"There Will Be Blood" von P.T. Anderson

Kino Der Satz hat oft die Form eines Ratschlags, man findet ihn in endlosen Variationen in den Ratgeberbüchern der Bestsellerlisten, in seiner einfachsten ...

Der Satz hat oft die Form eines Ratschlags, man findet ihn in endlosen Variationen in den Ratgeberbüchern der Bestsellerlisten, in seiner einfachsten Formulierung besagt er: Wer etwas stark genug will und bereit ist, alles dafür zu tun, der bekommt es. Die ersten Bilder von There Will Be Blood zeigen einen Mann, der diesen Glauben auf obsessive Weise verinnerlicht hat. Daniel Plainview steigt in eine selbst gegrabene Mine irgendwo in den Wüsten der USA. Er ist allein; man schreibt den Beginn des 20. Jahrhunderts, die Grubentechnik ist wenig ausgereift, und es reicht ein kleines Missgeschick, um den Mann abstürzen zu lassen, viele Meter tief. Es sieht nach einem sicheren Todesurteil aus, doch mit schier unmenschlicher Kraft zieht er sich trotz gebrochener Glieder wieder aus der Grube heraus. Sein Ertrag an geschürftem Edelmetall, das zeigt die nächste Szene, ist gering. Noch hat man seine Stimme nicht gehört, aber der Film den Zuschauer schon jetzt überzeugt: Einer, der so rücksichtslos gegen sich selbst sein kann, ist es auch gegen andere und wird es folglich noch weit bringen.

There Will Be Blood basiert auf einem Roman von Upton Sinclair, dessen zahlreiche Handlungsstränge Paul Thomas Anderson für seine Leinwandadaption ganz auf die Figur von Daniel Plainview konzentriert hat. Die leicht dahingesagte Zusammenfassung lautet, dass der Film den alten kapitalistischen Traum erzählt: Plainviews Aufstieg vom armen Minenschürfer zum Ölbaron. Das Überraschende und Verstörende aber ist, dass Anderson das Gegenteil tut: Er zeigt einen über drei Jahrzehnte hinweg währenden Abstieg in die Hölle; er zeigt, dass wer ein Leben lang alles daran setzt, ein Ziel zu verfolgen, dort vielleicht ankommt - aber dann nichts mehr hat, noch nicht mal mehr ein Ziel.

Zwar gehört auch der Satz, dass Geld nicht glücklich macht, fest zum Inventar des kapitalistischen Volksglaubens. Und es hat schon viele Hollywoodfilme gegeben über fiktive und reale Männer, die der ökonomische Erfolg in Entfremdung und Wahnsinn trieb. Anderson aber schildert Plainviews Reichwerdung bei gleichzeitiger innerer Aushöhlung mit einer Stringenz, die dem Zuschauer fast den Atem nimmt.

Der Film verzichtet auf fast alles, was sonst das Rohbildmaterial solcher Lebensgeschichten ausmacht. Es gibt kaum Nebenfiguren, nur wenig Schauplatzwechsel und keine Glücksmomente. Daniel Day-Lewis verkörpert Plainview mit einer Eindringlichkeit, die den Schauspieler auf fast unheimliche Weise in der Figur verschwinden lässt - von der Stimme über die Körperhaltung bis zum Gesicht, in das die lebenslange Gier und ein stetig wachsender Hass sich eingraben.

Bis zur Schlussszene bleibt Plainview ein Besessener ohne soziale Bindungen. Zwar hat er irgendwann Mitarbeiter; recht früh sogar, bei den ersten Ölbohrungen, nimmt er ab und zu ein kleines Kind auf den Arm, doch gibt es keine Mutter dazu. Ein paar Szenen und einen Zeitsprung weiter sieht man ihn mit einer Gruppe von Menschen verhandeln, an seiner Seite sitzt ein kleiner Junge, den er als seinen "Sohn und Geschäftspartner, H.W. Plainview" vorstellt. Nie erfährt man, wofür die Initialen stehen, sehr wohl aber, dass die Anwesenheit des Jungen eine wohlkalkulierte Maßnahme ist.

Es ist die erste Szene, in der man Plainviews Stimme richtig hört. In wohlgesetzten Worten stellt er sich als erfahrener Ölbohrunternehmer vor, der zum fairen Preis das mühevolle Geschäft der Quellenerschließung übernimmt. Die sonore Tonlage demonstriert Selbstsicherheit und guten Willen. Wer mit solcher Überzeugungskraft spricht, der kann eigentlich nur lügen. Tatsächlich erweist sich das Ölgeschäft als eines, in dem Wenige es zu Reichtum bringen und viele als Betrogene zurückbleiben, weil sie ihr Land zu billig verkauft haben. Einem Geheimtipp verdankt Plainview schließlich die Entdeckung einer riesigen Ölquelle. Bei der Ausbeutung macht er sich in der Figur eines selbsternannten Erweckungspriesters einen Feind fürs Leben. An Gier steht der Priester dem Ölsucher in nichts nach: Wo Letzterer materiellen Reichtum anstrebt, verlangt es Ersteren nach Geltung - und beide erkennen sich gegenseitig in der Bereitschaft, ihre Seele zu verkaufen. Der Kampf aufs Blut, den der Titel verspricht, entscheidet sich zwischen diesen beiden. Beide sind sie Opfer einer Sucht, die den Grundmotor des Kapitalismus ausmacht. Mitleid jedoch hat man für keinen von beiden.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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