Sein Leben lang hat Jean-Luc Godard den Eindruck vermittelt, als ob er sich von Lobreden stets missverstanden fühlt. Das erschwert das Nachrufschreiben auf ihn, gilt doch immer noch die Regel, dass man sich dabei ans Positive zu halten hat. Um Godards Geist etwas zu besänftigen, sei deshalb gleich an dieser Stelle kolportiert, dass er viele Verehrer hatte, aber auch viele Feinde. Letzteres übrigens besonders unter eingefleischten Cinephilen, die ein tiefes Ressentiment hegen gegen seine „überintellektuellen“ Filme.
Dass Godard selbst zuvorderst ein Cinephiler war, der Vieles aus der Produktion von Classic Hollywood leidenschaftlich liebte, tut dem keinen Abbruch. Und nicht nur sein Werk stieß vielerorts auf Antipathie, auch seine Person. Jane Fonda, die
onda, die in seinem Tout va bien (1972) gegenüber von Yves Montand spielte, zog ihr negatives Fazit in drei klaren Sätzen: „Er ist ein solcher Frauenhasser. Es war die schlimmste Erfahrung meines Lebens. Ich möchte ihn nie wiedersehen.“ Ob ihm das je zu Ohren kam?Wie empfindlich Godard dagegen auf Lob reagieren konnte, wurde nicht zuletzt im Dezember 2007 deutlich, als die Europäische Filmakademie den 1930 in Paris geborenen und im schweizerischen Nyons Aufgewachsenen mit dem Preis für sein Lebenswerk auszeichnete. Godard wollte damals auf keinen Fall nach Berlin kommen. In abseits geführten Interviews stellte er stattdessen die Kompetenz der Jury in Frage, polemisierte gegen das Preissystem im Allgemeinen, dagegen, dass man ihn auszeichnete, ohne seine Filme zu kennen und gab sich ganz als grantiger alter Mann, dem man es nicht recht machen konnte – es sei denn, man hätte die Feier gleich in die Nähe seines Domizils am Genfer See verlegt.Francois Truffaut, Jean-Luc Godard und Alfred HitchcockEr war nicht immer der angenehmste Gesprächspartner. In den letzten Jahren wurde er vor allem von Anhängern interviewt, von Menschen, die ihm enthusiastisch entgegentraten. Und je größer dieser Enthusiasmus war, desto größer war oft seine Lust, dem die Luft abzudrehen. Er war eben ein wahrhaft kritischer Geist.In der Rolle eines eigensinnigen Unsympathen debütierte Godard übrigens schon als Schauspieler. So sieht man ihn in Eric Rohmers Erstlingsfilm aus dem Jahre 1959, Le signe du lion, als „Melomane“ während einer Party einen Plattenspieler bewachen, auf dem er stets ein und dasselbe Stück laufen lässt, vollkommen unbeeindruckt von seiner Umgebung. Wenig später lieferte Godard selbst mit A bout de souffle sein Spielfilmdebüt ab. Das war 1960, und die große Zeit der Nouvelle Vague war damit angebrochen. Die „Welle“ wurde – außer von Godards Filmen – von denen von Jacques Rivette, Eric Rohmer, Francois Truffaut, und Claude Chabrol gebildet. Sie alle kamen, im heutigen Kontext ein unvorstellbarer Umstand, von der Filmkritik. Bei den Cahiers du cinema hatten sie sich gegen den biederen französischen Nachkriegsfilm zur Vorliebe fürs amerikanische Kino bekannt und Alfred Hitchcock zum Auteur erklärt.Dabei ist es bezeichnend, dass es Truffaut und eben nicht Godard war, der das legendäre Interview mit Mr. Hitchcock machte. Die Filme, die Godard machte, könnten von Hitchcock kaum weiter entfernt sein. Wie ihr Autor besitzen sie nicht nur Selbstbewusstsein im Sinn von „Stolz“, sondern auch in dem von „sich selbst gewahr sein“. Die gängige Formel, einen Godard-Film zu beschreiben, war lange: Er reflektiert das Filmemachen mit.Godard: Ikone der Besserwisser Wie das geht? Ein oft dafür angeführtes Beispiel ist die Kamerabewegung in Weekend, bei der sie sich zweimal um die eigene Achse dreht und dann ein kleines Stückchen wieder zurück. Oder die überlang ausgedehnte Kamerafahrt entlang der Autoschlange im selben Film. Dem Zuschauer sollte so die „Gemachtheit“ des Films deutlich gemacht werden.Placeholder image-1In einem seiner bekanntesten Filme, Pierrot le fou (1965) tritt Sam Fuller höchstpersönlich auf und sagt auf die Frage der von Jean-Paul Belmondo gespielten Figur, wer er denn sei: „Mein Name ist Samuel Fuller. Ich bin ein amerikanischer Filmregisseur.