medienintellektueller" ein Widerspruch in sich ist: Intellektuell sein, das führt dieses Philosophen-Porträt klar vor Augen, ist absolut antimedial. Und Zizeks eigene Sorge, seine Popularität könne verhindern, dass man ihn ernst nehme, scheint angesichts seines Hardcore-Exzentrikertums ebenfalls unbegründet.


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