Seien wir mal ehrlich: Wenn man wirklich wissen wollte, was um den Mauerfall herum in der DDR passiert ist, würde man dazu das ZDF einschalten? Für einen Dreiteiler mit dem zweifelhaften Titel Preis der Freiheit? Wer das ZDF kennt, weiß, dass solche „TV-Ereignisse“ andere Funktionen erfüllen als die der Aufklärung oder Wissensbefriedigung. Welche das sind, ist allerdings gar nicht so leicht zu beantworten.
Frank Zervos, der zuständige Hauptredaktionsleiter, schreibt von der „Tradition des ZDF, einschneidende historische Momente der deutschen Geschichte in einer fiktionalen Erzählung aufzugreifen und zur Diskussion zu stellen“. Sehr viel niedriger kann man die Latte eigentlich nicht legen.
Als leidgeprüfter Zuschauer will man schon froh sein, dass bei Preis der Freiheit nicht wieder das bewährte fiktionale Element einer Frau zwischen zwei Männern zum Einsatz kommt, mit dem das öffentlich-rechtliche Fernsehen sonst so gerne seine Geschichtslektionen „aufgreift und zur Diskussion stellt“. Nein, beim Dreiteiler-Special zum 30-jährigen Jahrestag des Mauerfalls ist es immerhin ein ganzer Familienclan, die Bohlas, mit drei Schwestern (Stichwort: starke Frauen!) im Zentrum, dessen diverse Mitglieder gut verteilt alle Brennpunkte der relevanten Historie abdecken, von Stasi und „KoKo“ bis zu Oppositions-, Neonazi- und BRD-Regierungskreisen. Einer beziehungsweise eine ist immer gerade dort dabei, wo’s historisch kracht. Wenn die Überwachung so gut funktioniert hätte, wie man immer sagt, hätten die Bohlas wahrscheinlich niemals den November 1989 miterlebt. Aber Scherz beiseite, selbstverständlich hat niemand hier die Absicht, eine reale Geschichte zu erzählen.
Die diversen Aspekte der komplizierten Historie rund um den Mauerfall werden auf den Familienstammbaum der Bohlas verteilt, nach einem System, das die erfahrene Hand eines Zufallsgenerators verrät: Oberhaupt der Familie ist die sture Else, mit inniger Grimmigkeit gespielt von Angela Winkler, die die alte Garde der linientreuen Kommunisten repräsentiert. Ihren strammen Antifaschismus lebt sie damit aus, dass sie der jüngeren Generation gern mangelnde Härte vorwirft. Damit nicht genug, steht Elses Häuschen in der Nähe von Bitterfeld, was sie im zweiten Teil zu einer Betroffenen des Umweltskandals macht – das selbst gezogene Gemüse in ihrem Garten ist vielleicht nicht mehr essbar. Und im dritten Teil hat es dann ein Wessi auf ihr Haus abgesehen, der behauptet, es habe mal seiner Familie gehört. Dem zeigt Else es dann aber!
Alles ganz repräsentativ
In ähnlicher Weise akkumulieren ihre drei Töchter verschiedene, nicht immer zusammenpassende, aber immer repräsentative Probleme: Nicolette Krebitz spielt die geheimnisvolle Ina Winter, die im ersten Teil auf westdeutscher Seite als ruchlose Unterhändlerin im DDR/BRD-Geschäft Furore macht. Sie stellt sich dann – es ist kein wirkliches Geheimnis, denn die Serie wird ja als „Drama um drei Schwestern“ beworben – als totgeglaubte Silvia Bohla heraus, die vor Jahren nach einem gescheiterten Fluchtversuch „heimlich“ an den Westen verkauft wurde und dort aus in der Serie nie erläuterten Gründen eine neue Identität annahm. Arrangiert hat den Verkauf ihre Schwester, die stolze Margot (Barbara Auer), die bei der legendären „KoKo“ arbeitet, dem „Bereich Kommerzielle Koordinierung“, der unter Leitung des schillernden Alexander Schalck-Golodkowski später ganz schön in Verruf geraten wird, unter anderem wegen Menschen- und Waffenhandel.
Bei Margot sind auch die zwei Kinder geblieben, die Silvia in der DDR zurückließ. Und obwohl sie als mächtige Person dargestellt wird, die mit Devisen-Millionen jongliert und der Stasi (mehr als fiese Metapher denn als Charakter von Godehard Giese verkörpert) die Stirn bietet, kann sie nicht verhindern, dass Silvias Sohn Roland (Aaron Hilmer) nicht zum Studium zugelassen wird und daraufhin die Republik verlassen will. Die Augen ihres Mannes Paul (Joachim Król) werden immer trauriger, obwohl er die doch eigentlich erfreuliche Rolle des Leiters eines Volkseigenen Betriebs ausfüllt, der mit einer letzten Innovation die Ehre der DDR-Betriebe retten darf: Die Erfindung des FCKW-freien Kühlschranks wird in der Serie dafür einfach etwas vorverlegt.
