Eine Erklärung dafür, warum die, um die es in Der Glanz der Unsichtbaren geht, unsichtbar sind, wird in Form einer kurzen Montage mitten im Film gegeben: Parkbänke, bei denen aufmontierte Bügel das Liegen verhindern; Fenstersimse, auf denen Splitter einbetoniert sind; spitze Minizäune überall dort, wo man auf die Idee kommen könnte, sich hinzusetzen. Der Zweck all dieser Zacken und Kanten ist einzig und zuvorderst der, Obdachlose und Bettler davon abzuhalten, sich hinzusetzen und mit ihren Leibern, Gerüchen, ihrer sichtbaren Not, den Konsumenten den Spaß zu verderben. Sie sollen unsichtbar sein. Ein weiterer Grund für die Unsichtbarkeit speziell der Heldinnen des Films von Louis-Julien Petit ist noch simpler: Sie sind Frauen. Im Durchschnitt der Industriestaaten macht ihr Anteil unter den Obdachlosen zwischen 20 und 30 Prozent aus; die Tendenz ist steigend, heißt es.
Petit wird mancherorts als der französische Ken Loach bezeichnet, schilderte er in seinem Regiedebüt Discount doch ein Aufbegehren von Supermarktangestellten gegen ihr Ersetztwerden durch Automaten und beschäftigte sich in seinem zweiten Film Carole Matthieu mit dem Thema Mobbing am Arbeitsplatz. Tatsächlich gilt seine Regisseurssolidarität ähnlich ungeteilt den „Erniedrigten und Beleidigten,“ wie das beim britischen Vorbild der Fall ist. In Der Glanz der Unsichtbaren gelingt ihm jedoch etwas Einmaliges: ein Film von ansteckender Leichtigkeit, der sein niederschmetterndes Thema dennoch ernst nimmt; ein Film, der gute Gefühle macht, aber tiefer geht als die konfektionierten Emotionen eines Feelgoodmovies.
Das Setting ist simpel: Vorgestellt wird „L’envol“, eine Tagesstätte für weibliche Obdachlose, geleitet von Manu (Corinne Masiero), der sich die Jahre des Mitansehenmüssens anderer Leute Elend förmlich ins Gesicht gegraben haben. Noch vor ein paar Jahren mag sie der Sozialarbeiterin Audrey (Audrey Lamy) geglichen haben, die sich noch mit voller Verve für die Frauen engagiert, unter Aufopferung ihres Privatlebens. Den beiden zur Seite stehen die vorlaute Angélique (Déborah Lukumuena), die Manu als jugendliche Obdachlose aufgabelte und „adoptierte“, und die Freiwillige Hélène (Noémie Lvovsky), der als betrogener Ehefrau die Decke zu Hause auf den Kopf fällt.
Gleich in den ersten Szenen müssen Manu und Audrey eine Evaluierungssitzung hinter sich bringen, bei der ihnen eine zu geringe „Effektivität“ vorgeworfen wird. Sie würden es den Frauen zu gemütlich machen, heißt es, die Obdachlosen würden sich zu wohl fühlen, Ziel sei doch, sie von der Straße wegzubringen, nicht, ihnen das Leben ohne Wohnung leichter zu machen. Die Schließung ihrer Tagesstätte ist beschlossene Sache.
Kleidertipps und Yoga
Weil sie nichts mehr zu verlieren haben, wagen Audrey und Manu das, wozu ihnen bislang die Hände gebunden waren: In einem leer stehenden Fabrikgebäude richten sie Schlafplätze für die Frauen ein und erfinden mit deren Mitwirkung ein Intensivprogramm: Mit Atem- und Psychotherapie, Rollenspielen und Bewerbungs-Coaching, Kleidertipps und Yoga sollen die Frauen das nötige Know-how und vor allem wieder mehr Selbstwertgefühl bekommen, um sich erfolgreich auf Jobs bewerben zu können.
