Paris, Paris

Kino Volker Schlöndorff huldigt mit „Diplomatie“ seiner eigenen Frankophilie
Ausgabe 35/2014
Paris,  Paris

Bild: Neue Visionen

Wie viele Filmemacher seiner Generation hegt er eine besondere Beziehung zu Frankreich. Volker Schlöndorff hat dort sein Abitur gemacht und während des Studiums in der Nouvelle Vague die Neigung zum Filmemachen entdeckt. Sein Debüt Der junge Törless wurde 1966 nach Cannes eingeladen. Frankophilie ist für ihn eng mit der Bewunderung für die Résistance und einer antifaschistischen Grundhaltung verbunden.

Das sei vorausgeschickt, weil es Schlöndorffs Neigung zu jenem langlebigen Mythos erklären hilft, der seinem neuen Film Diplomatie zugrunde liegt: der „Rettung von Paris“ durch den deutschen General Dietrich von Choltitz, den im August 1944 von den Nazis eingesetzten Stadtkommandanten. Natürlich gibt sich der Film nicht als Historiendokument aus: Schlöndorff hat das Theaterstück von Cyril Gély verfilmt, das 2011 im Pariser Théâtre de la Madeleine Premiere feierte. Mit denselben Schauspielern in den Hauptrollen: Niels Arestrup spielt von Choltitz, André Dussollier den schwedischen Diplomaten Raoul Nordling. Zwar tauchen im Film noch weitere prominente Darsteller wie Burghart Klaußner oder Robert Stadlober auf, doch ist Diplomatie auch auf der Leinwand ein Zweipersonenstück.

Die Handlung spielt am 25. August 1944, von Choltitz hat Hitlers Order bekommen mit dem berühmten Schlusssatz: „Paris darf nicht oder nur als Trümmerfeld in die Hand des Feindes fallen.“ Da steht, wie herbeigezaubert, Nordling im Zimmer, der anfängt, dem General ins Gewissen zu reden. So diskutieren sie, zwei keineswegs angenehme Männer – der eine, Nordling, zu schleimig, der andere, von Choltitz, zu altmännertief von Militär- und Nazi-Ideologie durchdrungen. Die Argumente, die ausgetauscht werden, sind keine besonders raffinierten. Von Choltitz ist ein Mann des Befehls, gleichzeitig aber intelligent und menschlich genug, um für Versprechungen, die das Wohlergehen seiner Familie garantieren, offen zu sein. Dem Hauptargument Nordlings widersetzt er sich mit kalkulierter dramaturgischer Wirkung immer weniger: Dass Paris nicht vernichtet werden darf, weil es ein Stück ganz großer Geisteskultur ist.

Der Ausgang der Geschichte ist bekannt. Hitlers dringende Nachfrage „Brennt Paris?“ wurde negativ beantwortet. Von Choltitz wurde als Befehlsverweigerer und „Retter“ stilisiert, nicht zuletzt in René Cléments Romanverfilmung Paris, brûle-t-il? (Brennt Paris?, 1966), in der Orson Welles und Gert Fröbe das Duo Nordling-Choltitz verkörperten. Wie bei Clément kann man sich bei Schlöndorff an den Darstellern erfreuen, die das Alt-, das Mann-, das Kulturbürgersein als beschwerliche Bürde zelebrieren.

Aber je größer der Abstand zu den wahren Ereignissen wird, je fiktionaler das Drehbuch mit seiner geschliffenen Argumentation daherkommt, desto störender fällt der pathetische Ballast dieses Rettermythos ins Auge. Nicht nur, weil die neuere Forschung besagt, dass von Choltitz gar nicht mehr die Kriegsmittel und Sprengsätze gehabt habe, um das angeordnete Werk tatsächlich zu vollbringen beziehungsweise seine Motive sich vielleicht doch eher aus persönlichen Vorteilen ableiteten. Nein, es stört die Struktur des Arguments, dass Paris als der Inbegriff europäischen Guts verteidigt wird, ohne dass man die fürchterlichen Zerstörungstaten im Osten – Warschau, Sewastopol, die Belagerung Leningrads – auch nur erwähnt. Paris bedeutet uns allen etwas. Dass es mit Vilnius, Charkiv oder Lemberg nicht genauso ist, ist eine nicht auszulöschende Schuld der deutschen Kriegsführung.

Diplomatie Volker Schlöndorff Frankreich/Deutschland 2014, 84 Minuten

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