Ohne Erlösung

Im Kino "Die Passion Christi" von Mel Gibson

Es war eine eher profane Meldung, die vor ein paar Wochen mein Interesse an Mel Gibsons The Passion of the Christ erst richtig weckte. Mit 2.000 Kopien, hieß es da, solle der Film in den USA gestartet werden und wäre damit der größte Filmstart eines untertitelten Films, mithin die breiteste "dead lingo release" aller Zeiten. Was mich an dieser Meldung faszinierte, war, wie hier eigentlich Unvereinbares zusammenkam: Die Rekordambition eines Blockbusters mit lauter Merkmalen, die als sichereres Kassengift gelten; die freche Wortschöpfung des Variety-News-Talk und das eigenbrötlerische Projekt eines in die Jahre gekommenen Actionstars, der sich offenbar in die Exzentrik katholischer Sektierer zurückgezogen hat.

Dass ein privat produzierter Film ohne Stars, in dem nur aramäisch und Latein gesprochen wird, zum Massenkulturphänomen werden könnte, das hat sich selbst wenige Wochen vor dem Filmstart noch niemand wirklich vorstellen können. Nur die besonders Kühnen gestanden angesichts des Medieninteresses und der Vorbestellungen von zahlreichen religiösen Gruppierungen damals die Möglichkeit ein, Mel Gibson Jesus-Film könnte es unter die ersten 100 der erfolgreichsten Filme aller Zeiten bringen. Am Aschermittwoch mit schließlich über 3.000 Kopien (nur unerheblich weniger als der letzte Star Wars-Film) gestartet, sieht es zumindest auf dem US-Markt so aus, als würde Passion bald nur noch mit den Welterfolgen Titanic und Herr der Ringe konkurrieren.

Doch das sind natürlich nur Zahlen, schnöder Kommerz. Unterdessen hat Mel Gibsons Passion of the Christ einen anderen Rekord gebrochen, der allerdings etwas schwerer zu quantifizieren ist: Der im Vorfeld mit den meisten Meinungen, Stellungnahmen und Kontroversen bedachte Film. Dass Kritikermeinung und Zuschauerzuspruch weit auseinanderdriften, ist an sich nichts ungewöhnliches, ungewöhnlich aber ist es, dass von der Frage, wie gut oder wie schlecht man diesen Film findet, selbst wenn man das nicht will, echte Glaubensfragen berührt werden. Amerikanische Kritiker erzählen von Hassbriefen, die sie auf ihre schlechten Besprechungen hin bekommen hätten, von Menschen, die ihre Kritik am Film als Kritik an der Wahrheit der Evangelien verstehen. Andere versuchen die erhitzten Gemüter zu beruhigen: "It´s only a movie" - Es sei doch nur ein Film!

Und doch ist genau das so schwer, The Passion of the Christ nur als einen Film zu sehen. Was angesichts der Vorlage nicht verwunderlich ist. Denn so wenig der abendländische Zuschauer diesen Film voraussetzungslos gucken kann, so wenig konnte Mel Gibson seinen Film voraussetzungslos, soll heißen: ohne kulturelle Vorprägung inszenieren. Von den Szenen der Verhaftung im Garten Gethsemane bis zur Pietá nach der Kreuzabnahme, von der Gegenüberstellung bei Pontius Pilatus bis zur Kreuzaufstellung auf Golgatha ist The Passion voll von Gesten, Einstellungen und Bildkompositionen, die man so ähnlich schon anderswo gesehen hat, in zahlreichen Kirchen und Museen bilden sie den Stoff eines kulturellen Erbes, das selbst der bekennende Atheist mit sich herumschleppt. Wahrscheinlich empfinden genau deshalb so viele Mel Gibsons Version der Passion als "wahr", weil er sich durchweg an die herkömmliche Ikonographie hält. Zumal Gibson diese Übereinstimmung mit dem kulturellen Code nicht als Zitate erkennbar werden lässt, sondern er eher wie unbewusst beim Regieführen aus dem reichen Fundus des kulturellen Gedächtnisses geschöpft zu haben scheint.

