Traurig ist es, wenn Kinos schließen. Aber wie der Buch-Fan kann auch der Serien-Enthusiast ein klein wenig frohlocken: Wo sonst immer nur Überforderung steht – wann soll man das alles gucken? –, erwachsen jetzt Gelegenheiten. Acht Staffeln Game of Thrones werden zum Klacks, wenn man jeden Abend in den eigenen vier Wänden verbringen muss. Hier ein paar Anregungen für Unentschiedene.
Better Things
Wie vieles doch vom Kontext abhängt: Der Titel klingt aktuell wie ein Versprechen auf kommende, bessere Zeiten. Und vielleicht war genau das schon intendiert, als Pamela Adlon ihre Serie entwarf, in der es um eine alleinerziehende Schauspielerin und deren Krisenzeiten geht: Die Kinder haben zunehmend erwachsene Probleme, die eigene Mutter wird pflegebedürftig und die Jobs werden rarer, weil sie die 50 erreicht hat. Ja, es handelt sich bei Better Things um das fast schon verdächtig modische Genre, in dem die Autorin eine fiktionale Version ihrer selbst in den Mittelpunkt stellt, aber Adlon ist originell genug, um das nicht bequem aussehen zu lassen. Ihren Nachnamen hat die Schauspielerin und Voice-over-Artistin übrigens aus der Ehe mit Felix Adlon, Sohn des deutschen Regisseurs Percy Adlon (Out of Rosenheim), aus der drei Töchter stammen, die als fiktionale Varianten weiblicher Kaprizen ebenfalls Eingang in die Serie finden. Better Things erzählt von Frauen und Krisen, das aber auf eine wundersam entspannte, unaufgeregte Art, die beruhigend wirkt, ohne versöhnlerisch zu sein. (2 Staffeln auf Amazon et al., 3. Staffel MagentaTV)
Better Call Saul
Die fünfte Staffel der Spin-off-Serie zu Breaking Bad ist gerade angelaufen und es geht in die Zielgerade: mit der nächsten, der sechsten soll die Erzählung über Jimmy McGill und wie aus ihm Saul Goodman wurde, seines Zeichens wortgewandter, flamboyanter Rechtsanwalt der Drogenmafia in Albuquerque, New Mexico, abgeschlossen sein. Eine Aussicht, der man als Fan von Better Call Saul (für viele die eigentlich bessere Serie) nur mit Melancholie entgegensehen kann, denn Jimmy McGill ist einem ans Herz gewachsen, gerade weil er so viel weniger zum „bösen“ Helden taugt als Breaking Bads Walter White. Gleichzeitig war McGill, von Bob Odenkirk auf der präzisen Grenze zwischen schmierig und leutselig angelegt, schon immer eine viel windigere, fehlbarere Figur als das Vorbild, das noch ganz in den Parametern selbstherrlicher Männlichkeit entworfen war. Was es nicht zuletzt möglich machte, dass neben Jimmy McGill eine der interessantesten Frauenfiguren der Seriengeschichte entstand: Rhea Seehorns Kim Wexler, die sich in kein Klischee fügt, weder das der taffen, sexy Partnerin noch das der duldsamen, emotionalen Freundin. Kim ist ihr eigenes Ding, schweigsam, fleißig und in zunehmendem Maße wütend. Man hat große Angst um sie. (Netflix)
Bojack Horseman
Ende Januar ging’s zu Ende mit dem Pferd, das in den 90ern mal ein Fernsehstar war. Nach sechs Staffeln und 44 Folgen, die so viel mehr sind als nur eine animierte Parodie auf Hollywood und den Medienbetrieb. Wie keine andere Serie könnte Bojack Horseman davon profitieren, dass man sie ohne Zeitdruck guckt: Endlich ist genug Muße, um den Bildschirm immer wieder einzufrieren und sich an all den gezeichneten Nebengags im Hintergrund zu erfreuen. Raphael Bob-Waksberg würfelt Mensch und Tierarten in seiner Satire völlig vorurteilslos durcheinander. „Quentin Tarantulino“ oder „Maggot Gyllenhaal“ interagieren mit „character actress Margo Martindale“. Und während Bojack, das von Will Arnett synchronisierte Pferd, das mal die Hauptfigur einer Sitcom mit dem Titel Horsin’ around war, zahllose Zyklen von Depression, Drogensucht, Altern, Überleben, Verzeihen und Weitermachen durchläuft, gibt es da immer wieder diese Anspielungen am Rand. Ein Bär, der ein T-Shirt trägt mit der Aufschrift: „Bojack is unbearable“. Oder der Buchladen, in dem eine Abteilung „SciFly“ und eine andere „Shrew Crime“ heißt. Genau das, was derzeit nottut: eine Fundgrube an bittersüßen Lebensweisheiten, begleitet von herrlich albernen Scherzen in Wort und Bild. (Netflix)
Line of Duty