Fehlt noch die dritte Schwester, die von Nadja Uhl gespielte Lotte, die die unvermeidliche kohlebeheizte Prenzlauer-Berg-Wohnung in Mauernähe hat, sich als Buchhändlerin über den Mangel an „interessanten Büchern“ beklagt und bald in der Umweltbewegung um die Zionskirche aktiv wird. Lotte vertritt den „linken“ Widerstand, der die DDR verändern, aber erhalten möchte, und weil das Element noch fehlt, muss ihr Sohn Ingo (Michelangelo Fortuzzi) sich den Neonazis zuwenden.
Diese Anhäufung von historisch relevantem Material in einer Familie mag unwahrscheinlich sein, ist aber an sich nicht uninteressant. Erst die Umsetzung in Szenen wie der folgenden macht das Ganze zur Kolportage: Als es um das Punkkonzert in der Zionskirche am 17. Oktober 1987 geht, das von einer Gruppe prügelnder Neonazis gestürmt wurde, muss im Reenactment natürlich Mutter Lotte unter den Angreifern ihren Sohn Ingo erblicken. Am 9. November will es der Drehbuchzufall, dass der im Jahr zuvor freigekaufte Republikflüchtling Roland den Westberliner Technoschuppen, in dem er auflegt, gerade in dem Moment für eine Rauchpause verlässt, als der erste Trabi auftaucht – im selben Moment übrigens, in dem seine verstorben geglaubte, schon lange im Westen lebende Mutter ihn ausfindig gemacht hat. Und als im dritten Teil „KoKo“-Margot beim Verlassen ihres Büros im Dezember 1989 von Demonstranten bedrängt wird, zieht sie eine Waffe – und hat natürlich wieder Schwester Lotte vor dem Visier.
Es sind all diese künstlichen Showdown-Posen, die aus Preis der Freiheit eine doch wieder öde Angelegenheit machen. Figurenentwicklung gibt es in der Serie so gut wie keine, dafür jede Menge Stoff: das Genesis-Konzert vor dem Reichstag und die Verhaftung von Fans auf der anderen Seite, Ronald Reagans „Mr. Gorbachev, tear down this wall“ und Schabowskis „Das tritt nach meiner Kenntnis – ist das sofort, unverzüglich“, die Umwelt-Bibliothek, das Bitterfeld-Video und vor allem die dubiose Tätigkeit der „KoKo“. Aber dann wieder werden deren Verhandlungen mit den Westkollegen im Wesentlichen als Trinkgelage in einem Nachtclub gezeigt, in dem Florence Kasumba für einen Hauch erotischer Exotik sorgen darf, der leider nicht nur die Peinlichkeit der verhandelnden Herren herausstellt, sondern auch die der Inszenierung. Die Absicht, einmal nicht die angeblich üblichen Klischees zu erfüllen, kommt nicht über den Einfall hinaus, die Wessis als unsympathische Geschäftemacher und im besten Fall als ignorante Politiker darzustellen.
Vielleicht erschöpft sich die Funktion solcher TV-Ereignisse ja genau darin: im bloßen Gestus, dass hier „gegen den Strich“ erzählt wird. Sich mit den Ereignissen tatsächlich auseinanderzusetzen und etwas „gegen den Strich“ zu behaupten, sei es auch nur fiktiv, würde eine Recherchearbeit bedeuten, die über die Mitarbeit von historischen Beratern hinausginge. In der bewährten Showdown-Dramaturgie aber lässt sich alles im Vagen halten, weil immer dann, wenn’s besonders drauf ankommt, lediglich Blicke gewechselt werden. Hat die Stasi die Witwe eines Spions kurz vor der Übergabe an den Westen noch vergiftet? Bedeutungsvoller Blick. Illegale Waffengeschäfte getätigt? Hämisches Grinsen. Goldbarren im Milliardenwert ins Ausland verschifft? Eisern entschlossener Blick. Am besten kommt am Ende übrigens Schalck-Golodkowski weg, weil der Schauspieler Thomas Thieme fast nicht anders kann, als ihm einen trockenen Humor zu verleihen, der allen anderen Akteuren abgeht. Es sage niemand, dass auf diese Weise nicht auch Geschichte geschrieben wird.
Info
Preis der Freiheit ZDF, 4. bis 6. November 2019, jeweils 20.15 Uhr, ZDF-Mediathek: ab Montag, 28. Oktober 2019
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Dieser Beitrag ist Teil unserer Wende-Serie 1989 – Jetzt!
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