Finale von „Better Call Saul“: Das Amerika der großen Unterschiede
Streaming „Better Call Saul“ ist der rare Fall einer Serie, die ihren Vorläufer „Breaking Bad“ noch übertrifft. Das hat viel mit den sozialen Nuancen zu tun, die dort beschrieben werden. Ein Blick auf die letzten Folgen
Als Maschine, „die eine bestimmte Aufgabe absichtlich in zahlreichen unnötigen und komplizierten Einzelschritten ausführt“, so definiert Wikipedia die „Rube-Goldberg-Maschine“. Der Name geht auf den amerikanischen Cartoonisten Reuben Goldberg und dessen Comics über die Erfindungen eines „Professor Lucifer Gorgonzola Butts“ zurück. Für David Segal, der die Serie Better Call Saul Folge für Folge seit 2015 für die New York Times bespricht, stellt sie eine Lieblingsmetapher dar. Tatsächlich trifft die Beschreibung, dass eine Aufgabe „absichtlich in zahlreichen unnötigen und komplizierten Einzelschritten“ ausgeführt wird, die Serie gleich mehrfach auf den Kopf.
Da sind zum einen natürlich die H
chen unnötigen und komplizierten Einzelschritten“ ausgeführt wird, die Serie gleich mehrfach auf den Kopf.Da sind zum einen natürlich die Handlungsstränge selbst, jene ausgetüftelten Schwindeleien, für die die von Bob Odenkirk gespielte Titelfigur ein besonderes Talent hat. Folge 10 der sechsten, finalen Staffel lieferte dafür einmal mehr ein gutes Beispiel: Da sah man Jimmy/Saul in seiner Deck-Identität Gene Takavic, die er am Serienende von Breaking Bad hatte annehmen müssen, um sich in Sicherheit zu bringen. Dieser Takavic führt eine freudlose Existenz. Als Filialleiter eines auf Zimtrollen spezialisierten Backgeschäfts in einem Einkaufszentrum in Omaha, Nebraska, muss er lange Stunden Teigmaschinen bedienen, Gebäck glasieren und Mülltüten rausbringen. Freunde hat der ganz aufs „Den-Kopf-unten-Halten“ konzentrierte Mann keine.Eingebetteter MedieninhaltBislang bekam der Zuschauer nur häppchenweise Einblicke in Genes Leben, in kurzen Vorspännen zu Beginn jeder Staffel von Better Call Saul. Nun aber, die Serie hat den zeitlichen Anschluss an die Ereignisse aus Breaking Bad fast erreicht, war eine ganze Folge allein Gene gewidmet. Er musste ein großes Problem lösen, weil ein Taxifahrer ihn wiedererkannt hatte. Gene ging es in genau der Art und Weise an, wie man es Jimmy/Saul Dutzende Male hat tun sehen: mit einer wahren Rube-Goldberg-Maschine von einem Plan.Wer der Serie seit 2015, oder gar schon Breaking Bad seit 2008, folgt, für den fühlte sich die Nippy betitelte Folge sehr vertraut an. Man sah einem Plot zu, von dem man nicht gleich begriff, worauf er hinauslaufen sollte, der aber mit seinen sorgfältig ausgedachten Details fesselte. Da lauerte Gene einer älteren Frau (Carole Burnett) auf und befreundete sich mit ihr, nur um schließlich mit ihrem Sohn Jeff ein elaboriertes Verbrechen zu planen. Während er die Sicherheitsleute mit Zimtrollen ablenkt, soll Jeff – der sich als der Taxifahrer, der ihn erkannt hatte, herausstellte – ein paar Luxuswaren im Einkaufszentrum rauben.Der Plan verlangt eine peinlich genaue Vorbereitung: Alle Wege müssen ausgemessen, die Freundschaft mit den Security-Männern muss entfaltet und gepflegt werden, Jeff muss mit Stoppuhr trainieren, wofür Gene ein 1:1-Modell des Einkaufszentrums mit allen Abteilungen im Schnee nachbaut. Obwohl dann doch etwas Entscheidendes schiefgeht, können sie am Ende ihren Coup feiern. Und dann stellt sich heraus, dass der Raub eigentlich gar