Keiner vermisst den falschen Glamour

Hollywood Vetternwirtschaft, Bestechlichkeit und mangelnde Diversität: Nach Jahren voller Skandale sollen die Golden Globes neu gedacht werden. Aber ist die Filmbranche bereit, sich das in der Krise zu leisten?
Ausgabe 02/2022
Die glänzende Fassade hat in den letzten Jahren so einige Risse bekommen
Die glänzende Fassade hat in den letzten Jahren so einige Risse bekommen

Foto: Emma McIntyre/Getty Images for for Hollywood Foreign Press Association

„Dies hätte auch eine E-Mail sein können“ war im vergangenen Jahr der meistzitierte Witz über die Verleihung der Golden Globes. Damals, im langen ersten Covid-Winter – eine Zeit, an die die Erinnerung in mancher Hinsicht schwererfällt als die an den Mauerfall –, war das eine uneitel-selbstironische Pointe der Gastgeberin Tina Fey. Jetzt wurde daraus eine schlichte Tatsache. Die Verleihung der 79. Golden Globes 2022 fand nur noch als Twitter-Thread statt.

Die Vorgeschichte dazu ist so bestürzend wie banal. In nur wenigen Wochen brach nach der Verleihung im vergangenen Februar das 78-jährige Konstrukt aus Vetternwirtschaft, Glamour-Fassade und Hollywood-Promotion in sich zusammen. Die Organisation der „Hollywood Foreign Press Association“ (HFPA), die die Golden Globes verleiht, war über die Jahrzehnte immer wieder in den Ruf gekommen, bestechlich zu sein, nicht zuletzt, als hier der Florian-Henckel-von-Donnersmarck-Film The Tourist 2011 auf eine Weise geehrt wurde, die im krassen Gegensatz zur allgemeinen Kritikerauffassung stand. Der Verdacht der Bestechlichkeit wurde bis dahin aber stets weggelächelt, entweder als notwendige Praxis – sie brauchten Johnny Depp und Angelina Jolie als Gäste für die Show! – oder als willkommen verruchter Draufgängercharme, der den trockenen Beruf der Filmkritik veredelte.

Jahrzehntelang ausgeübter Trickbetrug

Doch im Februar 2021 verbanden sich diese altbekannten Vorwürfe mit einer neuen Dynamik. Auf einmal fiel ins Auge, dass die damals 86 Menschen zählende Mitgliederschaft der HFPA zwar aus verschiedensten Ländern stammt, aber kaum Diversität vertritt. Hinzu kam eine dubiose Rekrutierungspraxis: Nicht nur, dass von einigen der Mitglieder nicht bekannt war, für welche Zeitungen sie berichten und ob überhaupt; andere, in Hollywood aktive Filmjournalisten waren bei der Bewerbung um Mitgliedschaft mit fadenscheinigen Gründen abgewiesen worden. Es zeichnete sich das Bild eines jahrzehntelang ausgeübten Trickbetrugs ab: Eine Clique von Filmfans sorgte dafür, dass sie unter sich blieb, strich die nicht unerheblichen Einnahmen der Fernsehübertragung ein, genoss das Umworbenwerden von Seiten der Studios und veranstaltete als Gegenleistung eine Gala, die legendär alkoholselig und „frech“ auf die Oscars einstimmte. Letzteres mag unbedeutend klingen, spielte aber einen so bedeutenden Part in der Hollywood-Verkaufsmaschinerie, dass die Folgen des Wegfalls sich erst langsam abzeichnen.

Statt der live in die ganze Welt übertragenen Gala gab es die Globes dieses Jahr also nur auf Social Media, die HFPA befinde sich in einem Prozess der Umstrukturierung, heißt es. Die Preise erwiesen sich – wie in den Vorjahren – als überaus geschmackvolle Auswahl der bereits als Oscar- und Emmy-Kandidaten gehandelten Favoriten (The Power Of The Dog, West Side Story, Drive My Car, Succession), verstärkten aber genau damit eine Furcht, die unter den Kino-Liebhabern um sich zu greifen beginnt. Das Kassenergebnis dieser Oscar-Favoriten ist nämlich dabei, Negativrekorde zu unterschreiten. Die Ursachen dafür sind vielfältig und mit dem Stichwort Covid allein nicht abgetan. Mit dem falschen Glamour einer Veranstaltung wie der Golden Globes aufgeräumt zu haben, wirkt in diesem Kontext einerseits wie schlechtes Timing – Kinos in aller Welt hätten davon vielleicht profitiert –, andererseits fühlt es sich auch so zeitgemäß wie nie an. Aufs Wesentliche zurückgeworfen, im Prozess der Neubewertung und Umstrukturierung – wie die Realität selbst.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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