Die Ermordung Robert Kennedys gehört zu jenen Ereignissen, die nie eine wirklich befriedigende Erklärung gefunden haben. Das hat weniger mit "ungeklärten" Umständen des Attentats zu tun als vielmehr mit unser aller Bedürfnis nach Sinn: Dass Kennedy das Opfer eines wirren Einzeltäters gewesen sein soll, ergibt einfach nicht genug davon. Allein um den Schmerz all jener zu lindern, die mit ihm große Hoffnungen verbanden, muss etwas Größeres dahinterstecken. Schließlich suggeriert, nein schreit schon der Zeitpunkt des Attentats nach viel viel mehr Bedeutsamkeit: Kennedy ist in der Nacht nach seinem Sieg bei den Vorwahlen in Kalifornien ermordet worden. Jenem Tag also, der ihn zum aussichtsreichen Kandidaten der demokratischen Partei machte. Obwohl damals alles übrige noch mehr als offen war, scheint im Nachhinein gar keine andere Geschichtsversion mehr möglich als die, dass Robert Kennedy schließlich auch Hubert Humphrey ausgestochen hätte und November 1968 gegen Nixon angetreten wäre. Und wie "tricky Dick" neben einem Kennedy aussieht, das hatte sich ja ein paar Jahre zuvor schon gezeigt. Und war nicht Robert sogar der "eigentliche" Kennedy, soll heißen der intelligentere, integrere, bessere, wahre?
Statt Nixon wäre also ein weiterer Kennedy Januar 1969 ins Weiße Haus gezogen - und von da aus spaziert, nein galoppiert die Fantasie direkt ins Reich der Utopie. So lässt die Tat von Sirhan B. Sirhan ein ganzes, von Kennedy inspiriertes, Heer an Träumern zurück mit dem Gefühl, um eine Zukunft betrogen worden zu sein. Fast 40 Jahre später sind viele über diesen Verlust noch immer nicht hinweg.
Emilio Estevez, Jahrgang 1962, outet sich mit Bobby als einer von ihnen. Es gibt einen Trivialaspekt dabei: Sein Vater Martin Sheen ist in den USA mit der Fernsehserie West Wing zum Inbegriff des "guten amerikanischen Präsidenten" geworden. Gar nicht trivial dagegen ist Estevez´ Entscheidung, sich in seinem Film nicht mit Verschwörungstheorien zu beschäftigen. Stattdessen widmet er sich dem Moment davor, pathetisch übersteigert könnte man sagen: den letzten Stunden der Hoffnung. Um zu zeigen, wie diese die verschiedenen Milieus und Schichten durchzogen hat, setzt Estevez, der selbst das Drehbuch schrieb, die gängige Form des Episodenfilms ein. Schauplatz der Handlung ist eben jenes Ambassador Hotel in Los Angeles, in dem in der Nacht vom 4. auf den 5. Juni Kennedy erschossen wurde.
Für ein "Upstairs, Downstairs" -Gesellschaftspanorama ist das Hotel der natürlich gegebene Ort: Unten in der Küche streitet sich der Latino-Hilfsboy (Freddy Rodriguez) einerseits mit dem schwarzen Chefkoch (Laurence Fishburne) und andererseits mit dem rassistischen weißen Personalchef (Christian Slater). Der wiederum wird von seinem liberalen Vorgesetzten (William H. Macy) umgehend entlassen, als sich herausstellt, dass er das Personal daran hindern wollte, während der Arbeitszeit zu den Wahlen zu gehen. Der liberale Vorgesetzte ist verheiratet mit einer aufgetakelten Friseuse (Sharon Stone), die wiederum anderen Figuren aus weiteren Episoden Lebenstips gibt. Es wimmelt im Film förmlich nur so von Stars, die mit ihrem Auftritt auch eine Art Bekenntnis zu Robert Kennedys hinterlassener Utopie abgeben: Demi Moore spielt eine alternde Sängerin, die ihre Umgebung mit Diva-Verhalten quält, Ashton Kutcher einen netten Drogenlieferanten, der zwei Wahlhelfern Kennedys zu gewissen Bewusstseinserfahrungen verhilft. Harry Belafonte trifft sich mit Anthony Hopkins im Foyer zum Schachspiel, Lindsay Lohan heiratet Elijah Wood, damit der nicht in den Vietnamkrieg ziehen muss und Martin Sheen tröstet Helen Hunt mit Geschenken und und und.
Auf die eine oder andere Weise klingen in allen Einzelepisoden die großen Themen der Zeit an: Rassismus, Emanzipation, Freies Denken. Die kleinen Geschichten, die die große wiederspiegeln, entwickeln ihren eigenen Sog; sie sind der Stoff, mit dem die Individuen ihren Lebensfaden mit den historischen Ereignissen verknüpfen: Am Tag, als Kennedy erschossen wurde war ich dort und dort. Für sich allein genommen, verlieren sie an Relevanz und scheinen beliebig - zusammengenommen aber ergeben sie ein berührendes Zeitporträt. Angereichert mit Archivbildern und vor allem Ausschnitten aus Kennedys Reden, zwingt Bobby den Zuschauer eindringlich dazu, sich den Moment der großen Hoffnungen noch einmal zu vergegenwärtigen. Robert Kennedy hört man Dinge sagen, die man heute keinem Politiker, schon gar nicht einem amerikanischen, mehr zutrauen würde. Manches davon klingt naiv: die Anti-Armuts- und Anti-Rassismus-Rhetorik etwa. Und plötzlich wünscht man sich etwas von dieser Naivität, von diesem auf den Lippen getragenem Idealismus, in die Gegenwart zurück.
Bobby funktioniert also weniger wie eine Geschichtslektion als vielmehr wie eine therapeutische Sitzung. Emilio Estevez legt es nicht darauf an, die Vergangenheit zu verarbeiten, nein, es scheint ihm darum zu gehen, einem bestimmten Gefühl wieder nahe zu kommen: der Hoffnung darauf, dass sich am schlechten Zustand der Welt etwas zum Positiven wenden lässt. Ob es falsch oder richtig war, diese Hoffnung an Robert Kennedy zu knüpfen, ist letztlich egal. Wichtig scheint, das Gefühl selbst wieder zu entdecken, in seiner ganzen schönen und kraftspendenden Intensität. Ein Gefühl, das in jenem Jahr 1968 unter einer Fülle von Enttäuschungen begraben liegt - vom Attentat auf Martin Luther King bis hin zum Einmarsch in Prag. Im Film gibt es die Figur einer jungen tschechischen Journalistin, die Kennedy nach seiner Meinung über die Ereignisse in ihrem Land befragen will. Das Interview wird abgelehnt - Kennedy will sich nicht zu kommunistenfreundlich zeigen. Jede Hoffnung hat eben ihre Grenzen.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.