O´Horten von Bent Hamer

Kino Bei Komödien, zumal bei solchen, in denen Sonderlinge im Mittelpunkt stehen, ist es wichtig, zwischen denen mit freundlicher und denen mit eher ...

Bei Komödien, zumal bei solchen, in denen Sonderlinge im Mittelpunkt stehen, ist es wichtig, zwischen denen mit freundlicher und denen mit eher unfreundlicher Gesinnung zu unterscheiden. Das ist kein Werturteil, handelt es sich doch um verschiedene Perspektiven auf das Leben, getrennt durch den schmalen Grat zwischen Ironie und Zynismus, den Unterschied zwischen Hoffnung und Verzweiflung.

Bent Hamers O´Horten scheint auf den ersten Blick zu den freundlich gesinnten Sonderlingskomödien zu gehören. Schon deshalb, weil die Ausgangssituation - ein Eisenbahner geht in Pension - es einfach macht, eine vermeintlich witzige Zusammenfassung der Handlung zu geben im Stil von "Sein Alltag gerät mit der Pensionierung aus dem Gleis" oder "Der Eisenbahner, der nun nicht mehr nach Fahrplan leben" kann.

Ach ja, wäre das Leben doch mehr wie eine Eisenbahnfahrt, in stetigem Tempo dahingleitend durch ein hügeliges und verschneites Norwegen, wo jeder dunkle Tunnel schnell wieder seinen strahlenden Ausgang hat. Nicht umsonst ist Lokomotivführer ein Traumberuf, das bringen diese ersten Szenen des Films leichthin in Erinnerung. Doch so unweigerlich jede Strecke ihre Endstation hat, so unaufhaltsam steht Odd Horten (Bard Owe) - den wir hier als allein lebenden, sorgfältig seine Hosen bügelnden Mann vorgestellt bekommen - vor seiner letzten Fahrt. Am Vorabend findet die Abschiedsfeier im Kollegenkreis statt. Sie führen für ihn einen kleinen Eisenbahntanz auf und zum ersten Mal zerfurcht ein vorsichtiges Lächeln das ohnehin ziemlich verwitterte Antlitz von Odd. Man begreift, dass dieser Mann an seiner Arbeit hängt, aber genug vom Leben versteht, um zu wissen, dass er nicht länger daran festhalten kann. Als ihm die Silberne Lokomotive für fast 40 Dienstjahre überreicht wird, wirkt Odd so, als habe er sich innerlich schon verabschiedet.

Vielleicht ist diese innere Distanz die Ursache dafür, dass Odd am selben Abend noch das Folgende erlebt: Die Kollegen wollen privat weiterfeiern und überreden ihn, noch mitzukommen. Vor der Haustür fällt ihm ein, dass er noch Tabak braucht und verspricht nachzukommen. Doch als er kurz darauf alleine vor der Haustür des Wohngebäudes steht, versagt die Sprechanlage, Odd sieht sich gezwungen, am Gerüst hinaufzuklettern, landet in einer falschen Wohnung und wird dort von einem kleinen Jungen "festgehalten", der von ihm Einschlafhilfe will, sonst würde er Krach schlagen. Und dann schläft Odd selbst ein und verpasst am nächsten Morgen seine letzte Dienstfahrt. Was kein gutes Zeichen zu sein scheint für den Beginn des Rentnerdaseins.

Von da an häufen sich derartige Erlebnisse im Leben von Odd. Bent Hamer (Kitchen Stories) aber hält in seiner Inszenierung auf wunderbare Weise offen, ob es die Welt ist, die sich plötzlich absurd gebärdet und vor Odds wachen Augen einen älteren Mann auf seiner Aktentasche die vereiste Straße herunterrutschen lässt. Oder ob es Odds durch die Rente erzwungener Perspektivwechsel ist, der das Leben auf einmal so seltsam und unberechenbar macht. Die Irritation ist Odds an Buster Keaton erinnernder Deadpan-Miene kaum abzulesen. Sei es, dass der Koch seines Stammlokals plötzlich verhaftet wird, sei es dass er sich haltlos in den Frachträumen des Osloer Flughafens verirrt oder dass er das Schwimmbad auf roten Stöckelschuhen verlassen muss, stets fügt sich Odd mit stoischer Würde ins Missgeschick.

Manche Zuschauer werden sich auf gepflegte Weise langweilen beim freundlichen Witz der aneinandergereihten Situationen, die immer wieder einen Drall zum Absurden entwickeln, eingetaucht in das gleichzeitig gemütliche und unheimliche Dunkel des norwegischer Winters. Andere aber werden den leisen Ton echter Verzweiflung erkennen, der diese vorgeblich so nette Komödie durchzieht. Das Alter, das zeigen Odds Missgeschicke, wirkt manchmal wie eine Tarnkappe: Man wird leicht übersehen, was kränkend, aber auch befreiend sein kann. Ohne es zu plakatieren, hat Hamer einen sehr ehrlichen Film gedreht, der deutlich wie selten zeigt, dass Altern nichts für Feiglinge ist. Genau wie Skispringen.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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