Wer sehnt sich nicht nach der Zeit, in der man über das alles wird lachen können? Comedy sei „tragedy plus time“, so hat die US-amerikanische Komikerin Carol Burnett einst eine zentrale Humor-Einsicht in Gleichungsform gegossen. Weshalb die Frage, die sich stellt, wenn über einen Witz nicht gelacht wird, nicht die nach der Eignung des Themas oder irgendeiner Form von Pietät ist, sondern die nach dem Zeitpunkt. „Too soon – zu früh?“, fragt der erfahrene Stand-up-Comedian. Es ist keine Schande, es probiert zu haben.
„Alles hat drei Seiten. Eine positive, eine negative und eine komische“, so bringt es seinerseits Jan Josef Liefers in der „Bio“ unter seinem Twitter-Profil auf den Punkt. Als einer der Prominentesten u
entesten unter den 53 Schauspielern, die in der vergangenen Woche unter dem Hashtag #allesdichtmachen eine Serie von satirischen Videos online stellten, bekam Liefers die volle Breitseite der Aufregung ab, die die Aktion als Ganzes und sein „medienkritisches“ Video im Besonderen auslösten. Keine 24 Stunden später bemühte er sich in einem kleinen Twitter-Thread um „Klarstellung“.Er setze sich kritisch mit den Entscheidungen der Regierung zu Covid-19 auseinander, heißt es da, „besonders wegen der in Kauf genommenen Verluste in Kultur und Kunst und der Veranstaltungsbranche“. Das jüngste Video will er als „ironischen Kommentar über Prioritäten von Medien“ verstanden wissen, jede unterstellte Nähe zu AfD, Querdenkern oder Corona-Ignoranten weist er zurück. In weiteren Auftritten im WDR, bei der Aktuellen Stunde und der Talkshow 3nach9, stellte er sich den Fragen der Moderatoren und dem sich generös gebenden Beipflichten („Satire darf das!“) von Kanzlerkandidat Laschet.RespektWie anstrengend das alles war, konnte man ihm dabei deutlich ansehen. Aber genau darin, dass da einer so sichtlich darum rang, nicht einfach zurückzuziehen, wie es zu dem Zeitpunkt schon etliche andere der Beteiligten gemacht hatten, sondern dem Unangenehmen, der Auseinandersetzung ins Auge blickte, seinen Standpunkt begründen und sich zugleich aufnahmefähig für Kritik zeigen wollte, darin war Liefers wiederum so authentisch, dass man ihm selbst dann nicht den Respekt versagen kann, wenn man die Videos nicht witzig findet.In den zum Teil sehr scharf ausgefallenen Verurteilungen der Videos wurde dem heutigen Liefers oft sein jugendliches Ich vom 4. November 1989 gegenübergestellt. Damals trat der gerade mal 25-jährige Schauspieler mit eigenem Statement während der legendären Kundgebung auf dem Alexanderplatz auf, die von heute aus gesehen den Höhe- und zugleich Schlusspunkt der DDR als eigenes, von der BRD getrenntes utopisches Projekt markierte. Die Situationen von damals und heute sind wenig vergleichbar, aber den Menschen an sich erkennt man eigentlich noch sehr gut: Liefers war von jung auf kein Schauspieler, der sich hinter seinen Rollen versteckt oder nur da in Erscheinung tritt, wo ihm Schmeicheleien sicher sind.Das ist bei einem, der wie er aus einer echten Theaterfamilie kommt, keine Selbstverständlichkeit. In Dresden geboren und aufgewachsen, studierte Liefers von 1983 bis 1987 an der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin. Seine Laufbahn liest sich wie die eines Glücksverwöhnten, der immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort war: Das erste Engagement hatte er am Deutschen Theater in Berlin, das seinerzeit mit Thomas Langhoff und Heiner Müller als eines der spannendsten Häuser des ganzen deutschsprachigen Theaterbetriebs galt. 1990 wechselte er zum Thalia in Hamburg, das wiederum Regisseure wie Werner Schroeter, Jürgen Flimm und Robert Wilson zu einer Art Zentrum internationaler Theater-Innovation gemacht hatten.Wahre PopularitätAls in der zweiten Hälfte der 1990er das deutsche Kino tatsächlich eine kleine Welle von nationalen Hits produzierte, war Liefers auch da dabei: In Helmut Dietls Rossini (1997) gab er den „Salonlöwen“. In Thomas Jahns Überraschungshit Knockin’ on Heaven’s Door (1997) verkörperte er als schüchterner Krebspatient das perfekte Gegenstück zu Til Schweigers dreistem Angeber. Auch im Fernsehen, Brot und Butter eines jeden deutschen Schauspielers, bewies Liefers ein glückliches Händchen bei der Rollenauswahl in sogenannten Prestigeprojekten wie Das Wunder von Lengede (2003) oder Der Turm (2012) nach dem Bestseller von Uwe Tellkamp.Die wahre Popularität aber, und auch da spielte ausgesprochen gutes Timing eine Rolle, erreichte Liefers ab 2002 im Tatort Münster als Rechtsmediziner Prof. Dr. Dr. Boerne gegenüber Axel Prahls Ermittler Frank Thiel. Das Konzept schlug ein: geschliffen-spritzige Dialoge, wie man sie sonst nur aus amerikanischen Sitcoms kannte und die ohne Liefers’ Talent zur flotten Wiedergabe nie so erfolgreich rübergekommen wären. Dass der Dresdner Liefers hier einen arroganten westdeutschen Besserwisser par excellence mimt, gibt der Figur einen zusätzlichen satirischen Kick.Liefers, der auch als Musiker mit seiner Band Radio Doria tourt, engagiert sich in verschiedenen sozialen Projekten, dabei seinen Namen ausnutzend, ohne allzu plakativ zu sein. Immer wieder erstaunt er sein Publikum: Wer nur den Schauspieler sieht, denkt sich, er sei ein geschmeidiger Typ, darauf bedacht, nicht anzuecken. In Wahrheit ist er wohl eher das Gegenteil: ein eckiger Typ, der sich um Geschmeidigkeit bemüht. In seinem aktuellen Projekt, seiner ersten Kinoregie, erzählt er vom Ehepaar Honecker, das, entmachtet und gekündigt, im Januar 1990 „Kirchenasyl“ bei Pfarrer Uwe Holmer in Lobetal bei Bernau suchen musste. Erneut nicht unbedingt ein Projekt, das geeignet scheint, rundum Beifall zu ernten.