Manche brauchen Spannung, um sich abzulenken. Mit fünf Staffeln Line of Duty ist man in dieser Hinsicht gut versorgt. Schöpfer Jed Mercurio wurde außerhalb Großbritanniens erst mit dem durchschlagenden Erfolg von Bodyguard bekannt, das im Übrigen der Line-of-Duty-Serie sehr ähnlich ist. Wobei in Line of Duty noch weniger der einzelne Held bzw. Antiheld im Vordergrund steht, sondern ein Geflecht von Figuren aus Polizei, Verbrechen und Politik, deren Agieren sich erst nach und nach zu einem Puzzle zusammenfügt, das sich wiederum am Ende wieder und wieder als nur ein Teil eines größeren, noch nicht durchschauten Gesamtzusammenhangs herausstellt. Klingt kompliziert, sogar ein wenig anstrengend? Ist es auch, aber genau deshalb bestens dazu geeignet, von unerfreulichen Ereignissen im wahren Leben abzulenken. (Amazon)
Westworld
Für manche war es ein Grund, aufzugeben: War die erste Staffel der Themenpark- und Zeitreise-Erzählung schon kompliziert genug, erreichte das Rätselraten um Mensch oder Roboter in der zweiten Staffel der HBO-Serie eine Komplexität, die systematische Nach- und Vorbereitung erforderte, um auf dem Laufenden zu bleiben. Aber genau das kann auch ein Grund sein, um mit Lust wieder einzusteigen, wenn dieser Tage die dritte Staffel anläuft. Man kann sich regelrecht verlieren in dieser Welt aus Roboterrebellion, Technik-Philosophie und Erzählakrobatik. Keine andere Serie bietet außerdem die Chance auf so viel Gemeinschaft: Zahlreiche Podcasts und Reddits stehen bereit, um mit präzis gesetzten Spoilerwarnungen Details zu analysieren und zu enträtseln. (Sky)
Patriot
Steven Conrads schwarzhumoriges Comedy-Drama über einen amerikanischen Spion, den es auf einer hochsensiblen Mission wider Willen ausgerechnet nach Luxemburg verschlägt, gehört zu den unentdeckten Perlen der Streaming-Ära. „Sad Spies“ nennen Anhänger die Serie mit geradezu zärtlichem Unterton, denn tatsächlich gab es in der ganzen Film- und Fernsehgeschichte wohl keinen traurigeren Agenten als Michael Dormans John. Sein Job schlägt ihm so sehr aufs Gemüt, dass er eines Abends auf einer Kleinkunstbühne mit Gitarre in der Hand beinahe Hochverrat begeht, als er sich seine Bedrückung von der Seele singen will. John ist nicht der Einzige, der hier gegen den Strich des Spionage-Thriller-Genres agiert: Sein Vater, sein Bruder, seine Kollegen aus der Firma, bei der er zur Deckung arbeitet, sie sind alle völlig anders, als man es sonst so kennt aus der James-Bond- und Jason-Bourne-Welt. Wenn es nicht so banal klänge, würde man sagen: Sie verhalten sich menschlicher. Was der Grausamkeit des Agenten-Handwerks manchmal keinen Abbruch tut. Luxemburg, jenes Abbild an westeuropäischer Altstadt-mit-Fußgängerzone-Aufgeräumtheit, in der Rolle des Horts eines internationalen Agenten- und Doppelagentengeweses zu sehen, bereitet hier zusätzlich höchsten satirischen Genuss. Nach zwei Staffeln mit insgesamt 18 Folgen wurde die Produktion erst mal angehalten, eine Fortsetzung scheint unwahrscheinlich. Was jeden, der auch nur zwei Folgen von Patriot gesehen hat, ungeheuer traurig stimmen wird. (Amazon)
Years and Years
Wie war das? Kaum etwas altert schneller als die Zukunftsvisionen von gestern. Dafür liefert die BBC/HBO-Produktion aus der Feder der britischen TV-Legende Russell T Davies erneut den besten Beweis. Noch kein Jahr alt (Erstausstrahlung war im Vereinigten Königreich im Mai 2019), erweist sich die Schreckensvision, die Davies hier in sechs Folgen zur nahen Zukunft entwickelt, bereits als überholt. Aber nicht so, dass es sich nicht doch lohnen würde, einzusteigen, wenn im Kreise einer typischen Familie zuerst der Brexit vollzogen und dann weitergedacht wird in die bevorstehenden zwanziger Jahre hinein: Mit einer von Emma Thompson gespielten Politikerin kommt eine Rechtspopulistin an die Macht, die Boris Johnson das Fürchten lehren könnte, Migrations-, Banken- und Umweltkrisen kulminieren, während ein paar Geschwister nur mühsam den Zusammenhalt wahren. Drum herum versucht die Serie den technischen Fortschritt weiterzudenken, mal mit belustigender, mal mit bedrohlicher Wirkung. (Starz)
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