Lasst den Gegner schwitzen

Serie Barbara Schweizerhof schaut Russell Crowe in „The Loudest Voice“ nur ungern ins böse Gummigesicht. Spoileranteil: 17 Prozent
Ausgabe 39/2019

Alle reden vom Joker und von anderen fiktiven Schurkenhelden. Aber wer sind eigentlich die „Real Life“ Bösewichte unserer Gegenwart? Medienmogul Rupert Murdoch steht bei vielen ganz oben auf der Liste. Glaubt man jedoch der Showtime-Serie The Loudest Voice, die dieser Tage auf Sky Deutschland startet, dann gibt es einen Mann, neben dem Murdoch geradezu als liberal, gemäßigt und anständig erscheint. Der Name dieses Monsters vor dem Herrn ist Roger Ailes.

Ailes war der Mitbegründer und 20 Jahre lang oberster Direktor von Fox News, dem von Rupert Murdoch ins Leben gerufenen rechtsnationalistischen Kabelsender. „Wir berichten (Gerüchte, Lügen und Anspielungen) – Sie entscheiden (auf Basis Ihrer tiefsitzenden Ängste und Vorurteile)“, so das semioffizielle Motto des 24-Stunden-Nachrichtensenders, dem viele liberale Amerikaner die Schuld an allem geben: an Bush, am Irak-Krieg, am Aufstieg der Tea Party, an Obamas Misserfolgen und Niederlagen, an Trump.

Nach Europa drang Roger Ailes’ Name erst, als er im Zuge von #MeToo, wie man so sagt, wegen einer Reihe von sexuellen Missbrauchsvorwürfen seinen Job als Leiter von Fox News aufgeben musste. Das war im Juli 2016; weniger als ein Jahr später verstarb der an einer Blutkrankheit Leidende im Alter von 77 Jahren. Düstere Zungen sagen: nachdem er sein Werk vollbracht hatte. Ihn gibt es zwar nicht mehr, aber wir leben längst in seiner Welt, heißt es.

Ailes ist ein „Real Life“-Bösewicht, wie er im Kino heute kaum mehr möglich wäre, weil von zu klischeehaftem Äußeren: fett, hässlich und glatzköpfig, und das schon seit mindestens 30 Jahren. Russell Crowe, der ihn in der Serie verkörpert, ist unter lauter Gummi und Schminke quasi unsichtbar, was irgendwie schade ist. Ihm selbst scheint es zwar Spaß zu machen, als echter Oger durchs Bild zu laufen, paranoide Floskeln über Kommunisten, Terroristen und andere Bedrohungen vor sich hin murmelnd und gleichzeitig immer die Frauen begrapschend; als Zuschauer aber ist man von Anfang an etwas gelangweilt von dieser Ailes-Figur. Sicher, er hat etwas Wesentliches unseres modernen Medienzeitalters erkannt, vielleicht sogar vorweggenommen, nämlich dass man Fernsehen nicht mehr „für alle“ machen muss, als Kompromiss von Normen und Anstand, sondern dass man sich ruhig an eine Nische wenden kann, die man regelrecht aufheizt: „Sich an seine Basis wenden“ heißt das, womit man sich als Marke etabliert.

Die Serie stellt das tatsächlich als sein Werk und sein Werk allein dar: Roger Ailes gibt den Befehl, den liberalen Opponenten in der Talkrunde einfach ein bisschen schwitzen zu lassen und ihn nicht wie die anderen abzupudern. Roger Ailes weist an, dass Obama immer mit Vor und Mittelname genannt wird: Barack Hussein Obama. Fast wünscht man sich, dass Fox News wirklich so funktionieren würde, mit einem paranoiden Strippenzieher an der Spitze, der die Lügen vorformuliert. Dann hätte Fox News sich mit Ailes’ Abgang ja irgendwie verändern müssen. Die traurige Wahrheit aber scheint zu sein, dass es die, die in der Serie immer erstaunt dastehen und denken, dass Roger jetzt einen Schritt zu weit geht, dass es die in Wahrheit gar nicht gibt bzw. gegeben hat. Dass sie reine Fiktion sind, erfunden, um Roger Ailes als den mächtigen Macher erscheinen zu lassen, der das wagt, wovor andere zurückschrecken: Lügen verbreiten, Nachrichten manipulieren. In Wahrheit aber muss man sich Fox News wohl sehr viel demokratischer vorstellen. Die Menschen arbeiten wahrscheinlich sogar gerne dort, ob vor oder hinter der Kamera. Und es wäre interessant, mehr darüber zu erfahren, wie das funktioniert, dass so viele Menschen quasi freiwillig kooperieren bei der Erstellung eines doch recht einheitlichen rechtsnationalistischen Dogmas, das stets die gleichen Trigger und Vorurteile bedient.

Genauso wenig, wie es die Serie schafft, die gewaltfreie Reproduktion eines ideologischen Konsensus innerhalb eines Nachrichtenbetriebs aufzuzeigen, gelingt ihr auch die Darstellung von Ailes’ sexueller Übergriffigkeit. Dass ein solches Ekel wie Ailes Frauen mit anderen Mitteln als dem des Charmes erobern musste, liegt auf der Hand. Warum Frauen in solche Abhängigkeiten geraten, warum sie sich zu lange etwas gefallen lassen oder gar mit jemand wie Ailes kooperieren – um das darzustellen, müsste man wegkommen von der Faszination für das Monster und seine Macht.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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