It´s a free World von Ken Loach

Kino Selbst jene, die nicht wissen, für welches Kino der Name Ken Loach steht, begreifen recht schnell, dass es sich beim Titel seines neuen Films um ...

Selbst jene, die nicht wissen, für welches Kino der Name Ken Loach steht, begreifen recht schnell, dass es sich beim Titel seines neuen Films um Ironie handeln muss. Keinesfalls geht es um "eine freie Welt", sondern um das Gegenteil: die Zwangszusammenhänge des globalen Arbeitsmarktes. "Frei", so zeigt sich im Film, ist eigentlich niemand, selbst die Ausbeuter werden ausgebeutet, aus Opfern werden Täter, die wiederum zu Opfern werden. So zwingend schildert Loach die Abhängigkeiten und Unfreiheiten, dass man sich am Ende gar fragt, ob der Titel überhaupt noch ironisch ist - oder längst pure Rhetorik.

Es beginnt mit einer - wie könnte es auch anders sein - typischen Situation: Die Arbeitsvermittlerin Angie wird entlassen und gedemütigt. Obwohl ihr Job an der Grenze zur Legalität angesiedelt schien, weil er aus der Rekrutierung von Arbeitskräften im unwirtlichen Osteuropa bestand, bedauert man die junge Frau mit der Gewissheit, dass ihr Unrecht geschehen ist. Angie gehört aber zu jener Sorte Frau, die nicht schnell aufgibt. Zurückgekehrt ins heimatliche London kommt sie auf die Idee, ihre eigene Leiharbeiterfirma aufzuziehen. Arbeitssuchende Immigranten gibt es genug, genauso wie Firmen, die willens sind, ihre Drecksarbeit für niedrige Löhne von Illegalen erledigen zu lassen. Schnell ist ein Büro in einem geeigneten Hinterhof eingerichtet und Angie düst auf dem Motorrad durch abgerissene Viertel auf der Suche nach Kunden für beide Seiten ihres Deals. Zweifel redet sie hinweg mit der Argumentation der Win-Win-Situation: Profitieren nicht alle von ihrem Tun? Die Illegalen, die an Jobs kommen, die Firmen, die an Löhnen sparen, und eben auch sie? Es ist nicht der Erfolg ihres Unternehmens, der Angie zusehends skrupelloser macht, es ist die unbewusste Einsicht, dass das so nicht stimmt. Eine Seite dieses Deals trägt hier das volle Risiko und wird oft genug auch noch direkt betrogen: die Illegalen. Ihre Schwäche muss Angie ausnutzen, um Gewinn zu haben. Als sie an einer Stelle in Streik treten, weil man sie nicht bezahlt hat, erpresst Angie sie damit, sie bekämen gar nichts, wenn sie nicht weiterarbeiteten. Freiheit sieht wirklich anders aus.

Einmal mehr gilt Loachs Hauptinteresse der Entblößung des "Systems", jenes höheren abstrakten Wesens, das die kulturelle Linke in ihren kritischen Elogen auf gewissermaßen ironische Weise anbetet. In It´s a free World aber gelingt es ihm, die politische Parabel hinter menschlichen Dimensionen zunächst weitgehend unkenntlich zu machen. Angie, gespielt von der Newcomerin Kierston Wareing, ist eine sexy Motorradbraut in schwarzer Lederkluft mit genau jener Portion Aggressivität, die auf Männer aufreizend wirkt und jener Dosis an Verletzlichkeit demonstrierendem Schmollmund, der diesen Effekt verstärkt. Ihre Haare trägt sie blond gefärbt mit deutlich sichtbaren schwarzen Ansätzen - eine Nachlässigkeit, die ihre Coolness noch betont. Ihre Energie reißt den Zuschauer von den ersten Bildern an mit und lässt ihn lange darüber hinwegsehen, wie schematisch die Versuchsanordnung doch ist, in die Loach seine Heldin schickt. Angie hat einen 11-jährigen Sohn, dem sie eine eher schlechte Mutter ist und der nun beginnt, "Schwierigkeiten zu machen" - das ist ihr privates Dilemma. Ihr Vater konfrontiert sie mit den Überzeugungen von "Old Labour". Ihre Mitbewohnerin, mit der sie die Firma gründet, fungiert als Sprachrohr eines Gewissens, das bei ihr selbst stummgeschaltet zu sein scheint.

Die Schilderung ihres Abgleitens von Amoral zur Unmoral gelingt Loach zwar überzeugend, doch gleichzeitig verlässt einen nie das Gefühl, dass der Film als Antwort auf einen Fragebogen konzipiert ist, den progressive Lehrer ihren Schülern vorsetzen: Erläutere die Darstellung von Angie im Film und wie sich ihre Wahrnehmung durch den Zuschauer während des Films verändert!

Was Ken Loach sich entgehen lässt durch das von vielen geschätzte Festhalten an der Systemkritik, ist die persönliche Dimension, die Kierston Wareing mit Verve anbietet. Wäre es gleich das Ende der Kapitalismuskritik, wenn man die Vermutung zuließe, dass Angie nicht nur aus dem Zwang der Verhältnisse so handelt, wie sie handelt, sondern auch, weil sie eine ziemlich verantwortungslose Narzisstin ist? Für Loach wahrscheinlich eine zu unironische Erkenntnis.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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