Nicht lustig, eigentlich

Serien Unsere Kolumnistin gewinnt die Nervbolzen aus „Please Like Me“ immer lieber. Spoiler-Anteil 22 Prozent
Ausgabe 42/2018

Vergangene Woche machte folgende Rechnung die Runde: Netflix habe in den letzten drei Monaten so viel neuen „Content“ online gestellt, dass man täglich siebeneinhalb Stunden hätte schauen müssen, um alles zu sehen. Zuviel – das war gestern, heute ist Überschwemmung das neue Normal. Was soll da erst morgen, sprich 2019, werden, wenn sowohl der Disney-Konzern als auch Warner und Apple ihre globalen Streamingplattformen eröffnen? Es bleibt nur eines: jede Idee, den Überblick behalten zu wollen, aufzugeben und einfach weiter nach dem Ausschau halten, was einem gefällt. Und es genießen, dass in Streamingzeiten der Nachteil des Ungleichzeitigen zugleich der Vorteil ist: Man kann noch Jahre später einsteigen und Fan einer Serie wie Please Like Me werden, die bereits 2016 ihr Ende fand und deren insgesamt vier Staffeln komplett auf Netflix zu finden sind.

Please Like Me spielt in Melbourne, Australien, ein bislang für den Serien-Gucker noch wenig erschlossener Ort, und ist aufs erste Hören von so erfrischend anderem Humor, dass man gar nicht weiß, worüber man lachen soll. Eigentlich ist erst mal nichts so richtig lustig: Die Serie beginnt mit der Trennung von Claire (Caitlin Stasey) und Josh (Josh Thomas) beim Eisessen; es ist ein Gespräch unter besten Freunden, Claire gesteht Josh, dass sie glaubt, er sei schwul. Der zögerliche Josh verneint erst noch, beginnt aber bald mit Geoffrey (Wade Briggs), einem Arbeitskollegen seines Mitbewohners und besten Freunds Tom (Thomas Ward), ein Verhältnis. Mit Ende der Pilotfolge ist Joshs homosexuelle Identität etabliert, von da an dreht sich alles um seine Kurz- und Langzeitbeziehungen zu verschiedenen Männern, genauso wie um die Toms zu verschiedenen Frauen. Josh und Tom sind um die 20 Jahre alt und ihre sozialen Zusammenkünfte haben noch die Unschuld von geschwänzten Schulnachmittagen. Jobs, Arbeit oder Ausbildungen spielen kaum eine Rolle, im Wesentlichen hängen Josh, Tom und Co. gemeinsam in der Wohnung rum, kochen und erzählen sich gegenseitig von ihren mehr oder weniger erfreulichen Erlebnissen im Beziehungsdschungel. Das klingt eigentlich schon fast langweilig, aber die demonstrative Entspanntheit steht im harten Kontrast zu einem Thema, an das sich Please Like Me so nah wie kaum eine andere Dramedy-Serie heranwagt: dem der mentalen Krankheiten.

Denn ebenfalls schon in der ersten Folge lernt man Joshs Mutter Rose (Debra Lawrence) kennen, die an einer bipolaren Störung leidet und mehrfach in der Serie einen Selbstmordversuch unternimmt. Rose verbringt die komplette zweite Staffel in einer Nervenklinik, und mehrere Figuren, die sie dort kennenlernt, gehen in den Charakterbestand der Serie über, so wie zunächst die quirlige Ginger (Denise Drysdale), der von Panikattacken geschüttelte Arnold (Keegan Joyce) und später die ewig depressive und grantige Hannah (Hannah Gadsby).

Wie oft bei Serien, deren Vergnügen im Wesentlichen darin besteht, dass man mit einem wiederkehrenden Personenkreis Zeit verbringt, braucht es eine Weile, bis man sich an Josh und seine Freunde gewöhnt hat, aber dann möchte man sie nicht mehr missen. Dabei ist es gar nicht so leicht zu beschreiben, was ihre Attraktion ausmacht, einfacher wäre es, ihre negativen Seiten aufzuzählen. Josh etwa kann einem mit seiner Selbstbezüglichkeit ganz schön auf den Wecker gehen, Toms ewige Unentschlossenheit nervt mindestens genauso und Mutter Rose ist sowohl in ihren depressiven als auch in ihren manischen Phasen schwer zu ertragen. Aber sie wachsen einem alle so sehr ans Herz, dass man sich am Ende der vierten Staffel vollkommen verwaist und desolat fühlt..

Die allerbeste Folge ist die vorvorletzte, eine sogenannte „bottle episode“, in der Josh seine lang geschiedenen Eltern Rose und Alan (David Roberts) zu einem 14-gängigen Degustationsmenü einlädt. Nicht dass sie sich dabei so viel Neues sagen würden, aber trotzdem passiert einiges im Lauf des Abends, es ergeben sich kleine, alltägliche Verschiebungen, deren volle emotionale Wirkung sich erst in der Folge darauf entfaltet. Vor einem Gang, der ihnen ganz besonders gut schmeckt, fangen die drei an, sich negative Dinge aufzuzählen, um über ihrem eigenen Entzücken nicht verrückt zu werden. Als Zuschauer kann es einem ganz ähnlich mit dieser „nervigen“ Serie gehen.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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