Wer sich jetzt gelangweilt mit dem Gedanken abwendet: „Diese Wir-schaffen-das-Geschichten, das hat man doch Dutzende Male schon gesehen“ – liegt falsch. Nicht etwa, weil Petit den mindestens so stereotypen Weg ins „berührende Melodrama“ einschlägt, wo am Schluss alles scheitert, damit der Zuschauer sich schön betroffen fühlen kann. Die obdachlosen Frauen werden in Der Glanz der Unsichtbaren von Laien verkörpert, die meist selbst Straßenerfahrung haben. Sie füllen hier nicht nur die Rollen am Rand aus, sondern sind durch viele in Improvisation entstandene Szenen das eigentliche Herz des Films.
Das alte Fabrikgebäude wird reell zur Bühne für diese Frauen, die sich gern hinter glamourösen Pseudonymen wie „Brigitte Macron“ oder „Cicciolina“ verbergen. Statt sie auf ihre tragischen, traurigen Geschichten zurückzuwerfen, lässt Petit sie hier in neue Rollen schlüpfen – in die der zupackenden Chantal, die Geräte aller Art reparieren kann, aber jedem auf die Nase binden muss, dass sie ihren Mann umgebracht und ihre Künste deshalb im Gefängnis gelernt hat. Oder die der stillen „Lady Di“, die mit dem Schrotthändler einen Flirt beginnt. Oder die der ungeschickten Monique, die mal einen ganzen Tag lang in einer Immobilienfirma arbeitete ... Als wolle er ihnen nicht zu nahe treten, lässt Petit sie vor der Kamera das Lernen spielen, ihr Selbstbewusstsein haben diese Frauen sichtlich schon vor Längerem zurückbekommen.
Info
Der Glanz der Unsichtbaren Louis-Julien Petit Frankreich 2018, 102 Minuten
Kommentare 8
"Tanz den Schrotthändler"
"Tanzen" als transitives Verb, was für eine dämliche Überschrift!
Tanz dich selber!
Viele Dankf für diesen Tollen Beitrag
Dass Obdachlosen aufs Übelste mitgespielt wird, ist offensichtlich. Warum allerdings obdachlose Frauen unsichtbarer sein sollen als obdachlose Männer, erschließt sich mir nicht. Es ist Thema des Filmes, okay, legitim. Aber der entsprechende Film über Männer würde kaum anders ausfallen.
Wenn es Filme über Obdachlosigkeit gibt, dann werden hauptsächlich Männer ins Blickfeld rücken. Frauen in der gleichen Lage verstecken sich eher und haben mit anderen Problemen zu kämpfen als Männer. Und ihnen ist - öfter als bei Männern - die Obdachlosigkeit gar nicht anzusehen. Sie tarnen sich. Oder sie werden von Männern aufgenommen, die ihnen dann aber Bezahlung in Form von Sex abverlangen.
Frauen brauchen andere Hilfen als Männer. Sie werden auch anders bedroht. Vor allem in den Unterkünften, die wesentlich von Männern aufgesucht werden, sind sie sogar sehr bedroht. Darüber gibts nun wirklich genügend Berichte.
Wie obdachlose Frauen sexuell ausgebeutet werden
BAWO - verdeckte Obdachlosigkeit bei Frauen
Deutschlandfunk Kultur - Unsichtbare Obdachlosigkeit unter Frauen
Hin und wieder, allerdings immer seltener frage ich mich, warum es Ihnen immer so wichtig ist, den Verweis auf Frauen mit einem "Und die Männer-auch"-Gequengel zu beantworten.
Es gibt Unterschiede und es ist wichtig, geschlechtsspezifisch an die Probleme heranzugehen. Damit ist niemand bevorzugt, nur die Hilfen sind spezifischer.
||| warum es Ihnen immer so wichtig ist, den Verweis auf Frauen mit einem "Und die Männer-auch"-Gequengel zu beantworten |||
Hauptsächlich tue ich es, um der Einseitigkeit der Darstellung entgegenzuwirken, wobei ich allerdings - Sie werden es vielleicht mit Genugtuung hören - immer müder werde, gegen den hiesigen Tsunami zu wirken. Es ist jedenfalls meine Überzeugung, dass wir zusammenhängende Probleme nicht durch isolierte Betrachtungsweisen und Bewertungen lösen werden.
