Diese Wolke der Melancholie hing über den 70er Jahren: Das Goldene Zeitalter der Popkultur war vorbei; Musik machten nun die Epigonen und Nachgeborenen. Neben den vielen frühen Toten am Ende der 60er markierte vor allem ein Ereignis die Zäsur: die Trennung der Beatles. Heute, mehr als 50 Jahre später, Aufnahmen zu sehen, die in der Zeit unmittelbar vor diesem Bruch in der Geschichte gemacht wurden, kommt mit Geheimakten-Flair daher. Ähnlich wie die Verschwörungstheoretiker, die nach 9/11 bei Fotos von „Ground Zero“ auf ein dreieckiges Trümmerteil einzoomen und darin den Beweis erkennen, dass die CIA beteiligt war, können jetzt alle, die ein Disney+-Abo haben, in den Beatles-Aufnahmen vom Januar 1969 herumstöbern und nach Belegen für die eigentlichen, wahren Trennungsgründe suchen: War es die ständige Anwesenheit von Yoko Ono, die alle nervte? Wollte Paul McCartney einfach endlich Boss sein? Hatte George Harrison die Schnauze voll, herumkommandiert zu werden?
Seit Get Back zu streamen ist, Peter Jacksons 8-Stunden-Fassung der 195 Stunden Archivmaterial, die der amerikanische Dokumentarist Michael Lindsay-Hogg und seine Crew seinerzeit für ihren Dokfilm Let It Be drehten, kursieren erneut die widersprüchlichsten Thesen: Die einen wollen endlich erkannt haben, dass sich an Yoko niemand störte. Anderen fällt ihre bizarre Dauerpräsenz als wenig emanzipiert ins Auge. Manche entdecken, dass George zurückhaltend den kreativen Prozess der Band editiert. Andere spotten über sein ständiges Beleidigtsein. Am überraschendsten ist bei alledem gar nicht mal die Widersprüchlichkeit der Auslegungen, sondern die Tatsache, dass überhaupt mit solcher Leidenschaft diskutiert wird.
Dabei muss man Peter Jackson unbedingt zugutehalten, dass er, ein erklärter lebenslanger Beatles-Fan, seine Fassung auf keine dieser Thesen hin zugeschnitten hat. Für den Neuseeländer stand etwas anderes im Vordergrund: Er hebt auf die Momente ab, in denen man die vier jungen Musiker (damals noch keiner über 30) ihr Ding machen sieht. Eine der eindrücklichsten Szenen zeigt, wie Paul, George und Ringo an einem Morgen den angemieteten Probenraum betreten. Paul moniert, dass „Lennon“ mal wieder zu spät kommt, und fängt an, auf der Gitarre herumzuschrammen. George und Ringo sitzen ihm gähnend gegenüber, aber als sich aus dem Schrammen heraus die Umrisse des Songs Get Back formen, sind sie wie von Reflexen gesteuert dabei. „That’s it!“, bestärkt George, während Ringo klatschend Rhythmus dazugibt. Es ist ziemlich großartig.
Wer geduldig genug hinschaut, wird einige solcher Highlights des kreativen Prozesses in Get Back entdecken. An einer anderen Stelle erzählt George einem aufmerksamen Ringo – der sich überhaupt als stiller, großartig loyaler Held dieser Doku erweist – davon, was er gestern Abend im „Telly“ geschaut habe. Zuerst einen bizarren Science-Fiction und dann Szenen aus dem Wiener Opernball. Das habe ihn auf die Idee zu I Me Mine gebracht. Wenig später spielen sie den Song, während John und Yoko dazu Walzer tanzen.
14 neue Songs sollten die Beatles damals in weniger als drei Wochen schreiben, als Beitrag zu einer TV-Show und einem neuen Album. Die Pläne zerschlagen sich in der ein oder anderen Form. Das Prozedere mit Kommen und Gehen, nervend-mäandernden Diskussionen und einer Menge an herumhängenden Roadies, Assistenten und Neugierigen ist nicht unbedingt Thriller-Stoff. Wer nie vom Beatles-Virus angesteckt war, wird es wahrscheinlich langweilig finden.
Ganz an den Anfang hat Peter Jackson eine rare Aufnahme des Managers und Beatles-Entdeckers Brian Epstein gesetzt, der bereits 1967 im Alter von 32 Jahren verstorben war. Was ihn an der Gruppe so begeistert habe? Der Beat ihrer Musik, sagt Epstein, und der Humor, mit dem sie auf der Bühne auftraten. Über diesen, den Beatles tatsächlich ganz eigenen Humor wird viel zu wenig geredet. Dank Jacksons skrupulöser Digitalisierungsarbeit, die nicht nur die Bilder, sondern auch die Stimmen bis ins Unwirkliche „herausputzt“, kann man Zeuge werden, wie der Hang zur Ironie sowohl die Musik als auch die Gespräche bestimmte. Wenn Paul einmal etwas dramatisch von Scheidung spricht und die Auflösung der Band meint, schießt John trocken dazu: „Es wäre auch besser für die Kinder!“
Kommentare 11
Sehr sympathisch entspanntes Resümee eines Seh- und Hörerlebnisses. Auch gut der Hinweis auf den meist unbeachteten Humor, der so oft in den Songs aufblitzt.
Ich hatte beim Anschauen des Materials mehrmals das Déjà-vu-Gefühl, wieder der kleine Knabe zu sein, der die großen Jungs von den Biitells reden hört. :-))
... lives a man who sailed the sea ...
https://www.cda.pl/video/300153046
... we all live in a yellow submarine.
"...und fängt an, auf der Gitarre herumzuschrammen. George und Ringo sitzen ihm gähnend gegenüber, aber als sich aus dem Schrammen heraus..."
Ich will ja nun nicht kleinlich sein, und überhaupt! - vielleicht ist das Wort "schrammen" tatsächlich gebräuchlich unter Musikern... aber könnte nicht eher "schrammeln" gemeint sein? So nannte man häufig zu meiner Zeit Mitte/Ende der Sechziger das eher unkontrollierte Spielen auf einer Gitarre. Entlehnt und verballhornt aus der Wiener Volksmusik...
Wenn schon polski, dann nur aus der original plattenbau aus zabrze:
https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Popolski_Show
Für alle Schlaflosen dieser Hemisphere, ganz besonders in den full moon Nächten:
I can't sleep.
Mut zur Kleinlichkeit!
'Schrammen' scheint mir eine - gewollt oder ungewollte - Reminiszenz an den großartigen Georg Schramm. Der aber hat nie bei den Beatles gespielt. Auch nicht in Hamburg.
https://www.youtube.com/watch?v=CMCmoHAax10
Close your eyes.
..
The monster is gone..
Lennon.
Speziellen Dank an und für den Sonnenstrahl.
What a beautiful man, full of love and peace.
Liebe hat es schwer in diesen zerstörerischen Zeiten.
Ich weiß nicht, welches Monster gegangen ist ... aber ich sehe noch viele, die da sind.
Sonnenstrahlen gegen die Monster, schon einmal ein probates Mittel, und sehr bald: längere Tage...
...das Lied birgt auch das wohl "geflügelste" Wort John Lennons:
Life is what happens to you
While you´re busy making other plans.
Es ist sehr sehr schön, dass die Beatles nun so beleuchtet werden. Es ist auch ein Psychogramm einer Musikergruppe. Herrlich, dass sie so gezeigt werden.
Sagt John nicht: "Und wer bekommt dann die Kinder?"
Ringo Starr - It Don't Come Easy
https://youtu.be/bvEexTomE1I