Für die einen liegt „Dietland“, also: „Diätland“, überall und für die anderen nirgendwo. Alicia Kettle (Joy Nash), die aus dem Off plaudernde Heldin der neuen Amazon-Serie Dietland, ist quasi Staatsbürgerin. Ihr Spitzname sei „Plum“ (Pflaume), stellt sich die junge Frau in der Pilotfolge vor. Denn sie sei „saftig und rund“, oder besser gesagt: fett. Und ja, sie dürfe das von sich sagen.
Plum versucht ihr Leben lang schon, sich in „Alicia“ zu verwandeln, in ihr wahres, schlankes Ich. Alle Arten von Diäten hat sie dafür schon durchprobiert – vergeblich. Sie führt das Leben einer sozial Ausgegrenzten, beständig missbilligenden Blicken und beleidigenden Attacken von Unbekannten ausgesetzt. Ihr Kühlschrank ist gefüllt mit Tupperware, in der einzelne Möhren, Gurken oder Selleriestangen ein karges, fettloses Dasein fristen. Ihr Magen fühlt sich beständig leer an. „Gut so!“, applaudiert ihr dazu die Therapeutin der „Waist Watchers“-Selbsthilfegruppe. Als letzte Rettung plant Plum nun die operative Magenverkleinerung, selbst wenn sie nicht absehen kann, ob ihr Geld auch für die notwendigen Anschlussoperationen zur Entfernung der überschüssigen Haut reichen wird.
Das Erste, was an Dietland auffällt, ist die Beiläufigkeit, mit der die unappetitlicheren Seiten eines Frauenlebens erwähnt werden. Plum hat den etwas bizarren Job einer Ghostwriterin, die im Namen der Herausgeberin eines Mädchenmagazins mit dem Titel Daisy Chain (in etwa: Gänseblümchenkranz) die Leserinnenbriefe beantwortet. Es ist eine Arbeit mit Verantwortung, schließlich stellen die Mädchen schwierige Fragen wie: „Mein Freund hat mich zum Sex gezwungen. Soll ich mit ihm Schluss machen?“ Oder auch: „Ich kann nicht aufhören, mich zu schneiden …“ Und vor allem eben: „Wie schaffe ich es, so dünn zu werden wie du, Kitty?“ Kitty – das ist die von Julianna Margulies gespielte Herausgeberin, deren tadellos schlankes und makellos geschminktes Konterfei den jugendlichen Leserinnen suggerieren soll: Auch du kannst es so weit bringen, wenn du nur fleißig meine Zeitschrift kaufst.
Was sich zunächst nach gängiger, wenn auch im Genre TV-Serie sehr ungewöhnlicher Kritik an den Schönheits- und Konsumzwängen der westlichen Welt anhört, wird in Dietland zu einer überraschend rasanten Mischung aus feministischem Rachethriller und Selbstfindungsdrama. Das bewährte Seifenopernschema, bei dem ein hässliches Entlein über viele Wendungen hinweg zum schönen Schwan wird, dreht Dietland dabei von innen nach außen. Die Serie handelt weniger vom Schönheitswahn als vom Schönheitsterror, weniger davon, welche Macht gutes Aussehen einer Frau verleihen kann, sondern davon, unter welchem Dauerstress diejenigen stehen, die ihre diversen „Schönheitsfehler“ (Orangenhaut, Brustgröße, Achselhaare, Mundfalten, Haarfarbe und, und, und) kaschieren und ausbessern müssen. Und davon, was ein „großes Mädchen“ wie Plum sich den ganzen Tag über anhören muss – und welche demütigenden Erfahrungen sie beim Dating macht. Eigentlich ist es ein Wunder, dass diese doch tatsächlich existierende Alltags-Repression in der Wirklichkeit so wenig kraftvolle Gegenreaktion hervorruft. In der fiktiven Welt von Dietland ist das anders, hier macht Plum Bekanntschaft mit mehreren feministischen Verschwörungskreisen, von denen die eine unter dem Decknamen „Jennifer“ sogar zu den Mitteln der Gewalt greift und eine Reihe Männer ermordet, die die Justiz trotz Missbrauchs- oder Vergewaltigungsvorwürfen hat laufen lassen.
Der Thriller-Plot ist dabei noch das Uninteressanteste an Dietland. Was besticht, sind die „ungeschminkten“ Beobachtungen und Charakterisierungen, die dazu noch angenehm zwiespältig sind. Plums Chefin Kitty zum Beispiel ist deutlich als eine Variante der filmischen Karikaturen auf die langjährige Vogue-Chefin Anna Wintour angelegt: mit eisigem Charme und perfekt sitzender Frisur versteht es diese Frau, selbst noch mit Komplimenten ihr Gegenüber zu demütigen. Dabei gehört Kitty nicht (nur) zu den Bösewichten der Serie, ist sie doch ein Beispiel jener anderen Art weiblicher Ermächtigungsstrategie, die im Patriarchat Karriere macht, weil sie besonders aggressiv und skrupellos ihr Frausein ausspielt. Ihr Interesse an „Jennifer“ und deren antipatriarchalem Manifest ist gleichzeitig geschäftlich und echt.
Sarai Walker, die Autorin der Vorlage, gab als Inspiration David Finchers Fight Club an: Sie sei aus dem Film gekommen und habe eine weibliche Version davon schreiben wollen. Von der Serie aus geurteilt, ist ihr das verblüffend gut gelungen – als Spiel mit Marken und Identitäten, mit Konsumsucht, Selbsthilfe-Automatismen und „toxischer Weiblichkeit“. Wie schon UnREAL, das vorige Projekt der Serienmacherin Marti Noxon, verzettelt sich Dietland fast vor lauter guten Ideen. Das Potenzial des stark aufspielenden Ensembles von interessanten Figuren wird längst nicht gut genug genutzt. Aber Dietland gehört zu jener Sorte Serie, die gerade deshalb Spaß machen, weil sie nicht perfekt sind. Was wiederum das eigentliche Schönheitsideal ist, oder?
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