Hundert Fragen listet "der Wissens- und Wertetest" nach Vorschlag des hessischen Innenministers Volker Bouffier auf. Darunter gibt es eine, deren korrekte Beantwortung den "eingeborenen" deutschen Staatsbürgern zweifellos schwerer fällt als den Testkandidaten. Es handelt sich um Frage 7: "Welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um deutscher Staatsbürger zu werden?" Ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, was im Gesetz steht, beantworten gegenwärtig erschreckend viele, darunter auch Politiker, diese Frage rein nach Gefühl mit "Zu wenig!"
Davon, dass es keine "Einbürgerung zum Nulltarif" geben dürfe, sprach zum Beispiel Hessens Ministerpräsident Roland Koch und trug damit sein Scherflein dazu bei, den nachweislich falschen Eindruck zu erwecken, man mache es den Ausländern beim Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft zu einfach. Je kleinteiliger formuliert wird - Tenor: "ein bisschen Anpassung muss man schon verlangen können" - desto höher sind die Hürden, die man sich ausdenkt. Denn in der "Fragebogen"-Debatte kommt einmal mehr jenes generelle Unwohlsein zum Vorschein, das sich aus verschiedenen Ängsten speist: der Angst vor Terroranschlägen, vor "Überfremdung", Arbeitslosigkeit, dem Ende des Sozialstaats, der demografischen Entwicklung und irgendwie auch noch vor der Vogelgrippe. Und eine - übrigens typisch deutsche - Reaktion auf dergleichen Unwohlsein bildet nun einmal die Regulierungswut.
Obwohl im Grunde alle wissen, dass man Integration nicht "herbeitesten" kann, wird also munter das Testen gefordert, selbst von jenen, die sich kritisch über den hessischen Fragenkatalog äußern. Geprägt wird die Debatte leider nicht von Argumenten, sondern einer Grundstimmung von Empörung und Ereiferung, die sich an ganz verschiedenen Punkten entzündet.
Die einen empören sich in bester ausländerfreundlicher Absicht darüber, dass hier von Ausländern Kenntnisse erwartet werden, über die eine Mehrheit der Deutschen kaum verfügt. Dabei sind die Wenigsten dagegen, dass Einbürgerung mit einer Schulung und einem entsprechenden Abschlusstest einhergeht, konkreter gefasst: dass eine Sprachprüfung samt landeskundlicher Themenstellung erfolgt. Wo die einen aber "zu schwer!" rufen, empören sich andere darüber, dass so ein Fragebogen-Test in Internet-Zeiten viel zu einfach sei, weil die Antworten binnen kurzem im Netz zu lesen seien. Wahre Aufklärer sollten dagegen nichts haben, denn so wie eine Sprache erlernbar ist, wird auch das Wissen über ein Land nicht intuitiv, sondern über Fakten vermittelt, und wenn die im Internet zu finden sind, umso besser. Nein, die Ereiferung über Antworten im Internet macht auf etwas ganz Anderes aufmerksam, das die Tonlage des hessischen Fragebogens bestimmt und für eine stammtischmäßige Überhitzung der Debatte verantwortlich ist: Ein wesentlicher Teil der Fragen trägt den Charakter von "Fangfragen", ganz so, als wolle man jemanden bei der falschen Gesinnung ertappen. Es geht ganz offenbar weniger um Integration als um Ausschluss.
Schaut man sich die 100 Fragen daraufhin an, welches Selbstbild der Deutschen die Autoren hier vermitteln, stößt man auf eine so interessante wie seltsame Mischung. Da ist einmal der antiquierte, westdeutsch-gymnasiale Bildungskanon, der deutsche Philosophen, deutsche Flüsse und deutsche Nobelpreisträger abfragt. Wo doch der gelebte Bildungskanon sich erfreulicherweise internationalisiert hat; der "typische" Deutsche prahlt heutzutage mit seinem "Gastro-Italienisch" und würde niemandem Vertrauen schenken, der etwa die Beatles nicht kennt. Schließlich besteht eine der besten Nebenwirkungen postfaschistischer Selbstläuterung in der Öffnung des engen nationalen Horizonts, weshalb auch die meisten wissen, dass ein gewisser nationaler Anti-Stolz zum modernen Europäertum regelrecht dazu gehört: Österreicher hassen ihr Land mit lustvollem Masochismus, Italiener beschimpfen ihren Staat mit Leidenschaft, selbst die traditionsreichen Schweizer verachten gepflegt die eigene Saturiertheit samt der daraus resultierenden Langeweile.
Das muffige Leitkulturbild, das Nationalkultur mit Fixierung auf "Deutschsein" gleichsetzt, wird im hessischen Fragebogen flankiert von staubtrockenen Fragen nach dem Grundgesetz - eine auch für Inländer immer lohnende Beschäftigung - und den bereits erwähnten "Gesinnungsfragen", die als Grundsäulen westlichen Selbstverständnisses die Gleichberechtigung von Frauen und Schwulen, den Anti-Antisemitismus und die individuelle Freizügigkeit herausstellen.
Die Fragebogen-Debatte hat in dieser Hinsicht Erstaunliches bewegt: Selbst konservativste Geister, die sich gestern noch für Mütter als Hausfrauen stark machten und Homosexuellen das Adoptionsrecht verweigern wollten, gerieren sich heute als Verteidiger von Emanzipation, Schwulentoleranz und FKK-Stränden. Fast könnte man sich freuen, wenn nicht die eigentliche Absicht so deutlich durchscheinen würde, die da lautet: Wir misstrauen allen Fremden, vor allem denen mit islamischer Religion - wir wollen lieber unter uns bleiben.
Was kann man gegen derartige Reflexe und die Regulierungswut, die immer mehr Tests und Auflagen fordert, tun? Am besten wäre es wohl, man würde dem Ganzen noch mehr Öffentlichkeit verschaffen: Der Einbürgerungstest als Reality-TV im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Wir alle könnten mitfiebern. Und wer die höchste Punktzahl erreicht unter den Bewerbern, bekommt eine "Premium Staatsbürgerschaft" mit 100 Euro Begrüßungsgeld.
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