Es kommt immer darauf an, was man erwartet. Nach Torsten Körners Angela Merkel – Im Lauf der Zeit im Februar dieses Jahres gibt es jetzt schon wieder einen Dokumentarfilm über die doch erst 2021 abgetretene Kanzlerin. Unbesehen denkt man sich, dass der Film wohl nichts wirklich Neues bieten könne, weder an Bildmaterial noch an Einschätzungen. Warum also überhaupt gucken?
Erwartungsmanagement – genau das sei die große Stärke von Merkel gewesen, hört man jemand in Eva Webers Film sagen. Die Strategie geht so: Erst mal nichts erwarten, dann ist man am Ende positiv überrascht, wenn doch was rauskommt. Genau diese Haltung empfiehlt sich für Merkel. Und siehe da, auf einmal gibt es tatsächlich einiges Interessantes zu beobachten. Angefangen bei der Tatsache, dass dies ein Film ist, der weniger aufs deutsche als vielmehr auf ein internationales und vor allem amerikanisches Publikum zielt. Regisseurin Eva Weber lebt seit einigen Jahrzehnten in London, ihr Film feierte seine Premiere beim Festival von Telluride, Colorado, USA. Fast als hätte sie das schon bei der Fertigstellung gewusst, lässt sie ihren Film mit Aufnahmen rund um die Rede beginnen, die Merkel 2019 bei der Graduiertenfeier in Harvard hielt. Vorgestellt wird sie unter anderem mit den Worten: „Viele glauben, sie sei der De-facto-Führer der Europäischen Union.“ In den aufbrausenden Applaus hinein sieht man Merkel abstreitend den Kopf schütteln. Dann folgt eine Montage von Ausschnitten aus ihrer Rede, parallelgeschnitten zu einer von Donald Trump. Sie erzählt vom Aufwachsen hinter der Mauer, Trump beschwört den amerikanischen Mauerbau. Es ist ein wenig plump.
Der Kontrast zu Trump zieht sich als eine Art Leitfaden durch den Film, der, zeitlich nicht immer chronologisch, Merkels Karriere mit Archivaufnahmen und Zeitzeugenaussagen nachstellt. An späterer Stelle bekommt das Verhältnis zu Barack Obama eine eigene Sequenz. Als Obama nach seinem Abschiedsbesuch im Kanzleramt davonfährt, meint seine Entourage Tränen in ihren Augen blitzen zu sehen. Ansonsten berührt der Film in geradezu pflichtschuldiger Manier alle Punkte, die einem so auf Anhieb zu Merkel einfallen. Wie sie als „Quotenfrau aus dem Osten“ Ministerin wurde, wie sie „Kohls Mädchen“ war und dann kaltschnäuzig ihre Chance ergriff, wie sie 2015 die Grenze öffnete, wie schwierig das Verhältnis zu Putin war und wie sehr ihre Herkunft aus der DDR sie prägte.
Die vielen illustren Gäste, die Weber vor die Kamera bekam, von Tony Blair über Hillary Clinton bis Condoleezza Rice, neigen zu Lob, wie könnte es anders sein? Journalisten wie Robin Alexander und Bernd Ulrich äußern stärker abwägende Kommentare. Ein Bild von Merkels Politik, davon, was in den 16 Jahren ihrer Kanzlerschaft im eigentlich Sinn „gemacht“ wurde, erhält man nicht. Ob man den internationalen Zuschauer nicht überfordern wollte?
Wem der Sinn nach Abrechnung steht, der wird sich über Merkel ärgern. Genauso wie die Frau selbst es so oft getan hat, lenkt der Film von den großen Fragen mit geradezu systematisiertem Understatement ab. Aber genau das kann eben auch sehr unterhaltsam sein. Mit der Zeit meint man, eine Methode ausmachen zu können, nach der die Regisseurin ihr Archivmaterial – selbst hat sie nicht mit der Protagonistin gesprochen – aussuchte: Ihr geht es um den Charakter von Merkel. Um dieses notorische Von-sich-als-Person-Ablenken und Nicht-für-wichtig-Erklären: „Wenn ich im Kochtopf rühre, denke ich doch nicht, ich rühr als Kanzlerin.“ Dazu gibt es andere köstliche Archivfunde wie den, wo ein doch sehr herablassender Heiner Geißler meint, neulich bei Sabine Christiansen habe sich gezeigt, dass Angela Merkel sich endlich besser kleiden müsse, um neben Frauen wie Hillary Clinton zu bestehen.
Merkel – Macht der Freiheit Eva Weber Großbritannien 2022, 95 Minuten
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