Umgekehrt

Im Kino "LA Crash" von Paul Haggis zeigt den ganz alltäglichen Rassismus

Los Angeles hat keinen guten Ruf als Wohnort und gilt trotzdem als eine der faszinierendsten Städte der Welt. In der kollektiven Phantasie stellt L.A. einen modernen Sündenpfuhl dar, voll Kriminalität und Rassismus. Filme, die in Los Angeles spielen, haben so gesehen die Rolle eines wichtigen Bösewichts immer schon besetzt. Wo Paris den Liebenden Asyl gewährt, liefern die Straßen von Los Angeles ihre Bewohner immer wieder an die Gesetze der Gewalt aus. Aber wie es bei wahren bad guys oft der Fall ist, schlummert auch in L.A. das Potenzial zum Antihelden: Was als rauer Macho-Charme beginnt, wird zum Pathos der Wahrheit. Letzteres leitet sich direkt von den brutalen Verhältnissen ab, die man anders als New York mit seinem melting pot-Getue erst gar nicht verhüllt. Darin ist die Stadt an der Westküste fast unamerikanisch: hier wird jene Art der Authentizität hochgehalten, die ehrliche Unfreundlichkeit der falschen Freundlichkeit vorzieht.

Die erste Viertelstunde von LA Crash hat in dieser Hinsicht eine so befreiende wie bedrückende Wirkung: Der Zuschauer wird Zeuge einer Reihe von Situationen, in denen verschiedene Menschen ungewohnt deutlich ihren Rassismus artikulieren. "Was ist bloß los mit Leuten wie euch?", schreit ein Weißer, der von einem Farbigen angefahren wird, und diese Ad-Hoc-Verallgemeinerung ist noch harmlos gegen die Perfidität, mit der ein Verkäufer im Waffengeschäft einen zögerlichen Kunden nötigt, der dem Äußeren nach aus dem nahen Osten kommt: "Hör mal, Osama, wenn du dich nicht bald entscheidest..." In so einer Bemerkung steckt schon fast tabubrecherischer Mut, wie überhaupt der Vorteil der freien Hassreden über die künstlichen Beschränkungen der Political Correctness in diesem Filmanfang ganz auf der Hand zu liegen scheint: Man weiß schneller, mit wem man es zu tun hat.

Bei dem Mann aus Nah-Ost handelt es sich aber gar nicht um einen "Araber", sondern um einen Perser, der auf diesen Unterschied auch noch Wert legt. Das ist eine der Lektionen, die La Crash über Rassismus erteilt: Überwunden werden kann er nur da, wo man sich für "echte" Unterschiede interessiert. Aber selbst dem - schwarzen - Gleichstellungsbeauftragten der Polizei ist es völlig egal, ob seine Freundin nun aus Venezuela oder Kolumbien kommt, er findet sie mit "Mexikanerin" genau genug beschrieben. Wichtiger ist für ihn die Helligkeit ihrer Haut, da er seine Mutter mit der Behauptung ärgern kann, er liege mit einer weißen Frau im Bett.

La Crash ist ein Ensemble- und Episodenfilm, der eine Vielzahl an Charakteren unterschiedlicher Hautfarbe in immer neuen Konstellationen zusammenbringt, die meisten davon konfrontativ, wenn nicht sogar tragisch. Das Genre dieses mäandernden Erzählens ist der Stadt sozusagen auf die Haut geschrieben, kommt doch darin ihre Größe und Vereinzelung zur Geltung, die jede Begegnung zum Zufall macht, weshalb man über die Zufälligkeit so manchen Zufalls in der Geschichte auch wieder hinwegsieht. Zumal man gerne überrascht wird in einem Film, dem man ansonsten das Misstrauen entgegenbringt, welches das Allzu-Offensichtliche auslöst. Wird hier nicht ein Stück zu mechanisch abgehandelt, dass hinter jedem Vorurteil eine Verwechslung von Individuell und Allgemein steht und man nie ein Buch nach seinem Umschlag bewerten sollte? So ist der kahl rasierte, farbige Schlosser mit seinen Tätowierungen natürlich kein Ex-Sträfling, sondern ein treusorgender Familienvater und der weiße rassistische Straßenpolizist verweigert, wenn´s drauf an kommt, niemandem seine Hilfe, auch einer Farbigen nicht. Diese Verkehrung der ersten Annahmen ist fast allen Geschichten, die der Film erzählt, gemeinsam, es ist jedoch der Weg dahin, der jede einzelne dann doch wieder außergewöhnlich macht. Das liegt vor allem an der Echtheit der Situationen, die mit viel Sinn für reales Reden geschrieben sind. Immer wieder zeigt sich, dass Rassismus etwas ist, was weniger "in" Leuten als in Situationen steckt; er bietet sich an als Orientierung, wo andernfalls gemischte Gefühle herrschen. Oft genug ist er sogar nur eine Ersatzkonstruktion, und zwar sowohl für persönliche als auch soziale Konflikte.

Die längste Zeit hält der Film die Spannung des "erstens kommt es anders, zweitens als man denkt". Am Ende aber hinterlässt die Gesamtheit der überraschenden Wendungen einen schalen Geschmack. Man ist zwar geneigt, dem soziologischen "Situationalismus" des Drehbuchs Recht zu geben, aber wenn bestimmte Situationen aus Rassisten Gutmenschen werden lassen, andere wiederum aus Gutmenschen Rassisten - was bleibt da noch außer Fatalismus?


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