Ein gern gesehener Held im Kino ist der grantelnde alte Mann. Man nimmt ihm sein Mürrischsein nicht übel, sondern betrachtet es als ein Stück jener Authentizität, die wir alle im spätkapitalistischen Höflichkeitszwang sonst verstecken müssen. Mit der grantelnden älteren Frau verhält es sich ganz anders. Niemand will sich mit ihr identifizieren. Weshalb sie als Protagonistin auch nur sehr selten im Zentrum eines Films steht. Can You Ever Forgive Me? ist da eine rare Ausnahme – und war wahrscheinlich nur deshalb umsetzbar, weil der Film sich auf eine wahre Geschichte stützt.
Die zweite Regiearbeit der Schauspielerin Marielle Heller erzählt von der schweren Lebenskrise einer freien Autorin im New York der frühen 90er Jahre. Bis
en 90er Jahre. Bis dahin konnte sich Lee Israel noch ganz gut mit Star-Biografien durchschlagen. Doch dann wird ihr letztes Werk zum Leben von Kosmetik-Unternehmerin Estée Lauder in die Tonne getreten, ihr Projekt zur Vaudeville-Darstellerin Fanny Brice findet keinen Anklang und, da setzt der Film ein, die knapp 50-Jährige verliert auch noch ihren Brotjob als Korrektorin. Lee, von Melissa McCarthy mit „Bad Hair“-Perücke gespielt, ist dazu noch eine soziale Außenseiterin. Sie lebt allein – ihre vormalige Lebenspartnerin hat sich von ihr getrennt – in einem heruntergekommenen Apartment am schlechten Ende von Manhattan, hat einzig mit ihrer Katze liebevollen Umgang und trinkt zu viel. Wie gesagt, keine Figur, mit der man sich gern identifiziert.Heller und Nicole Holofcener gleichen das Unsympathische ihrer Heldin damit aus, dass sie sie ein wenig zur Rebellin eines dem Kommerz huldigenden Literaturbetriebs stilisieren. Etwa wenn Lee sich zu Beginn zu einer Party ihrer Agentin am schicken Ende von Manhattan schleppt, um dort Shrimps in ihre Handtasche wandern zu lassen, ob der Angeberei eines herumstehenden Bestsellerautors Grimassen zu schneiden und sich dann mit geklauten Klopapierrollen und einem edlen Mantel davonzustehlen. Zwar kann sie auf diese Weise ihrer Katze einen Leckerbissen besorgen, aber ihre akuten Lebensprobleme – woher das Geld für die Miete und den Tierarzt nehmen? – bleiben unbewältigt. Dann plötzlich bietet sich ihr ein Ausweg, der sonst das Privileg männlicher Helden ist: die Kriminalität!Der Zufall stößt Lee darauf. Bei ihren Recherchen zu Fanny Brice fällt ihr ein Brief der Vaudeville-Künstlerin in die Hände; sie entdeckt, dass es für solche Memorabilia einen Markt gibt. Weil sie von der Sache etwas versteht, kommt sie schnell darauf, dass Briefe dieser Art, wenn sie ein paar pikante Details oder Andeutungen enthalten, echte Traumpreise erbringen können. Lee macht sich mit der gebotenen Professionalität ans Werk: Sie kauft alte Schreibmaschinen und fälscht die Korrespondenz ihrer Lieblingsautoren wie Dorothy Parker und Noël Coward. Es bringt nicht nur Geld, es macht ihr auch Spaß. Und mehr noch: Lee ist stolz auf ihre Werke. In einer anderen, aber nur vielleicht besseren Welt wäre Can You Ever Forgive Me? einer der großen Oscar-Kandidaten einer Filmindustrie, die vorurteilslos ihre Meriten ausschüttet. In der realen Welt darf man sich schon freudig wundern, dass ein Film wie dieser drei Nominierungen bekommt, für das Drehbuch (Nicole Holofcener), die beste Hauptdarstellerin (Melissa McCarthy) und den besten Nebendarsteller (Richard E. Grant). Große Chancen werden dem Film jedoch in keiner Kategorie zugestandenDabei ist das Schönste an Can You Ever Forgive Me? genau das, was ihn als Oscar-Kandidaten eher schwach dastehen lässt: seine entschiedene Unscheinbarkeit. Weder auf der dramatischen noch auf der Performance-Ebene geht der Film in die Vollen. So traurig das Schicksal von Lee ist, die für die kurze Karriere als erfolgreiche Fälscherin ziemlich bitter bezahlen muss, so wenig wird Can You Ever Forgive Me? melodramatisch. Und wichtiger noch: McCarthy bleibt in ihrer Darstellung eine ungefällige, bissige, grantelnde Frau, die weder der Tod ihrer Katze noch das Zerbrechen ihrer Freundschaft zu Jack (Grant) weicher oder „besser“ werden lassen. Diese Freundschaft und nicht die Geschichte des „großen Fälschungsbetrugs“ bildet den eigentlichen Kern des Films – und setzt seinen Ton. Jack, von Grant in einem grandiosen Auftritt als haltloser und enigmatischer Flaneur gespielt, macht sich als Kneipenschnorrer an Lee heran. Sie bezahlt ihm einen Drink, weniger aus Sympathie denn aus Wut über den Rest der Welt. Für die Dauer des Films bleibt Jack der Einzige, der Lee wirklich nahesteht, wobei die Grenze zwischen Wertschätzung und Bedürftigkeit verschwimmt. Lee beutet den alternden Schwulen, der zwischen Salonlöwentum und Obdachlosigkeit durch New York driftet, für ihre Zwecke aus; Jack schlägt aus Lees Großzügigkeit und ihrem Apartment Gewinn. Mit dem Porträt der Beziehung zwischen diesen beiden Ausgestoßenen aber macht Can You Ever Forgive Me? Dinge über Großstadtalltag, Altersfurcht und Weltschmerz sichtbar, die man in dieser unverstellten Klarheit im Kino nur selten sieht.Placeholder infobox-1