nicht das Ziel der Aktion war, sondern dass es Gene um etwas anderes ging – um das Schweigen von Jeff. Hätte es da nicht einen direkteren Weg gegeben? Bestimmt, aber er hätte sicher weniger Vergnügen beim Zuschauen bereitet. Und hätte am Ende vielleicht sogar weniger überzeugt. Denn was Breaking Bad und Better Call Saul gleichermaßen auszeichnet, ist der Glaube an den Teufel, der im Detail steckt.Die Zeit zurückdrehenDie Metapher der Rube-Goldberg-Maschine passt nicht nur auf die vielen Pläne, die in Breaking Bad und Better Call Saul schon geschmiedet wurden, sie passt besonders gut zum Projekt der beiden Serien selbst. Breaking Bad war ein Meilenstein des „Qualitätsfernsehens“ der letzten 20 Jahre, dazu ein Prequel liefern zu wollen – was ist das anderes als der Versuch, „absichtlich in zahlreichen unnötigen und komplizierten Einzelschritten“ die Zeit zurückzudrehen? Nur um wieder da anzukommen wo 2008 Breaking Bad startete? Sind Prequels denn nicht langweilig, weil man das Ende schon kennt?Rein erzähltechnisch haben es sich die Better-Call-Saul-Erfinder Peter Gould und Vince Vinnigan von Anfang an schwer gemacht. Sie haben die bis dahin „flachste“ Figur aus Breaking Bad genommen, den auf die raren Momente des Humors spezialisierten Saul Goodman, und aus ihm zunächst jemand anderes gemacht: den strebsamen Kleinbetrüger Jimmy McGill, der unter der Obhut seines großen Bruders, eines erfolgreichen Rechtsanwalts, die Juristen-Ausbildung nachholt. Jimmy hatte bereits gewisse Ähnlichkeiten mit Saul – das große Talent, mit jedem locker ins Gespräch zu kommen –, aber er war dreidimensional, weil ihn ein Feld von zwiespältigen, mehrdeutigen Beziehungen umgab. Da war sein älterer Bruder, um dessen Respekt er warb und um den er sich fürsorglich kümmerte, sein Boss/Exboss Howard, den er tiefer und tiefer verachtete, seine Kollegin Kim Wexler, die zur Freundin, zur Komplizin und zur Geliebten wurde.Eingebetteter MedieninhaltBesonderes Vergnügen bereitete Better Call Saul, weil die Erzähler beim Entfalten ihrer Geschichte die gleiche Sorgfalt aufwendeten wie Gene/Jimmy/Saul bei ihren Schwindeleien: Man muss den Stöpsel der Tequila-Flasche, der da in Folge 1 von Staffel 6 auf dem Boden landete, nicht wiedererkennen, um die fortlaufende Handlung zu begreifen, aber alle, die wissen, wofür er steht, fühlten ihr Vertrauen darin bestärkt, dass die Autoren nicht vergessen haben, woher ihre Figuren kommen – und genau im Blick haben, wo sie im Finale landen werden.Das wiederum machte das Vergnügen an Better Call Saul fast noch größer als an Breaking Bad: die vielen vor allem auch sozialen Nuancen, die die detailversessene Erzählmaschine hervorbrachte. Nacho und sein sich zu Tode schuftender Migranten-Vater. Mark Ehrmantraut und seine Schwiegertochter, denen immer die letzten zehntausend Dollar fürs bessere Leben noch fehlen. Kim, die fleißige junge Frau aus schlechter Familie, die kurz vorm Erreichen ihrer Ziele entdeckt, dass sie nie wirklich dazugehören wird. Und natürlich die vielen Kleinschicksale ihrer „Kunden“ vor Gericht. Die Kamera bildet mit dichter Atmosphäre das Wüstenklima von New Mexico ab, die Handlung aber dokumentiert das Amerika der großen Unterschiede. So gesehen, ist Better Call Saul der umständliche, aber vergnügliche Beweis, dass es bei einer guten Geschichte gar nicht auf das Ende ankommt.Placeholder infobox-1
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