Rein in die Nische

Von intensiver und extensiver Popularität Was das Fernsehen dem Kino gegenwärtig voraus hat

Selbst Spielbergs Krieg der Welten konnte daran nichts ändern: Der amerikanische Kinomarkt erlebt zur Zeit eine Phase der Depression. Seit 19 Wochen in Folge bleibt der Ticketumsatz hinter den Einspielergebnissen des Vorjahres zurück. In Deutschland klagt man über eine ähnliche Entwicklung: Vorvergangenes Wochenende verzeichnete man hier den schlechtesten Kinobesuch seit zehn Jahren. Die große Frage, die die Branche nun umtreibt, ist: Haben wir es mit einer strukturellen Veränderung oder mit einer vorübergehenden Krise zu tun? Mit anderen Worten: ist das Kino - wegen DVD und Internet - nun endgültig im Sterben begriffen oder sind die Filme zur Zeit einfach nicht gut genug? Man ist nicht sicher, welche Variante die beunruhigendere ist.

Spielberg selbst neigt zur konservativen, und vielleicht optimistischeren Antwort: Die Filmemacher müssten einfach Filme machen, die die Menschen sehen wollten, dann würden sie auch ins Kino gehen, zitieren ihn diese Woche die Branchennachrichten der Internet Movie Database. Dass dieser Satz angesichts des hinter den Erwartungen zurückbleibenden Besuchs seines eigenen Films wie Selbstkritik klingt, war von Spielberg nicht beabsichtigt. Wie oft lässt sich hinter der Verdopplung von Binsenweisheiten - Filme, die man sehen will, geht man anschauen - eine Verdrängung ausmachen. Betrachtet man die Startliste der vergangenen Monate, fällt nämlich das Paradox ins Auge: Es sind die Filme die jeder sehen will, die dann doch nicht jeder anschauen geht.

Batman 5 und Star Wars 3, der neue Film des Regisseurs vom Gladiator oder der neue Spielberg - an den Titeln und Namen allein wird deutlich, dass Hollywood nichts anderes versucht, als das Publikum zu bedienen, seinem Geschmack entgegenzukommen, indem endlos variiert und neu aufgelegt wird, was bereits Popularität erworben hat. Dazu noch werden Filme wie Star Wars 3 und Krieg der Welten weltweit gestartet, um den Aplomb der schon vorhandenen Bekanntheit noch zu verstärken. Auch wenn es wie in diesem Jahr schlechter läuft, sei angemerkt, dass auf diese Weise bereits in den ersten Tagen Hunderte Millionen Dollar Umsatz gemacht werden. Die Filmindustrie und ihre Publicity-Organe funktionieren bei allen Klagen immer noch mit größter Effektivität.

Unter der Oberfläche der weltweiten Premiereneuphorie aber kommt es zu einer Art Austrocknung. Womit die großen Produktionsfirmen nicht rechnen, ist der Fluch der Popularität. Wenn etwas zu beliebt, zu anerkannt ist, lässt sich damit kein Publikum mehr mobilisieren. Zu den Eigentümlichkeiten der Popkultur gehört nämlich: Es muss Gegner im Stil, im Geschmack geben; der Fan und eben auch der Filmfan liebt gerne gegen Widerstände an, gegen Missachtung und vor allem gegen den Mainstream. Erst daraus ergibt sich jene Intensität, die den sogenannten Hype erzeugt.

Anschaulich wird diese Dialektik der Popularität, wenn man sie mit den gegenwärtigen Entwicklungen im Fernsehen vergleicht. Lange Zeit war es das Parademedium für die unintensive Popularität: Was im Fernsehen läuft, kennt man, ohne es wirklich kennen zu wollen. Mit Serien wie Sex and the city hat sich in dieser Hinsicht etwas verändert. Die Frauen-Serie hat eine Popularität erreicht, die in bloßen Umsatzzahlen gar nicht zu messen ist. Obwohl die letzte Staffel längst abgedreht und versendet ist, lässt sich noch immer kaum eine Zeitschrift aufschlagen, ohne einen Verweis auf die vier Damen aus New York zu finden. Über Sex and the city wissen sogar die Bescheid, die noch nie eine Folge davon gesehen haben. Aber damit nicht genug: Wer in die Wiederholungen reinguckt, wird vielleicht entdecken, dass die Serie eigentlich besser ist, als man angesichts dieser umfassenden Beliebtheit glauben mag. Im redegewandten Zugriff auf Tabuthemen und einem so erbarmungslosen wie unideologischen Blick auf die moderne Beziehungswelt ist Sex and the city weitaus radikaler als der Ruf.

