Niveauverlust im Dienste der Schönheit

Der postfeministische Alptraum "Germany's Next Topmodel" kann auf eine treue Fangemeinde zählen - allen Manipulationsspekulationen zum Trotz.

Wer sagt, dass erfolgreiches Fernsehen schön anzuschauen sein muss? Spätestens mit der Einführung des Reality-TV und seiner lärmigsten Unterart, der Castingshow zeigt sich, dass der modern denkende Fernsehproduzent auf ein Mittel setzt, das größere Bindekraft zwischen Sendung und Publikum erzeugt, als die bloße Attraktivität es je könnte: die Abstoßung. Wenn der Zuschauer schon am Anfang das Ende einer Staffel herbeisehnt und „Das schau ich jetzt bestimmt nicht mehr!“ stöhnt, dann hat er in der Regel bereits den Festplattenrekorder programmiert und die Folgen zur Sicherheit gleichzeitig über i-Tunes abonniert.

Wer nun denkt, das seien Scherze aus dem Feuilleton, schaue sich bitte im Forum der Internetseiten zu ProSiebens Germany’s Next Topmodel um. Dort handeln die meisten Beiträge schon jetzt, zu Beginn der vierten Staffel, vom Genervt sein über diversen Kandidatinnen. In großer Ausführlichkeit werden hier außerdem die Manipulationsmanöver der Macher besprochen, denen man schlichtweg alles zutraut, von der simplen Schiebung – „die wurde eingeschleust, um Quote zu machen!“ – bis hin zum großen Betrug – „die Siegerin steht schon lange fest!“. Die Erfahrung lehrt, dass es sich bei so viel Kritik nur um die treuesten Fans handeln kann.

In bestem Einklang mit dieser Widersprüchlichkeit befindet sich die Tatsache, dass es sich bei Germany’s Next Topmodel um eine Art postfeministischen Alptraum handelt, der seine Erfolgsquoten aber intelligenten jungen und nicht mehr ganz so jungen Frauen verdankt. Dementsprechend ungern bezeichnet man die Methoden dieser Castingshow als „raffiniert“ und muss doch vermuten, dass hier offenbar wohlüberlegte Strategien zur Anwendung kommen: Während es in der Sendung einerseits um die Schönheiten des weiblichen Körpers und seine überzeugende Darbietung geht, zieht die Sendung andererseits ihre eigentliche Dramatik aus den niedrigsten, man kann sogar sagen: den hässlichsten Eigenschaften des weiblichen Charakters. Eine geradezu dekonstruktivistische Doppelbödigkeit: Einerseits neue Frisuren, Schmink- und Stylingtipps, andererseits Intrigen, Stutenbeißerei und jede Menge Tränen. Zusammengesetzt wirkt das Ganze dabei tatsächlich wie ein polyphoner Roman: Ohne Unterlass geben die Beteiligten einem stets unsichtbar bleibenden Frager darüber Auskunft, wie sie sich gerade fühlen oder gefühlt haben: „Ich freu’ mich voll!“

Was soll man sagen? Es hilft kein Kritisieren, sondern nur die Einsicht, dass das Nervtötende die Attraktion ist.

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