Überhaupt erstaunt im Grunde die unartistische Geste des Films: Es ist eine Inszenierung nicht ohne Leidenschaft, aber ohne Raffinement, eben ohne jenes Bemühen um eine eigene Sichtweise, die wir gewohnt sind als die eigentliche künstlerische Leistung zu empfinden. Tatsächlich will Gibson sich als Instrument des Heiligen Geistes gesehen haben. Was im Ergebnis dazu führt, dass es sich bei Die Passion Christi in fast jeder Hinsicht um einen überaus konventionellen Film handelt. Die seelenvollen Nahaufnahmen, das Spiel der Blicke, die sentimental eingefärbten Rückblenden - Jesus als Schreiner im Hause seiner Mutter, Jesus beim Abendmahl mit den Jüngern, Jesus bei der Bergpredigt -, der Einsatz von Nebel, Geflüster und unterschwellig bedrohlicher Musik, fast alles ist hier so wie in anderen Filmen auch. Von den monumentalen biblischen Verfilmungen eines Cecil B. DeMille unterscheidet Gibsons Werk allerdings der entschiedene Verzicht auf das naive Pathos des Guten.

Denn das Besondere - und der eigentliche Skandal - an Die Passion Christi ist Gibsons Fokus auf die Gewalt. Wobei sich der Film auch beim Wie der Gewaltdarstellungen an die Konventionen hält: Die grausamsten Bilder überlässt er der Phantasie des Zuschauers. Auf der Leinwand, verstärkt durch Toneffekte, wird die Gewalt da am schrecklichsten, wo sie in ihren "Nebenwirkungen" bebildert wird: In dem monströs geschwollenen Auge von Jesus, in den Blutspritzern auf den Gesichtern der Folterer und den Blutlachen, die die Geißelung hinterlässt.

Die merkwürdige Rohheit und Unreflektiertheit, die in dieser Konzentration auf den Gewaltakt liegt, beunruhigt und lässt paternalistisch denken: Was fängt jemand mit dieser Darstellung an, der die Geschichte nicht kennt? Was sieht man, wenn man nicht im Christentum aufgewachsen ist? Die grausame Folterung eines Mannes, der- und das ist allerdings ungewöhnlich für ein Kinoerlebnis - seinen Peinigern nichts entgegensetzt, sondern gar einverstanden ist mit dem, was ihm da wiederfährt. Das Hollywood-verwöhnte Zuschauerherz mag sich wünschen, dass die Peiniger am Ende bestraft werden. Doch das Drehbuch hält sich hier ziemlich streng an die Vorlage und bietet keine Instant-Erlösung.

Obwohl man Gibsons Film wahrscheinlich zu Recht vorwirft, dass die Ausführlichkeit der Gewalt seine eigentliche Attraktion darstellt, muss man sich auch fragen, ob der Regisseur hier nicht eine Obsession des Gros seiner Zuschauer teilt. Anders gesagt: Ob nicht die Faszination von Gewaltdarstellungen mit dem Gründungsakt des Christentums mehr zu tun hat, als so mancher Medienkritiker wahrhaben will. Es ist schon eine merkwürdige Ambivalenz, in die der Film seine Zuschauer versetzt: Für knapp über zwei Stunden macht er sie zu Zeugen eines Geschehens, von dem sie kaum wollen können, dass es passiert, aber das dennoch passieren muss, damit das Versprechen auf Erlösung in Erfüllung geht. So ist denn das Bewegendste an The Passion die Inszenierung der Blicke derer, die im Wissen um diese Prophezeiung zuschauen: Wie Maria, deren ganz eigenes Martyrium im Mitansehenmüssen der Schrecklichkeiten die Schauspielerin Maia Morgenstern auf erstaunliche Weise mit nur wenigen Szenen nachvollziehbar werden lässt.

Für wenige Momente sieht man in den letzten Szenen des Films den wiederauferstandenen Jesus - der Kino-Konvention nach würde der erfahrene Zuschauer das als Hinweis auf das kommende Sequel deuten: Die Passion Christi II - Die Auferstehung. Der kommerzielle Erfolg von Mel Gibsons Film lässt so etwas nicht so unwahrscheinlich erscheinen, wie es zunächst klingt.


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