Ein ähnliches Loblied auf Serien wie Desperates housewives und Lost zu singen, die diese Saison Furore machten, fällt da schon schwerer. Für beide gilt aber dennoch, dass sie trotz relativ "braver" Inhalte in der Form einer Entwicklung folgen, die das Fernsehen gegenwärtig weitaus innovativer erscheinen lässt als das Kino. Entgegen dem, was der gemeine Medienkritiker über Serien zu denken gewöhnt ist, verlangen die wahrhaft "modernen" Spielarten des Genres ihren Zuschauern ein Vielfaches an Gedächtnisleistung und Kombinationsfähigkeit ab. Sie sind fast darauf angelegt, dass sich dem Publikum erst beim zweiten Sehen die Fülle der Details erschließt. Wo früher der Zuschauer durch ein "Was bisher geschah..." abgeholt wurde, sieht er sich heutzutage in ein Geflecht von verschiedenen Handlungen geworfen, das manchmal erst mit Hilfe des Internets zu entwirren ist. Serien wie 24, Lost und eben auch die Desperate housewives verlangen geradezu nach der baldigen Wiederholung, weshalb Prosieben es sich auch leisten kann, die erst angelaufene Staffeln gleich im Anschluss noch einmal zu zeigen.

Nicht in seinem gesamten Spektrum, aber an markanten Stellen erscheint das Fernsehen gegenwärtig avancierter als das Mainstream-Kino. Eine Tendenz, für die vor allem Serien wie Six feet under, und die Sopranos stehen, die in Deutschland allerdings nie den richtigen Programmplatz gefunden haben (oder eben nicht ausgiebig genug wiederholt wurden). Hierzulande hängt man immer noch dem Bild einer Popularität an, das sich in bloßen Einschaltquoten ausdrückt. Der Kabelsender HBO, der zum Beispiel Sex and the City und Six feet under produzierten ließ, konnte es in den USA dagegen mit der Quote der "Großen" noch nie aufnehmen; der Sender setzte deshalb bewusst nicht auf den Geschmack der breiten Mehrheit, sondern versucht den einer kleineren zu treffen. Auf diese Weise ist ein Nischenfernsehen entstanden, das nicht allen gefallen will; Intensivität wird der Extensivität vorgezogen. In der Langzeitwirkung aber ergibt diese Intensivität eine Popularität, deren Ausstrahlung nachhaltiger ist als die von Blockbustern.

Im deutschen Fernsehen scheitern die ehrgeizigsten Projekte dagegen immer wieder daran, dass sie den Geschmack der großen Mehrheit bedienen müssen. Jüngstes Beispiel dafür ist das mittlerweile abgesetzte Kanzleramt. Angekündigt als anspruchsvoll, gar mit politischen Gehalt, blieb davon am Ende doch nur das übliche Schema an Mitarbeiter-Herz-Schmerz- und Fall-Geschichten, wie man es aus Klinik- und Büroserien kennt. An genuin politische Themen traute sich die Serie kaum heran, man hatte offenbar Angst, mit der schlechten Wirklichkeit in Verbindung gebracht zu werden.

Die amerikanische Serie West Wing, die im Weißen Haus spielt, war offenbar das Vorbild und kann es doch nicht gewesen sein, denn dort war das Konzept genau das Gegenteil: Parteien wurden bei ihrem Namen genannt, Figuren waren deutlich von "noch lebenden" inspiriert. Schließlich besteht der potenzielle große Vorteil einer politischen Serie darin, dass das Publikum an Bekanntes anknüpfen kann. Unter der Ägide des Erfinders und Hauptautoren der Serie, Aaron Sorkin, traute sich West Wing aber noch mehr: Die Mitarbeiter des Präsidenten wurden als besserwisserische Snobs gezeigt, die mit Fremdwörtern um sich werfen und mit exotischem Expertenwissen prahlen. Spannung bezog die Serie aus einer Dramatik des Unverständnisses: Dem Zuschauer erschloss sich oft erst nach zehn Minuten geschliffener Dialoge, um was sich die Folge überhaupt drehte. So trockene Themen wie die Besetzung eines obersten Richters oder den Entwurf eines Strategiepapiers zur Bildungsoffensive bekamen auf diese Weise eine ungeheure Dynamik. Populär wurde die Serie genau durch diesen Hang zur unpopulären intellektuellen Überforderung.

Der Fluch der Popularität holte die preisgekrönte Serie am Ende allerdings doch noch ein. Bedrängt durch die Forderungen nach Anpassungen an den vermeintlichen Massengeschmack verließ Autor Sorkin die Produktion; die geschliffene Rhetorik auf den Arbeitsfluren des Weißen Hauses wurde ersetzt durch mehr Actionhandlungen wie Entführungen und Attentate. Populärer hat das die Serie allerdings dann doch nicht gemacht.


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