“ Und später redet er davon, dass ein Film ein Schlachtfeld sei, voller Liebe, Hass, Action, Gewalt und Tod, voller Emotionen.Godard selbst aber dachte gar nicht daran, dieses Schlachtfeld der Emotionen in seinen Filmen einzulösen. Pierrot le fou handelt von der Liebe zu jenem Kino, das Fuller beschreibt, aber statt es nachzuahmen, erweist Godard ihm eine Hommage, die zugleich demonstriert, dass er die Machart dieses Kinos durchschaut. Und genau das hat Godard gewissermaßen zur Ikone der Besserwisser werden lassen.In den letzten Jahren hat sich Godard immer wieder darüber beklagt, dass man zwar ihn, nicht aber seine Filme kenne. Wer dem entgegenzusteuern versucht, wird feststellen, dass viele seiner Filme nicht ganz so gut gealtert sind. Was damals aufregend und neu war, das Reflektieren des Filmemachens selbst, wirkt heute oft enervierend und dogmatisch.Daran ist Godard nicht alleine schuld: Für seine spezifische Mischung aus Räuberpistole, Kinoleidenschaft und Belesenheit fehlt heute oft einfach das Referenzsystem. Die Zitate und Verweise, die er abruft – gleich in den ersten fünf Minuten von 2 ou 3 choses, que je sais d'elle sind das etwa: Simenon, Brecht, Vietnamkrieg und Industriegesellschaft –, bewegen den Zuschauer der Gegenwart nicht mehr im gleichen Maß. Was damals leicht und spielerisch erschien – Anna Karina als Gangsterbraut in Pierrot le fou – erscheint heute merkwürdig gestelzt, was damals zeitkritisch war, wirkt auf einmal redundant wie die Konsumkritik von Filmen wie Vivre sa vie und 2 ou 3 choses, que je sais d'elle, in denen ausgesprochen schöne Frauen sich prostituieren, um die Miete weiter bezahlen zu können. In Abwandlung eines Truffaut-Zitats über das Filmemachen könnte man Godards gesellschaftskritische Filme auch auf den Punkt bringen: Er lässt schöne Frauen unschöne Dinge tun.Filmische Essays zur KinogeschichteDas Lebenswerk Godards – ein Begriff, dem er sich vehement verweigert hat – besteht aus dem Kuriosum, großen Erfolg gehabt zu haben, ohne je besonders erfolgreich gewesen zu sein. A bout de souffle habe ihm Ruhm, aber kein Geld gebracht, genauso wie Le mèpris oder Pierrot le fou, um nur die bekanntesten zu nennen. Einzig Sauve qui peut (la vie) (1980) habe ihm Gewinn eingespielt. Nicht, dass man es den Filmen angesehen hätte: spätere Werke wie Nouvelle Vague (mit Alain Delon, 1990) oder Hélas pour moi (mit Gérard Depardieu, 1993) waren stets hochkarätig besetzt und aufwändig produziert. Nie jedoch lassen sie sich so weit herab, eine Geschichte zu erzählen.Schon seit den 60er Jahren hat Godard wie kein anderer Filmemacher den Einfluss der sich verändernden technischen Bedingungen auf die Bilder theoretisiert. In seinen furiosen filmischen Essays zur Kinogeschichte hat er immer wieder versucht, diesen Gedanken eine genuin cineastische Form zu geben.Ein besonders schöner Gedanke innerhalb seines eigenwilligen Theoriegebäudes widmet sich dem Zusammenhang von Filmgeschmack und Partnerschaft: Der Verbindung eines Fußballfans mit einer Klassikexpertin etwa stünde nichts im Weg, ein Paar jedoch, das nicht dieselben Filme mag, sei früher oder später zur Scheidung verurteilt. In diesem Sinn eignen sich Godards Filme übrigens hervorragend für ein erstes Date.Am 13. September 2022 ist Jean-Luc Godard im Alter von 91 Jahren in seinem Haus in Rolle, Schweiz, gestorben, wie unter anderem Le monde schrieb, war es ein assistierter Selbstmord.
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