Bereits seit ein paar Wochen zieht sich in Hollywood der Streit hin: Die Motion Picture Association of America (MPAA), die Interessensvertretung der großen Studios, verkündete im September den so genannten "ban on screeners". Screeners werden jene Videobänder und DVDs genannt, die bis dahin haufenweise an die Mitglieder der Organisationen verschickt wurden, die Filmpreise vergeben, darunter die der Academy, die über die Oscars entscheiden. Dass stimmberechtigte Juroren auf diese Weise Filme nachsichten, die sie im Kino versäumt haben, diese Praxis wurde bislang vor allem aus ästhetischen Gründen kritisiert: das Filmerlebnis auf Video sei nicht das gleiche wie im Kino; anspruchsvolle Filme, so die kulturpessimistische Befürchtung, würden im Schnellvorlauf oder nur zur Hälfte gesichtet. Aber nicht diese wahrnehmungstechnischen Gründe bildeten nun den Anlass für den Bann - nein, diverse Untersuchungen hatten ergeben, dass ein Großteil der jährlich ausgesendeten Videos und DVDs als Raubkopien im Internet und auf dem Schwarzmarkt gelandet waren.
Die drastische Maßnahme des "ban on screeners", zunächst verpackt in verlockende Meldungen, nun würde es endlich wieder glamouröse Galaaufführungen geben, zu denen sich die Filmprominenz als Zuschauer einfinde, löste einen Proteststurm aus, den die MPAA in diesem Ausmaß nicht erwartet hatte. Schnell wurde offenbar, dass der Bann zwar vielleicht die Geschäftsinteressen der Großproduktionen schützt, die Chancen der kleineren Filme auf Berücksichtigung bei der Preisvergabe aber empfindlich einschränkt. Denn erstens sind die kleineren Produktionen leichter zu verpassen, da sie in weniger Kinos laufen, und zweitens werden sie nicht von aufwändigen Anzeigenkampagnen flankiert. Die Verschickung von Videos und DVDs war für Filme, die in den USA mit einer Kopienzahl von unter 800 starten, oft die einzige Möglichkeit, bei den preisvergebenden Gremien auf sich aufmerksam zu machen.
Vergangene Woche schließlich versuchte die MPAA den Klagen durch folgenden Kompromiss zu begegnen: Die Mitglieder der Akademie bekommen ihre screeners, allerdings nur in Form von VHS-Kassetten, die weniger perfekt zu kopieren sind als DVDs und die zudem noch, so der erhobene Zeigefinger, individuell gekennzeichnet sein werden. Sollte eine Kopie im Netz oder auf dem Schwarzmarkt landen, könne die Spur zurück verfolgt und festgestellt werden, von wem sie weitergegeben wurde! Dem für die Tat Verantwortlichen droht der Ausschluss aus der Akademie.
Richtig beruhigen ließen sich die aufgewühlten Gemüter dadurch jedoch nicht, denn schließlich bleiben die übrigen Organisationen wie der Verband der Auslandspresse, der die Golden Globes vergibt, oder der nationale Kritikerverband, der ebenfalls über einen sehr begehrten Preis entscheidet, weiterhin vom Video-Versand ausgeschlossen. Die kalte Antwort der Industrie-Lobbyisten: Die Mitglieder dieser anderen Organisationen seien mit Rauswurf nicht im selben Maße zu bestrafen wie die Akademie-Angehörigen.
Damit ist es auf dem Tisch, das Stichwort der Bestrafung, das deutlich macht, um was es dicht unter der Oberfläche eigentlich geht. Die Piraterie, die unter uns Konsumenten als Kavaliersdelikt gilt - wer hat nicht schon mal "was" kopiert? -, soll aus der Übergangszone von halblegal-illegal heraus in den Stand eines vollgültigen Wirtschaftsverbrechens erhoben werden. Insofern besagt die Ankündigung, man werde außer der Forderung nach Akademie-Ausschluss keine weiteren rechtlichen Schritte gegen die eventuellen Missetäter einleiten, eben nach alter Freudscher Lesart - nach der es im Unbewussten keine Verneinungen gibt - vor allem, dass man sie in Betracht zieht.
Die Verluste durch den Handel mit Raubkopien werden mit einer Summe in Milliardenhöhe veranschlagt. Man muss sich allerdings klar machen, dass solche Rechnungen kaum als tatsächlicher Wert ermittelbar sind, sondern zum guten Teil Hysterie-Zahlen darstellen ähnlich den Schadensersatzansprüchen, die das amerikanische Rechtssystem in der ganzen Welt berühmt gemacht haben - zwei Millionen für ein Mal heißen Kaffee auf die Hand. Solche Zahlen lenken außerdem davon ab, dass es hier weniger um die Wahrung von Urheberrechten als um die Gewinninteressen der Vertriebsindustrie geht - wo das wahre Geld gemacht wird. Für die eigentlichen Urheber nämlich wird der Nachteil der Piraterie oft vom Vorteil der breiteren Streuung aufgewogen, siehe eben das Beispiel der kleineren Filmproduktionen: für die ist eine Raubkopie im Netz mehr Werbung als Einnahmeverlust.
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