Iss den Ortolan

Ein-Prozent-Serien Reichsein ist auch nicht mehr das, was es mal war
Ausgabe 38/2018

Sie sind ein Dauerbrenner des Fernsehprogramms, und das sogar schon vor den Tagen von Dallas oder Dynasty: Serien über reiche Leute. Genauer gesagt: über reiche Leute, die sich schlecht benehmen. Schaut man sich aktuelle Serien über das „one percent“ an, wie sie nun seit dem Crash heißen, merkt man deutlich, dass auch das Reichsein heute nicht mehr dasselbe wie früher ist.

Man nehme etwa die Showtime-Serie Billions, die in diesem Jahr in die dritte Staffel ging, und das auf HBO im Juni neu gestartete Succession (in Deutschland beide auf Sky Atlantic). Beide Serien sind im Umfeld der Wall Street angesiedelt. Erstere schildert das epische Duell zwischen einem Hedgefonds-Manager und einem Staatsanwalt, der ihn hinter Gitter bringen will. In Succession steht eine den Murdochs nachempfundene Familie im Zentrum, in der ein alternder Patriarch die Zügel seines gigantischen Medienkonglomerats nicht an seine unfähigen Erben übergeben mag.

Wie es sich gehört für heutiges Quality-TV, hat man in beiden Serien Schwierigkeiten, sympathische Figuren zu entdecken, von „guten“ ganz zu schweigen. Aber es ist nicht mehr das Soap-Element oder die „Geld macht nicht glücklich“-Trivialität, die den Zuschauer fesselt. Wobei in beiden Serien der Reichtum als solcher durchaus ausgestellt wird: die großzügig geschnittenen Wohnungen mit ihren leer geräumten Flächen (mit Zeugs vollgestopfte Wohnungen sind heutzutage ein sicheres Zeichen für Armut), die Fortbewegungsarten mit Chauffeur und, wenn’s sein muss, auch per Helikopter; es geht stets auch um das Lebensgefühl des „one percent“, darum, „wie sie ticken“. Darin allerdings unterscheiden sie sich deutlich von ihren Vorbildern aus den Vor-Crash-Jahren.

Wo sich Reichsein dem Klischee nach einst in Freizeitgestaltung ausdrückte, in Jachten, „exotischen“ Ferienorten und Drinks am Swimmingpool, bleibt dem „one percent“ von heute – wir reden hier von seiner fiktionalen Repräsentation – dafür kaum mehr Zeit. Wie überhaupt der Wohlstand nicht mehr zu Müßiggang führt, sondern sein eigenes Hamsterrad generiert, in dem ständig etwas für das Geld getan werden muss. Mit einem Interesse an nerdigen Details, das vor dem Crash und der Popularisierung von Unverständlichkeiten wie „Credit Default Swaps“ noch unvorstellbar war, inszenieren die Serien diese Alltagslast der Aufsichtsratsversammlungen und Projektpräsentationen auch. Man kann es vielleicht nicht unbedingt Arbeit nennen, das „wheeling and dealing“, mit dem das „one percent“ seine Tage füllt, aber es ist sehr viel mehr reale Tätigkeit als das reine Ränkeschmieden von einst.

Sie wissen um ihre Dekadenz

So sind die „trades“, die sich die Angestellten in Billions ausdenken, zwar erfunden, aber die Mischung aus Sportsgeist und Gier, mit der sie stur der nächsten Aktienwette hinterherjagen, scheint ausgesprochen gut getroffen. Eine sich ankündigende Katastrophe wie eine Tsunami-Warnung für die Küste Brasiliens löst bei ihnen hektische Betriebsamkeit aus – aber keine ihrer heiß diskutierten Strategien schließt Sorge um die dort Betroffenen mit ein. Die Bereitschaft, „Bauern“ zu opfern, zeichnet aber genauso die Gegenseite aus. In Billions geht die Staatsanwaltschaft, die doch für die gute Sache und gegen Insider-Trading kämpft, nicht weniger zimperlich vor.

