Mit Format und ohne

Medientagebuch "Hitlers Frauen" als Beispiel: Wider den "klonierten Blick"

Im Kino hat das Wort "Format" noch eine fest umrissene Bedeutung: Es bezeichnet das genormte Größenverhältnis nach Länge und Breite des gezeigten Bildes. Im Fernsehen sieht es damit schon ganz anders aus. Nicht nur, dass hier Kinofilme in der Regel im falschen Format gezeigt werden, mit einem willkürlich reduzierten Bildausschnitt, weil man Angst vor schwarzen Balken hat, nein, unter "Format" versteht man hier etwas ganz anderes, von dem man bei näherer Betrachtung auf jeden Fall so viel sagen kann: Mit Länge und Breite hat es nichts zu tun.

So häufig von "Fernsehformaten" die Rede ist, so wenig ist klar, was damit eigentlich bezeichnet wird: Man spricht von Serien- und Quizformaten, aber es bleibt im Dunkeln, ob nun zum Beispiel das Inselduell und Big Brother das gleiche Format "sind" oder doch zwei unterschiedliche. Die Macher, zuvorderst die TV-Produzenten und die Redakteure der Privatsender, benutzen den Begriff seit einiger Zeit sehr offensiv; die Medien-Kritiker konnten sich seiner suggestiven Produktivität auf Dauer nicht entziehen: Wo früher Sendungen ausgestrahlt wurden, werden heute mit Vorliebe Formate gezeigt. Es verdichtet sich der Eindruck, dass es sich dabei um eine Hilfskonstruktion handelt, die einen Paradigmenwechsel bezeichnet.

Vielleicht die alte Sehnsucht nach verbindlichen Regeln und festgelegten Formen? Der kunstwissenschaftlich Versierte mag sich beim Gebrauch des Wortes "Format" an das erinnert fühlen, was "Genre" in den übrigen Künsten bezeichnet - ein Zusammenspiel struktureller und inhaltlicher Eigenschaften, wobei deren regelgerechte Erfüllung und Überschreitung erst jene Spannung ergibt, die das einzelne Kunstwerk ausmacht. Solch genuin ästhetisches Procedere traut sich das Massenmedium Fernsehen jedoch von vorneherein nicht zu. Das "Format" erscheint nun als die klassische Wiederkehr des Verdrängten in pervertierter Gestalt: eine diffuse Form-Inhalt-Definition mit Quotenvorgabe und Werbeeinnahmen-Vorausberechnung, die Karikatur des Genrebegriffs. Nicht die spielerische Variation bestimmter Kanons steht hier im Zentrum, und auch nicht die Umsetzung neuer Ideen, sondern deren Zurichtung auf ein Marketing-taugliches Maß. Formate im Fernsehen kommen wohl am ehesten dem gleich, was Marken in der Konsumwelt sind: Verkaufsstrategien.

Von "Konfektionsware", vom "Blick von der Stange", der zunehme, sprechen deshalb auch die acht Dokumentarfilmer, die anlässlich des 7. Baden-Badener Dokumentarfilm-Workshops im Mai einen öffentlichen Brief verfassten, der sich gegen das Formatfernsehen wendet. Die Autoren haben zwar den engeren Bereich der "Non Fiktion" im Blick, betreffen aber eine viel allgemeinere Erscheinung. "Formatgestaltung im Zusammenspiel von Redaktionen und Produzenten greift um sich. Serienformate mit vorgegebener Dramaturgie, festgelegter Lichtführung, Einstellungsgrößen und verbindlichen Fragekatalogen sind en vogue. Die am Reißbrett entstandenen Formate werden zum bloßen Erfüllungszweck nach hinten durchgereicht. Nach hinten, zu den Autoren, die, wenn sie den Vorschriften nicht Folge leisten wollen, schnell und leicht durch andere ersetzt werden können." So stellt sich das Formatfernsehen von der Seite der Kreativen aus gesehen dar.

Als mustergültiges Beispiel dieser Entwicklung ist zur Zeit der 6-Teiler Hitlers Frauen mittwochs zur allerbesten Sendezeit zu besichtigen. Die Geschichts-Dokuserie trägt die Marke Guido Knopp, und nur den Spezialisten mag noch ins Auge fallen, dass jeder Teil der Serie eigene Autoren hat. Wie es sich für ein Markenprodukt gehört, findet der Zuschauer bei Hitlers Frauen alles wieder, was er von Knopp erwartet: angefangen von Sitzhaltung und Ausleuchtung der Zeitzeugen über den Schnitt, der die einzelnen Auskünfte auf Stichworte für den einen großen Erzähltext reduziert, bis hin zur Verwendung der Originalaufnahmen, die als Belege ohne Reflexion auf ihr Zustandekommen, eingefügt werden.

Diese Formen bleiben nicht ohne Folgen für den Inhalt. Unter scheinbar seriösem Deckmantel wird immer wieder nur der Titel illustriert und der darin implizierte Mythos von Hitler als charismatischem Liebhaber auch noch seiner Feindinnen beschworen. Das von Knopp generierte Format tut nur so, als löse es den aufklärerischen Anspruch einer Popularisierung der historischen Forschung ein. In der zugerichteten Aufbereitung des Materials wird den verschiedenen Gesprächspartnern jede Individualität genommen und dem Zuschauer damit die Möglichkeit, das Erzählte in Relation zu sehen, Glaubwürdigkeiten zu überprüfen und über die Unzuverlässigkeit von Erinnerung zu reflektieren. Unweigerlich wird man so mit in den Sumpf der Faszination gezogen.

Gegen einen solchen "klonierten Blick" wollen die Autoren des genannten Briefs die jeweils eigene Originalität ihrer dokumentarischen Beobachtungen setzen und wurden dafür wiederum als elitär angegriffen. Tatsächlich verteidigen sie das gewollt Unpopuläre. Doch angesichts dessen, wie schnell im Formatfernsehen das Populäre unpopulär werden kann bei Übersättigung (siehe Aufstieg und Fall des Big Brother-Formats), macht die reflexhafte Grenzziehung zwischen künstlerisch-wertvoll und "volksnah" keinen Sinn mehr. Wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen gilt es, auch im Fernsehen den Standardisierungszwängen mit ihren Gewinnoptimierungsabsichten etwas entgegenzusetzen, damit aus Fernsehformaten nicht doch noch das wird, was der reine Begriff vorsieht: normierte Größenverhältnisse für Sendematerial zwischen den Werbeblöcken.

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