Schlechte Helden

Quer Das Drehbuch zu „Sicario 2“ will besonders aktuell sein und liegt damit erst recht daneben
Ausgabe 29/2018

Der Thrill geht im Thriller ja oft nicht vom Unwahrscheinlichen aus, sondern im Gegenteil vom Realistischen. Denis Villeneuves Sicario von 2015 war auch deshalb bei Kritikern und der Oscar-Akademie (drei Nominierungen) so populär, weil der Film sich nach wahren Ereignissen „anfühlte“. Er zeigte den mexikanischen Drogenkrieg, wie man ihn aus den Schlagzeilen und den Romanen von Don Winslow kannte: als undurchsichtige, unlösbare Angelegenheit, mit den grauslichen Gewalttaten der Kartelle auf der einen und der von hässlichen Zynismen bestimmten Einmischung diverser US-Behörden auf der anderen Seite. Das Drehbuch von Taylor Sheridan präsentierte noch nicht einmal die Illusion einer Lösung, sondern hielt sich eben realistisch daran, ein schmutziges Einfach-immer-so-Weiter in Aussicht zu stellen.

Die Absicht, ganz nah an der Wirklichkeit sein zu wollen, wird auch in Sicario 2 deutlich, mit einer diesmal aber ganz anderen Wirkung, zumindest in den USA. Taylor Sheridan schrieb erneut das Drehbuch, und als er vor ungefähr zwei Jahren die Arbeit daran begann, mag es wie ein guter Einfall erschienen sein, die Geschichte mit weiterem Schlagzeilenmaterial anzufüttern. So beginnt Sicario 2 mit mehreren Selbstmordattentaten, verübt von IS-Männern, die von den gleichen Schleppern über die mexikanisch-amerikanische Grenze gebracht werden, die auch Flüchtlinge und Arbeitsmigranten ausbeuten. Einer der Orte der Handlung ist McAllen, eine Stadt in Texas, die es in den letzten Wochen bis in die deutschen Zeitungen geschafft hat, weil sich vor den dortigen „Zentren für illegale Grenzübertreter“ der Protest gegen die inhumanen Praktiken der US-Behörden, insbesondere die der Familientrennung, massierte.

Statt wie im ersten Film die vorgefassten Meinungen über den Drogenkrieg atmosphärisch aufzugreifen, liegen die Schlagzeilen-Anspielungen in der Fortsetzung nun plötzlich quer zum gegenwärtigen Kontext. Wie quer, das zeigte sich in der Welle der Ablehnung, die Sicario 2 beim amerikanischen Filmstart vor drei Wochen entgegenschlug. Nicht nur, dass die aktuellen Fernsehbilder aus McAllen, Texas, ins Bewusstsein riefen, wie „erfunden“ die Thrillerhandlung von Sicario 2 in Wahrheit ist. Sie machten auch deutlich, wie überheblich der Film mit all denen verfährt, die unter dem Grenzregime und dem Drogenkrieg am meisten zu leiden haben. Und was zuvor vielleicht noch als zulässiger Drehbuchkniff durchgegangen wäre, nämlich unter die illegalen Einwanderer ein paar IS-Attentäter zu mengen, um die politischen Anreize der Handlung hochzusetzen, kommt in der Trump-Ära nun als fahrlässige, wenn nicht gar demagogische Verbreitung von Vorurteilen rüber.

Keineswegs besänftigend wirkt der Fakt, dass der Film aus all den aufgeladenen, aktuellen Prämissen schließlich gar nichts macht. Die IS-Täter, die Schlepper, die illegalen Einwanderer, sie alle spielen bald gar keine Rolle mehr. Stattdessen erzählt Sheridan eine Genre-Geschichte von müden Männern, bitteren Rachezügen und letzten Heldentaten. Wie schon in Sicario tritt Josh Brolin als kaltschnäuziger Agent der Drogenbehörde auf, der seine Situationsanalysen so trocken und gefühllos anbringt, dass sie wie Pointen wirken. Der eiserne Ernst seiner Figur bildet einen schneidenden Kontrast zu ihrer komödiantischen Wirkung. Brolins Plan involviert erneut Benicio Del Toros titelgebende Figur des „Sicario“, des undurchsichtigen Hitman. Einem absehbar zum Scheitern verurteilten Plan nach entführen Brolin und sein Sicario die Tochter eines Drogenbosses mit der Absicht, den Konflikt unter den Kartellen anzuheizen. Was Letzteres bringen soll, bleibt unklar, weshalb mittenmang die „Anzüge“, verkörpert durch Catherine Keener und Mathew Modine, den Stöpsel ziehen und Del Toro sich mit dem 15-jährigen Mädchen (Isabel Moner) zwischen allen Fronten allein gelassen sieht. Gejagt von diversen Kräften, wird er, der Rachemörder, zum väterlichen Beschützer. Wer dabei an John Wayne und Natalie Wood in John Fords Der schwarze Falke denkt, liegt nicht ganz falsch.

Auch deshalb, weil als Western – und eben nicht als Thriller mit Aktualitätsbezug – betrachtet, sich Sicario 2 als eindringliches Drama über die Schlechtigkeit der Welt und die Unmöglichkeit von Unschuld erweist. Dabei galt auch schon für die alten Western, dass sie dem politisch fragenden Blick kaum standhielten.

Info

Sicario 2 Stephano Sollima USA, Italien 2018, 122 Minuten

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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