Je hässlicher, desto böser

Im Kino Zack Snyders Comic-Spektakel "300" überzeichnet die Schlacht der Spartaner gegen die Perser ins ernsthaft Lächerliche

Oft gibt es dieses bezeichnende Zögern, wenn vom Gegensatz der Hoch-Kultur die Rede ist. Das Wort "Niedrigkultur" drängt sich als Analogbildung auf, aber die meisten scheuen davor zurück, es auszusprechen. Man sagt statt dessen "Popkultur" oder, wissenschaftlicher, "Populärkultur", manchmal auch "Massenkultur" und nur sehr selten "Trivialkultur". Die Begriffsunsicherheit rührt zum einen daher, dass man kein abwertendes Wort gebrauchen will. Zum anderen haben viele Genres der Popkultur in den letzten Jahrzehnten eine derartige Aufwertung im Ernst und der Ausführlichkeit ihrer kritischen Besprechung erlebt, dass es immer schwieriger erscheint, die Grenzen zur Hochkultur klar zu bestimmen. Ein Film wie Zack Snyders 300 bringt da ein fast schon in vergessenes Gefühl in Erinnerung: Der Ruch des Unfeinen, ja sogar Unanständigen, wenn nicht gar Illegitimen, mit dem die Popkultur einst unweigerlich behaftet war.

Um so deutlicher wird dieses Gefühl, weil es in 300 um einen Stoff geht, der genau dort verankert ist, wo der Bildungsbürger die Wiege der Hochkultur ansiedelt: Im klassischen Griechenland. Frei nach Herodot erzählt 300 die Geschichte jener Schlacht bei den Thermopylen, in der die legendäre Anzahl von Spartanern sich gegen ein zigfach überlegenes Perser-Heer aufopferte, um dadurch den Rest der Griechen anzustiften, den Invasoren unter Xerxes geschlossen die Stirn zu bieten.

Frank Miller, einer der namhaftesten "auteurs" in der Kunst der graphic novels (so die Bezeichnung für den aufgewerteten Comic), hat den Stoff zu einem Comic verarbeitet und Zack Snyder hat nun aus dieser Vorlage einen Film gemacht. Dieser fühlt sich in allem Frank Millers Handschrift und in nichts Herodot oder gar der historischen Authentizität verpflichtet. Zwar agieren in 300 lebendige Schauspieler vor der Kamera, doch auf rund 1.500 Schnitte gehen im Film 1.300 "visuelle Effekte". Fast jeder Hintergrund ist digital erzeugt. Anders gesagt: Die Bilder sind durch und durch künstlich. Das beginnt mit der Farbgebung, die die Palette auf dunkle Rot-, Schwarz- und Grautöne reduziert, setzt sich fort mit artifiziellen Zeitlupen und Zeitraffern von Schlachtszenen und findet seinen Höhepunkt in viel effektvoll spritzendem Blut. In 300 geht es nicht um Echtheit, sondern um Überwältigung, um den starken Reiz, der das große Publikum in drei Gruppen teilt: In die, die anerkennend staunen, in die, die angewidert den Kopf schütteln und in die, die sich "so was" gleich gar nicht anschauen wollen.

Was "Pop-" beziehungsweise "Niedrigkultur" ausmacht, lässt sich hier bestens beobachten. Da wäre zum Beispiel die strikte Vermeidung von Subtilität: In 300 wird entweder flott deklamiert oder gebrüllt, was das Zeug hält und das stets in den tiefstmöglichen männlichen Basstönen. Zudem sind Handlung und Ausgang nicht nur vorhersehbar, sondern gleichzeitig auch in einer Weise offensichtlich, die dem Wort endlich gerecht wird. Die Hässlichen sind hier die Bösen und zwar nach dem Motto: je hässlicher desto böser. Viel böser nämlich als die feindlichen Perser, die hier in computeranimierter Masse zu den Thermopylen anmarschiert kommen, sind die Verräter in den eigenen Reihen. Jene korrupten spartanischen Priester etwa, die dem Spartaner-König Leonidas per Orakelspruch untersagen, mit seinem ganzen Heer auszuziehen - ein ekelerregender Haufen degenerierter alter Männer mit sabbernden Mündern und grässlich entstellten Gesichtern. Und Ephialtes, dessen Verrat den 300 Mannen letztlich das Leben kostet - ein buckliges, verwachsenes Männlein, neben dem der Glöckner von Notre Dame wie ein griechischer Held erscheint. Die Perser dagegen sind weniger hässlich als vielmehr dekadent gezeichnet: Ein Multikulti-Heer, in dem den verschiedensten Moden gefrönt wird, behangen und verhüllt mit exotischen Stoffen, viel Schmuck und so perversen Dingen wie Piercings. Die "Guten" aber zeigen im Gegensatz dazu viel von ihrer ehrlichen Haut: Sämtliche Spartaner tragen unter dunkelroten Capes nichts weiter als eine Art schwarze Unterhose. Die geschickte Lichtsetzung mit entsprechender digitaler Nachbearbeitung verwandelt ihre nackten Oberkörper und -schenkel in klar definierte Muskelpakete.

Im wahrsten Sinne des Wortes "überzeichnet" hat Frank Miller den antiken Stoff für seinen Comic. Zack Snyder fügt wie beschrieben dem im Film noch eine weitere Schicht dazu: Soldaten brüllen; Blut spritzt; und das Ganze ist mit pumpender Rockmusik unterlegt. Die spartanische Kampfmaschinenkultur mit ihren grausamen Auslese- und Erziehungspraktiken wird hier vollkommen ungebrochen als "starker Tobak" kredenzt. "Military porno" hat das ein amerikanischer Kritiker nicht umsonst genannt und den bereits erwähnten Ruch des Unanständigen damit ganz gut auf den Punkt gebracht.

Ansonsten zeigen die Reaktionen auf den Film einmal mehr, dass Popkultur vor allem das ist, was aus ihr vom Publikum gemacht wird. In Griechenland bricht der Film gerade sämtliche Einspielrekorde - zwei Wochen nach Start haben ihn bereits ein Drittel aller Griechen im Kino gesehen. Die Ironie dieser Begeisterung blieb dabei nicht unkommentiert, schließlich galten die Spartaner bislang auch in den griechischen Schulbüchern eher als eine Art Proto-Faschisten denn als Kulturträger und Demokratie-Verteidiger.

Die Amerikaner begeisterten sich ebenfalls in überraschend großer Anzahl für den Film, allerdings weniger weil sie sich in den Spartanern wiedererkennen als vielmehr, weil sie sich im Comicgenre und seinen Übertreibungen sicher fühlen und auskennen. Mit entsprechendem Genuss zitierte man in den USA deshalb verschiedene iranische Quellen, in denen verlautbart wurde, dass man sich im Iran als Erben der Perser verunglimpft fühle. Bedeutete das doch, dass man dort den Comic so ernst nimmt, als handle es sich um ein Stück Hochkultur. Der Hochmut Hollywoods besteht aber nicht darin, die Perser als Barbaren darzustellen - Xerxes tritt in 300 als hipper Ohrringträger mit Balsamstimme auf, der den Spartaner-König Leonidas um ein Vielfaches überragt - der Hochmut Hollywoods besteht darin, zu wissen, was Popkultur ausmacht. Im Fall von 300 ist das die Übertreibung, die spielend die Grenze zur Lächerlichkeit überschreitet - wobei die wahren Kenner sich dadurch auszeichnen, trotzdem nicht zu lachen.


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