Match des trônes

Was läuft Ein Blick in die französische Serienlandschaft: „Braquo“, „Engrenages“ und „Versailles“. Spoiler-Anteil: 14 Prozent
Ausgabe 23/2016

Das Interessante an Europa sind die kleinen Unterschiede, so brachte es schon John Travolta in einem legendären Dialog in Pulp Fiction auf den Punkt: Was in den USA als „Quarter Pounder with cheese“ serviert wird, heiße in Frankreich „Royale with cheese“. Ähnliches mag für den Serienmarkt gelten. So wird die Krimiserie Braquo als das französische The Shield bezeichnet, aber schon die ersten Bilder der von 2009 bis 2014 auf Canal+ erstausgestrahlten Serie „schmecken“ im übertragenen Sinne deutlich anders.

Da ist zunächst das unnachahmliche Tränensackgesicht von Olivier Rabourdin, der als Polizist Max Rossi zu Beginn mit rüdesten Methoden einen überführten Vergewaltiger verhört, kurz darauf von seinen Vorgesetzten wegen schwerer Verstöße im Amt angeklagt wird und prompt Selbstmord begeht. Er hinterlässt seinen vier Spezialeinheitskollegen damit ein schweres Erbe, die in dem Bemühen, seiner Witwe Genugtuung zu verschaffen, die wahren Täter zu bestrafen und die eigene Haut zu retten, in einen Strudel geraten, der Grenzüberschreitung nach Grenzüberschreitung nach sich zieht.

Frankreich-Spezial

Wir beschäftigen uns diesmal ausführlich mit Frankreich, dem Gastgeberland der Fußball-EM – aber dabei geht es eben nicht um die altbekannten Klischees der (vermeintlichen) Grande Nation. Mit Reportagen, Essays und Interviews wollen wir das „andere Frankeich“ zeigen. Ein Land zwischen Aufbruch und Aufruhr: Eine Sonderausgabe über unser Nachbarland

Die doch hinlänglich auserzählte Geschichte von den ursprünglich guten Cops, die im Kampf mit dem Bösen selbst auf die dunkle Seite wandern, sie erhält hier einen fesselnden neuen Dreh. In erster Linie liegt das an Jean-Hugues Anglade (einem jener kleinen, drahtigen Charakterdarsteller, die mit zunehmendem Alter immer besser werden), der in Braquo als Einheitenchef Eddy Caplan nicht nur als Trendsetter der wiederkehrenden Schnurrbartmode auftritt, sondern mit stoischer Miene, draufgängerischem Handeln und der Aura unüberwindlicher Einsamkeit keinen Geringeren als Lina Ventura „channelt“.

Überhaupt atmet Braquo auf wunderbare Weise die mit Existenzialismus geschwängerte Atmosphäre von Melville-Filmen. Die Selbstjustizmoral der „Flics“, man nimmt sie hier nicht als protofaschistisches Polizeigebaren oder Selbstzweifel bekämpfende Machoattitüde, sondern als Kodex des Eigensinns, der keine höhere Autorität anerkennt. Selbstverständlich wird in Braquo noch geraucht, als gäbe es keine EU-Zigarettenpackungsverordnung, und statt Make-up tragen Männer wie Frauen schlechten Schlaf und Alkoholkonsum auf den Gesichtern. Das Ganze ist von einer düsteren Sinnlichkeit, die sich weder auf Coolness noch auf Sexappeal reduzieren lässt, aber beides in so hohen Dosen mischt, dass man geradezu Explosionsgefahr wittert. Spätestens nach zwei Folgen liegt der Gedanke an Vic Mackey und The Shield fern.

Als Einstieg mag der Vergleich zwischen The Wire und der Krimiserie Engrenages funktionieren, die den wie immer dämlichen deutschen Beititel Im Fadenkreuz der Justiz trägt und als Koproduktion von Canal+ und BBC Four auch Spiral heißt. Mit The Wire hat Engrenages gemein, dass der Kreis der Handlung sich von der Sphäre der Polizeiarbeit bis in den Justizapparat und die Stadtverwaltung ausdehnt und so aus einem Mord- oder Todesfall heraus das Mosaik einer Gesellschaft und ihrer Institutionen entworfen wird.

Exzellent geschrieben, im knappen urbanen Duktus und in Dialogen, die frei sind vom Fett behäbiger Erklärungen, bleibt Engrenages näher an den Genretraditionen der Krimiserie als das große amerikanische Pendant. In einer Hinsicht sind die Franzosen voraus: Als Anker funktionieren in der Serie, von der seit 2005 fünf Staffeln ausgestrahlt wurden, zwei Frauengestalten. Caroline Proust verkörpert als Laure Berthaud die ruchlos-harte Chefin ihrer verschworenen Einheit, die bei der Arbeit nicht immer sauber bleibt, während am anderen Ende des „Räderwerks“ Audrey Fleurot als ruchlos-ehrgeizige Anwältin Joséphine Karlsson eigene Interessen verfolgt.

Dass zum Serienerfolg vieldimensionale Frauenfiguren gehören, hat sich leider nicht bis zu den Machern von Versailles rumgesprochen, der jüngsten Serie mit dem Wanderpokaltitel „teuerste europäische TV-Produktion“. Um das Budget besser rückfinanzieren zu können, spricht Louis XIV. hier Englisch, aber schwerer wiegt, dass am Ende doch mehr den Oberflächenreizen von Game of Thrones als etwa dem HBO-BBC-produzierten Rome nachgeeifert wird. Rund um das Schloss von Versailles, das der junge Ludwig schon in der ersten Episode projiziert, geht es mit Folter, Vergewaltigung und Mord so zu wie in Westeros. Ohne Drachen und White Walkers aber ist das erstaunlich schlecht zu ertragen.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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