Das spannende Moment an Billions ist dabei nicht die Entlarvung des Börsen- und des Justizgeschäfts als gleichermaßen skrupellos – im Gegenteil, das wird wie ein Naturgesetz hingenommen –, sondern der analytische Blick, mit dem die Serie die Arten und Weisen herausstellt, wie Reichtum „performt“ wird. Wie die Wohnungen mit ihren leeren Oberflächen zeigt sich Reichtum gewissermaßen immer als Funktion der Armut, bleibt in der Absetzbewegung auf sie bezogen. Der wahre Luxus ist nicht ein teures Lokal, es ist die Exklusivität, von einem „einfachen“ Pizzabäcker bevorzugt behandelt zu werden. Oder ein Restaurant samt seinem Chefkoch (Billions ist reich an Cameos der echten New Yorker „One percent“-Welt) allein für sich zu haben – und eine exklusive Spezialität zu genießen. Wer es noch nicht wusste, bekam es in Billions vorgeführt: Das exklusivste Essvergnügen heutzutage ist ein „Ortolan“, ein sehr kleiner französischer Singvogel, der in Armagnac ertränkt, gebacken und als Ganzes gegessen wird. Der Speisende verhüllt dabei seinen Kopf mit einem Tuch; es würde den Genuss intensivieren, sagen die Pragmatiker; um den dekadenten Akt vor Gottes Augen zu verbergen, sagen die Pathos-Anhänger.

Die besondere Attraktion des Ortolan-Rituals mag mit Letzterem zusammenhängen: Die „moneymaker“ der Serien sind sich der eigenen Dekadenz wohl bewusst. Aber in ihrer Welt gibt es keine Alternative – jeder Pensionsfonds, jede Stadtverwaltung muss schließlich Geld investieren. Wo Börse und Staatsanwaltschaft sich in ihren dunklen Methoden kaum unterscheiden, beginnt man als Zuschauer das Ganze als Spiel zu sehen, bei dem am Ende schlicht der Bessere gewinnen soll. Die Serie Billions setzt darauf als Hauptspannungsmoment. Wobei weniger der moralische Relativismus stört als der damit einhergehende Genie-Kult. Das Finanz-, das Justiz- und das Politgeschäft in Billions ist in der Hand von „masterminds“, ungeheuer eloquenten Strippenziehern, die vielleicht schmutzige, aber stets herausragende Arbeit leisten.

Dass sie mit genau diesem Genie-Kult bricht, macht die Serie Succession so anders – und groß. Deren Autoren haben den Glauben aufgegeben, dass im Kapitalismus besondere Fähigkeiten belohnt werden; Serienerfinder Jesse Armstrong arbeitete als Comedy-Schreiber beim britischen Politsatire-König Armando Iannucci; sein vor Jahren verfasstes Drehbuch über die Murdoch-Familie ist bislang unverfilmt, aber seine Recherchen hat er nun in die Succession-Saga einfließen lassen. Es geht um den Patriarchen Logan Roy (Brian Cox) und seine vier normal begabten, aber durch Aufwachsen im Reichtum je anders deformierten Kinder. Auch Logan selbst ist kein „mastermind“, sondern ein sturer alter Bock, umgeben von einem Ensemble aus Speichelleckern, das sich jede Beleidigung gefallen lässt, weil einfach zu viel Geld im Spiel ist.

Bezeichnenderweise gibt es auch in Succession eine Ortolan-Szene, auch da ein Initiationsakt der Zugehörigkeit zum „one percent“. Reichsein, so erklärt dabei ein zu wenig mehr als zu Schmeicheleien begabter Aufsteiger einem anderen, das bedeute, eine Art Superheld zu sein, bloß besser. Man könne tun, was man wolle, unberührt von den Autoritäten – und man könne ein „Kostüm“ tragen, und zwar eines, das von Armani entworfen worden sei.

Die verwöhnten Roy-Sprösslinge leben eine Anspruchshaltung ganz ohne das Arbeitsethos der Börsen-Genies in Billions, aber sie verfügen gleichzeitig über genug Verstand und Sensibilität, um sich dabei beständig schlecht zu fühlen. In Succession geht Reichsein einher mit einer ständigen Kette von Blamagen und Demütigungen, die aus ihnen aber keine Märtyrer, sondern Mittäter macht. Die Serie wandelt auf dem schmalen Grat zwischen böser Satire und Shakespeare. Dementsprechend finster sind die Lehren, die man aus ihr über den Stand des Kapitalismus 2018 ziehen kann: Wenn Reichsein bedeutet, dass einem die Autoritäten nichts können – dann heißt das andererseits, auf Gedeih und Verderb einem Patriarchen wie Logan Roy ausgeliefert zu sein. Darauf aber läuft Deregulierung hinaus: auf „crony capitalism“, die Willkürherrschaft alter Väter.

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