Ringo ist der wahre Held

Film Unsere Autorin hat die Beatles-Dokumentation „Get Back“ geguckt und wurde gut unterhalten
Ausgabe 49/2021

Diese Wolke der Melancholie hing über den 70er Jahren: Das Goldene Zeitalter der Popkultur war vorbei; Musik machten nun die Epigonen und Nachgeborenen. Neben den vielen frühen Toten am Ende der 60er markierte vor allem ein Ereignis die Zäsur: die Trennung der Beatles. Heute, mehr als 50 Jahre später, Aufnahmen zu sehen, die in der Zeit unmittelbar vor diesem Bruch in der Geschichte gemacht wurden, kommt mit Geheimakten-Flair daher. Ähnlich wie die Verschwörungstheoretiker, die nach 9/11 bei Fotos von „Ground Zero“ auf ein dreieckiges Trümmerteil einzoomen und darin den Beweis erkennen, dass die CIA beteiligt war, können jetzt alle, die ein Disney+-Abo haben, in den Beatles-Aufnahmen vom Januar 1969 herumstöbern und nach Belegen für die eigentlichen, wahren Trennungsgründe suchen: War es die ständige Anwesenheit von Yoko Ono, die alle nervte? Wollte Paul McCartney einfach endlich Boss sein? Hatte George Harrison die Schnauze voll, herumkommandiert zu werden?

Seit Get Back zu streamen ist, Peter Jacksons 8-Stunden-Fassung der 195 Stunden Archivmaterial, die der amerikanische Dokumentarist Michael Lindsay-Hogg und seine Crew seinerzeit für ihren Dokfilm Let It Be drehten, kursieren erneut die widersprüchlichsten Thesen: Die einen wollen endlich erkannt haben, dass sich an Yoko niemand störte. Anderen fällt ihre bizarre Dauerpräsenz als wenig emanzipiert ins Auge. Manche entdecken, dass George zurückhaltend den kreativen Prozess der Band editiert. Andere spotten über sein ständiges Beleidigtsein. Am überraschendsten ist bei alledem gar nicht mal die Widersprüchlichkeit der Auslegungen, sondern die Tatsache, dass überhaupt mit solcher Leidenschaft diskutiert wird.

Dabei muss man Peter Jackson unbedingt zugutehalten, dass er, ein erklärter lebenslanger Beatles-Fan, seine Fassung auf keine dieser Thesen hin zugeschnitten hat. Für den Neuseeländer stand etwas anderes im Vordergrund: Er hebt auf die Momente ab, in denen man die vier jungen Musiker (damals noch keiner über 30) ihr Ding machen sieht. Eine der eindrücklichsten Szenen zeigt, wie Paul, George und Ringo an einem Morgen den angemieteten Probenraum betreten. Paul moniert, dass „Lennon“ mal wieder zu spät kommt, und fängt an, auf der Gitarre herumzuschrammen. George und Ringo sitzen ihm gähnend gegenüber, aber als sich aus dem Schrammen heraus die Umrisse des Songs Get Back formen, sind sie wie von Reflexen gesteuert dabei. „That’s it!“, bestärkt George, während Ringo klatschend Rhythmus dazugibt. Es ist ziemlich großartig.

Wer geduldig genug hinschaut, wird einige solcher Highlights des kreativen Prozesses in Get Back entdecken. An einer anderen Stelle erzählt George einem aufmerksamen Ringo – der sich überhaupt als stiller, großartig loyaler Held dieser Doku erweist – davon, was er gestern Abend im „Telly“ geschaut habe. Zuerst einen bizarren Science-Fiction und dann Szenen aus dem Wiener Opernball. Das habe ihn auf die Idee zu I Me Mine gebracht. Wenig später spielen sie den Song, während John und Yoko dazu Walzer tanzen.

14 neue Songs sollten die Beatles damals in weniger als drei Wochen schreiben, als Beitrag zu einer TV-Show und einem neuen Album. Die Pläne zerschlagen sich in der ein oder anderen Form. Das Prozedere mit Kommen und Gehen, nervend-mäandernden Diskussionen und einer Menge an herumhängenden Roadies, Assistenten und Neugierigen ist nicht unbedingt Thriller-Stoff. Wer nie vom Beatles-Virus angesteckt war, wird es wahrscheinlich langweilig finden.

Ganz an den Anfang hat Peter Jackson eine rare Aufnahme des Managers und Beatles-Entdeckers Brian Epstein gesetzt, der bereits 1967 im Alter von 32 Jahren verstorben war. Was ihn an der Gruppe so begeistert habe? Der Beat ihrer Musik, sagt Epstein, und der Humor, mit dem sie auf der Bühne auftraten. Über diesen, den Beatles tatsächlich ganz eigenen Humor wird viel zu wenig geredet. Dank Jacksons skrupulöser Digitalisierungsarbeit, die nicht nur die Bilder, sondern auch die Stimmen bis ins Unwirkliche „herausputzt“, kann man Zeuge werden, wie der Hang zur Ironie sowohl die Musik als auch die Gespräche bestimmte. Wenn Paul einmal etwas dramatisch von Scheidung spricht und die Auflösung der Band meint, schießt John trocken dazu: „Es wäre auch besser für die Kinder!“

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

Avatar

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden