In Das Leben des Brian, einem Film der TV-Dekonstruktivisten-Gruppe Monty Python, gibt es folgende Szene: Der Anführer einer lokalen Befreiungsorganisation im Untergrund - der Film spielt zur Zeit der Römerherrschaft in Palästina - will von seinen Mitstreitern wissen: "Was haben die Römer uns eigentlich gebracht?" Zu seinem großen Erstaunen und Missfallen bekommt er statt des erwarteten einhelligen "Nichts!" lauter kleine Einwände zu hören. Es werden "die Aquädukte" angeführt, "der Straßenbau" und weitere Errungenschaften römischer Zivilisation, von denen auch die Kolonialisierten profitieren. Ähnlich könnte es jemanden ergehen, der sich zu sicher darin ist, dass eigentlich niemand mit kritischem Verstand und Anspruch noch fernsehen könne, da es von Jahr zu Jahr, erst recht seit der Einführung des Privatfernsehens beständig seichter und schlechter werde. Denn was das Fernsehen seinen Zuschauern bringt, ist mit der Aufzählung, Beschreibung und Kritik der Programme noch lange nicht erschöpft. Sicher, es ist eine wichtige Informationsquelle. Und kann ab und an ganz unterhaltend sein. Der übergroße Teil der Sendungen ist schlechter, als man sich das wünscht. Manche Dinge, die gesendet werden, spotten gar jeder Beschreibung. Doch nur wenige würden bestreiten, dass trotz alledem ein Abend vor dem Fernseher eine Art von Entspannung bietet, die das "gute Buch" eben nicht vermitteln kann. Wie überhaupt die volksgesundheitlich wertvolle Hilfe, die das Fernsehen bei Ein- und Durchschlafproblemen leistet, statistisch noch völlig unzureichend erfasst ist. Es ist bei alledem kein ganz neuer Gedanke, dass das bloße Senden des Geräts wichtiger ist als Inhalt und Form der Programme. Oft und vielleicht immer häufiger hat die Tätigkeit "fernsehen" kaum mehr etwas mit dem Gesendeten zu tun. Schließlich kann man ganze Nächte durchgucken, obwohl eigentlich "nichts kommt". Nur weiß die Medienkritik immer noch nicht, wie sie damit umgehen soll. Statt das ständig fallende Niveau des Programms zu beklagen, sollte man vielleicht den eigentlichen Gebrauch mit dem Medium betrachten. Was machen die Menschen vor dem Fernseher? "Wer guckt sich bloß so was an?" fragen sich zur Zeit viele, sehr wahrscheinlich kopfschüttelnd, angesichts einer Sendung wie Ich bin ein Star! Holt mich hier raus! (RTL) - und vergessen vor lauter Empörung einfach abzuschalten. Denn tatsächlich scheint immer mehr die Ablehnung einer Sendung ein unheimlich starkes Motiv zum Anschauen derselben zu sein. Ein Programm zu sehen, das man hasst, kann tatsächlich eine schöne Beschäftigung sein und nicht wenige genießen es, sich im Ärger über das, was kommt, endlich mal wieder richtig zu "spüren". Eine Sendung wie Deutschland sucht den Superstar ist geradezu ein Paradebeispiel dafür, dass die echten Quotenerfolge heutzutage Darbietungen sind, von denen die meisten Zuschauer zugeben würden, dass sie es lieben - sie zu hassen. Oder haben Sie irgendjemand ausfindig machen können, der das Moderatorenpaar Hunziker und Spengemann wirklich mag? Diese Hassliebe, der Verachtung der Süchtigen für ihren Stoff nicht unähnlich, ist ein starkes Motiv des Medienkonsums, gerade wegen seiner Zwiespältigkeit. Ähnlich verhält es sich mit einem weiteren Motiv: der Sehnsucht, dabei zu sein, mitreden zu können. An vielen Stellen war in den letzten Tagen anlässlich des 20. Geburtstags der Privatsender unterschwellig Nostalgie zu spüren nach jenen Tagen, als es noch eine "Fernsehnation" gab, als man zwar getrennt guckte, aber trotzdem gemeinsam fernsah. Wenn man heute mit Irgendjemand über das Gesehene von gestern Abend reden will, muss man lange suchen, denn jeder hat etwas anderes gesehen oder nur einen Teil davon. Der Spaß an den geliebt-gehassten Sendungen besteht oft auch darin: ein bisschen "damals" spielen, als alle den Weihnachts-Vierteiler guckten und es kein Problem war, jemanden zu finden, mit dem man darüber fachsimpeln konnte. Mehr als alle Niveau-, Geschmacks- und Stil-Unterschiede, die mit dem Privatfernsehen Einzug in die deutsche Medienlandschaft gehalten haben, hat diese Aufspaltung des massenmedialen Publikums die Fernseh-Gesellschaft verändert; sie ist ein weiteres Stück individualistischer geworden. Seltsam und interessant ist nun wiederum, dass dieser Prozess der Diversifikation sich auf Seite der Sender seit ein paar Jahren umkehrt: Gegenwärtig lässt sich eine fast unheimliche Angleichung aller an alle beobachten. Das Gerede von verschiedenen Programm-Schienen verschleiert dabei nur, dass alle dem gleichen Zielpublikum hinterher jagen. Als würde das Fernsehen an sich von wechselnden Krankheiten befallen, werden Überwachungsshows à la Big Brother von Quizsendungen abgelöst, die wiederum von Castingsshows verdrängt werden. Es ist diese sender-übergreifende Gleichförmigkeit des Programms, die mehr Anlass zur Klage gibt als einzelne Ausrutscher. Was das Fernsehen einst mitbewirkt hat, die Entstehung einer Nischengesellschaft, die Segmentierung des Massenpublikums, damit scheint es heute selbst die größten Schwierigkeiten zu haben. Schon erreichen uns erste Krisenmeldungen aus den USA, die Menschen würden allgemein weniger fernsehen! Im Grunde wäre das die Stunde unserer Öffentlich-Rechtlichen: Ihre Chancen in den Nischen zu nutzen und aufzuhören im sturen Blick auf das nicht mehr existente Massenpublikum die Privaten zu kopieren. Jeder, der glaubt, dass früher alles besser war, sei allerdings daran erinnert, dass Die Schwarzwaldklinik im Durchschnitt von 25 Millionen Menschen (60 Prozent) geguckt wurde. Da ist man doch fast froh, dass solche Quoten heute kaum mehr möglich sind.
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