Mitschämen, bis es wehtut

Serie Barbara Schweizerhof genießt Larry Davids fehlendes Feingefühl in „Curb Your Enthusiasm“. Spoiler-Anteil: 17 Prozent
Ausgabe 08/2020

Man kann ihn eigentlich kaum ertragen. Man fragt sich, wie es seine Freunde, soweit es sie tatsächlich gibt, mit ihm aushalten. Und man hält es für fast unmöglich, dass er in Los Angeles noch ein einziges Restaurant findet, das ihn als Gast willkommen heißt. Die Rede ist von Larry David, selbstredend von der Kunstfigur dieses Namens, die der TV-Schreiber Larry David im Jahr 2000 für seine Show Curb Your Enthusiasm erfunden hat (auf Sky läuft sie unter dem schrecklichen Titel Lass es, Larry). Wie das reale Vorbild, der echte Larry David, ist auch die Kunstfigur in der Serie als Miterfinder und Koautor von Seinfeld zum Multimillionär geworden und lebt nun das Leben eines solchen unter all den anderen Multimillionären in Los Angeles. Selbiges besteht aus viel Freizeit, unterbrochen von irgendwelchen Meetings, bei denen es um Ideen geht, aus denen in der Regel nichts wird. Zwischendurch bleibt Larry genug Gelegenheit, das zu tun, was er am liebsten tut: Leute vor den Kopf stoßen.

In den USA begann HBO mit der Ausstrahlung der ersten Staffel im Oktober 2000; in Deutschland nahm der Bezahlsender Fox die ersten beiden Staffeln erst 2008 ins Programm. Bis Ende 2011 waren acht Staffeln gedreht. Als Zuschauer hatte man bis dahin so einiges mitgemacht mit Larry. Vor allem ging es immer wieder um die ungeschriebenen Regeln der sozialen Etikette: Bis wann darf man bei Freunden zu Hause abends anrufen? Wie viel Worte muss man mit einem alten Freund wechseln, dem man zufällig auf der Straße begegnet? Darf man als jüdischer Mann Wagner vor sich hin pfeifen?

Larry David ist ein Godfather des „Cringe“, jener Sorte Humor, bei der man sich so sehr mitschämt, dass es wehtut. In unsere polarisierte und in vielerlei Hinsicht hochsensible Wirklichkeit passt er kaum noch hinein. Jemanden durch ein falsches Wort oder eine falsche Geste zu brüskieren, was nun mal Davids Spezialität ist, das ist inzwischen fast zu einfach geworden. Nach sechs Jahren Pause nahm David 2017 mit einer neunten Staffel den Faden wieder auf. Die Rahmenhandlung, so wild sie sich anhörte – bei der Promotion seines jüngsten Projekts, einer Musical-Version der Salman-Rushdie-Kontroverse namens Fatwa, zieht Larry selbst eine Fatwa auf sich –, erwies sich im Kontext nach der Trump-Wahl als seltsam zahnlos.

Ganz anders nun die im Januar gestartete zehnte Staffel: Larry David, der aktuell mit seiner Bernie-Sanders-Impression bei der wöchentlichen Comedy-Sendung Saturday Night Life ein neues Karrierehoch erlebt, präsentiert sich in Topform. Gleich in der ersten Folge verdirbt er es sich mit dem Kaffeelieferanten seines Vertrauens, „Mocha Joe“, der ihn seines Ladens verweist. Woraufhin Larry beschließt, den Laden direkt daneben zu mieten und dort einen „Spite-Store“ aufzumachen, ein „Zum Trotz“-Café, um Mocha Joe das Leben schwer zu machen. Fünf Folgen später ist der „Spite-Store“ noch nicht eröffnet, aber natürlich hat Larry anderweitig viel Unheil angerichtet.

So unbedeutend sind die sozialen Regeln, die sich David diesmal vorknöpft, im Übrigen nicht. Auch David, notorisch bekannt für sein mangelndes Feingefühl und seine Übergriffigkeit, muss sich mit #Metoo auseinandersetzen, und es gerät zum großen Moment, wie ihm dabei die Gratwanderung gelingt, sowohl die Übertreibungen rund um das Thema bloßzustellen als auch auf die strukturelle Verankerung von Sexismus in Hollywood hinzuweisen. In einem anderen Handlungsstrang kommt Larry auf die Idee, sich eine dieser roten „Make America Great Again“-Kappen (MAGA) aufzusetzen, um schneller von einer ihm lästigen Verabredung loszukommen. Die Kappe erweist sich im stink-liberalen Umfeld des sonnigen Kaliforniens als so effizienter „Leute-Vertreiber“, dass er sie bald auch dann nutzt, wenn er im Café den Platz neben sich leer halten möchte. Auch da gelingt ihm eine feine Grenzziehung: Ohne sich hämisch mit dem Trump’schen Humor gemeinzumachen, entlarvt David doch die stupide Gleichförmigkeit, mit der die Kalifornier auf den MAGA-Hut wie der Teufel aufs Weihwasser reagieren.

Wider Erwarten erweist sich der taktlose, asoziale Larry David nämlich als der Comedian für unsere Zeit – gerade weil er in nichts ein Vorbild ist, weil er nicht „policed“, keine Instanz verkörpert, die richtet, sondern selbst stets falsch liegt, befreit er momenthaft den Blick von den gewohnten Scheuklappen.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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