„Monsieur Claude“: Stolz und Vorurteile

Kino Mit „Monsieur Claude und sein großes Fest“ bleibt Philippe de Chauveron, der Regisseur der mittlerweile dreiteiligen Filmreihe, dem Rezept seiner Vorgängerfilme treu. Er erweitert den Kosmos sogar noch um immer mehr Stereotypen
Ausgabe 29/2022

Alles lacht. Bis auf einen. Als Mann, dessen Miene sich stetig versäuert angesichts des Einzugs des Multikulturalismus in seine Familie, so lernt man die Figur des „Monsieur Claude“ am Anfang kennen. Bei der Hochzeit seiner Tochter Isabelle mit dem algerisch-stämmigen Rachid versucht er noch ein aufgesetztes Lächeln, zuckt aber ob des rituellen Freudengeheuls der arabischen Verwandtschaft ganz schön zusammen. Als Tochter Odile den sephardischen Juden David ehelicht, haben sich seine Bedenken noch sichtlich vergrößert. Bei der Heirat von Tochter Ségolène mit dem Chino-Franzosen Chao schließlich muss seinetwegen sogar die Aufnahme des Hochzeitsfotos unterbrochen werden: Monsieur Claude ist endgültig das Lachen vergangen.

Das war im Jahr 2014, Frankreichs Staatspräsident hieß noch François Hollande. Mit über zwölf Millionen Besuchern wurde Monsieur Claude und seine Töchter in Frankreich einer der großen Hits nicht nur des Jahres 2014, sondern des Kinojahrzehnts. In Deutschland kam er zwar nicht an die neun Millionen verkaufter Tickets für Ziemlich beste Freunde (2011) heran, zog aber mit über 3,8 Millionen hierzulande mehr Zuschauer in die Kinos als Willkommen bei den Sch’tis, der seinerseits 2008 in Frankreich mit über 20 Millionen den Publikumsrekord gebrochen hatte.

Zusammen betrachtet ergeben diese großen Komödienerfolge einen Katalog der Fragen, die die französische Gesellschaft im 21. Jahrhundert spalten: der Gegensatz von Stadt und Provinz, die Kluft zwischen den Klassen und der grassierende Rassismus. Entsprechend ernst waren die Vorwürfe, die gegen alle drei Filme, besonders aber gegen Monsieur Claude erhoben wurden: dass der Film die rassistischen Stereotype, die er darstellt, mehr feiert als entlarvt, dass er in seiner Oberflächlichkeit eine falsche Versöhnlichkeit befördere und, der kritische Lieblingseinwand gegen alles Komödienhafte, dass das Lachen nicht genug im Halse stecken bleibe.

„Falsche Versöhnlichkeit“ passt als Beschreibung durchaus zur Monsieur-Claude-Reihe, wobei sich genau darin subversive Sprengkraft verbirgt. Der Clou des ersten Films lief darauf hinaus, dass sich der zur Fremdenfeindlichkeit neigende Claude und der ivorische Schwiegerpapa am Ende prima verstehen – hegen sie doch wechselseitig die in etwa gleichen Vorurteile. Als Koffi aus Abidjan zur Hochzeit nach Frankreich reist und vor der Villa von Claude die drei „migrantischen“ Schwiegersöhne erblickt, ist seine erste Frage: „Sind das Ihre Gärtner?“ Um dann, nach Aufklärung der Familienverhältnisse, erschrocken vor sich hin zu murmeln: „Das sind Kommunisten!“

Der noch größere Gag besteht freilich darin, dass die beiden Patriarchen sich nicht wirklich miteinander anfreunden, sprich versöhnen, sondern zu schrägen Rivalen werden im Kulturkampf. Im zweiten Film, Monsieur Claude 2, bringt die diebische Schadenfreude zum Lachen, mit der Claude dem Moment entgegenfiebert, an dem Koffi herausfinden muss, dass seine „gut erzogene“ Tochter – eine Frau heiraten will. „Ich hätte so gern sein Gesicht gesehen!“, japst Claude vor sich hin, und es ist vollkommen offensichtlich, dass in dieser Schadenfreude ein gut Teil Erleichterung darüber mitschwingt, dass es diesmal nicht seine Toleranz ist, die gefordert wird.

Ganz ähnlich wie mit der „falschen Versöhnlichkeit“ verhält es sich mit dem Vorwurf, dass die Filme ihre Vorurteile mehr feiern als entlarven. In der Tat ist das genau die Rezeptur: kaum eine Dialogzeile, in der es nicht in der einen oder anderen Weise um Vorurteile geht. Und nicht nur von Claude selbst. „Kommen Arafat und Jackie Chan auch?“, fragt David, bevor es zum Dinner mit der Verwandtschaft geht. Sein Schwager Rachid erkundigt sich im Parallelschnitt nach „Bruce Lee und Rabbi Jacob“. Kein Wunder, dass Claude nach einem gemeinsamen Dinner feststellt: „Das war kein Familienessen – das war eine Antirassismus-Konferenz!“.

Eingebetteter Medieninhalt

Das Sequel Monsieur Claude 2 (2019) kehrte die Perspektive der Vorurteile auf interessante Weise um. Nun waren es die auswanderungswilligen Schwiegersöhne, die ein Unbehagen an Frankreich thematisierten, das im Kontrast stand zu Claudes selbstgefälliger Xenophobie. Rechtsanwalt Rachid wollte keine Burka-Trägerinnen mehr verteidigen und stattdessen lieber die „Bikini-Revolution“ in Algerien voranbringen, Banker Chao fühlte sich wegen der wachsenden Kriminalität in Paris nicht mehr sicher, Schauspieler Charles hatte es satt, nur dialoglose Rollen als „schwarzer Mann“ angeboten zu bekommen, der notorisch erfolglose Unternehmer David klagte über zu viel Neid auf „Gewinner“ wie ihn.

Monsieur Claude und seiner Frau gelang es schließlich mit Bestechung und Vortäuschung falscher Tatsachen – auch das auf seine Weise ein Kommentar zur Lage –, die Schwiegersöhne zum Bleiben und sogar zum Umzug ins Loire-Provinznest Chinon zu überreden. Daran knüpft nun der dritte Teil, Monsieur Claude und sein großes Fest, nahtlos an. In der Auftaktsequenz wandert Claude durch sein Städtchen und es vergeht ihm einmal mehr das Lachen, weil überall ein Schwiegersohn lauert.

Den Vorwurf, das Rezept sei nun längst ausgelutscht, widerlegt Monsieur Claude und sein großes Fest erneut durch Affirmation und Steigerung. Die Welt der Vorurteile wird um die Eltern der Schwiegersöhne erweitert, die zum Familienfest nach Chinon kommen. Dem Claude-Universum treu begegnen sich hier weniger Menschen als Sterotype, diesmal erweitert um Themen wie Veganismus, Mauerbau in Israel, moderne Kunst und arabischen Punkrock.

Ob und wie lange man das lustig findet, hängt von Laune und Geschmack des Einzelnen ab. Das Projekt als solches kann man nur bewundern: Eine Welt frei von Vorurteilen ist nicht vorstellbar; besser man macht ein Feuerwerk daraus, sodass jedes einzelne vollkommen an Bedeutung verliert.

Monsieur Claude und sein großes Fest Philippe de Chauveron Frankreich 2021, 98 Min.

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