Es steht allerdings zu befürchten, dass Sie und ich hinsichtlich dieser Thematik keinen Konsens erzielen werden, von daher ist Ihnen auch das "Gequengel" geschenkt. Außerdem treffen fehlende Filme über obdachlose Frauen nicht die Art von Unsichtbarkeit, die im Blogtext thematisiert wurde.
hm, habe den film nicht gesehen, aber aus dem beschriebenen und dem trailer heraus scheint mir der wichtigste punkt zu fehlen:
sehr viele, nicht alle, obdachlose, ob frauen oder männer, haben meiner erfahrung nach psychische probleme.
entweder in form von depression (viele h4-bezieher verlieren deswegen ihre wohnung, weil sie auf schreiben des amts nicht mehr antworten, was teil der krankheit ist), oder in form von verfolgungswahn, schizophrenie, etc...meist fallen diese menschen raus, wenn sie über keine ausrechendes soziales netz verfügen und weil der staat nicht willens ist, dieses netz zu bieten (kostet ja geld).
meine erfahrungen in obdachlosenunterkünften sind wirklich gruselig, da sind die, die noch halbwegs mental "funktionieren" aber natürlich durch ihre situation mental geschwächt sind, konfrontiert mit "verrückten", von denen sie jederzeit voll gebrabbelt bis massiv angegangen werden können (eine frau berichtete mir z.b., dass sie nachts während dem schlafen von einer anderen ins gesicht geschlagen wurde, die wurde dann des hauses verwiesen, aber das trauma und die unsicherheit bleibt).
das zieht dann weiter runter, weil es enorm anstrengend ist.
menschen, die "durchdrehen", werden dann der unterkunft verwiesen, bekommen aber keine psychologische hilfe, es ist durchgehend zu wenig bis gar kein fachpersonal anwesend (kostet ja geld). da wird das elend nur verwaltet (in vielen ländern übrigens nicht mal das).
unter dieser perspektive kommt mir der oben beschriebene film dann eben doch wie ein neoliberaler-yes we can-feelgoodmovie vor.
denn letztlich sind es die gesellschaftlichen strukturen (häufig gewalterfahrungen jeglicher coleur in der kindheit), die die menschen auf die straße bringen. sich da am "eigenen schopf" aus dem "sumpf" zu ziehen erscheint mir nahezu unmöglich.
da ich mich mit dem thema beruflich beschäftigt habe, kann ich ihnen nicht zustimmen. der umgang mit obdachlosigkeit ist geschlechterspezifisch unterschiedlich.
obdachlose frauen, zumindest ein großer anteil unter ihnen, versucht dies so gut wie möglich zu vertuschen, die fassade aufrecht zu erhalten (das liegt an der sozialen prägung, die eine andere art der anpassung fördert als bei männern), deutlich weniger als bei odachlosen männern sind alkohol-/drogenabhängig.
bei männern gibt es auch die "fassadenaufrechterhalter", aber sie haben einen deutlich geringeren anteil.
man sieht es z.b. daran, dassgemäß ihrem anteil deutlich weniger frauen draußen schlafen als männer.
die links von magda geben auch gute hinweise zu dem thema.
es gibt übrigens einen interessanten deutschen dok-film über obdachlose männer, er heißt "draußen". der bildet keinen querschnitt ab, will er auch gar nicht.
Das bestreite ich gar nicht. Nur heißt es in der Unterüberschrift des Blogs
||| Obdachlose Frauen sind zur Unsichtbarkeit verurteilt. |||
"Verurteilt" ist nicht dasselbe wie "versucht zu vertuschen". "Versuchen zu vertuschen" ist eigene Wahl, frau kann es auch lassen; "verurteilt sein zu" ist fremdbestimmt und bestenfalls nachrangig vom Willen der Betroffenen abhängig.