Unordnung ist das halbe Leben

Was läuft Über das seltene Glück des Älterwerdens mit „The Affair“. Spoiler-Anteil: 60 Prozent
Ausgabe 35/2018

Zu den schwierigen Übungen für den verletzlichen Serienkonsumenten gehört das Verzeihen nach einer Enttäuschung. Wie viele zweite Chancen haben Serien verdient, die einen schon mal übel um die eigene Zeit betrogen haben? The Affair etwa: Die Serie, die beim US-Bezahlsender Showtime 2014 auf Sendung ging (und in Deutschland seit 2015 auf Amazon Prime verfügbar ist), wurde für ihre Besetzung und das ehrgeizige Erzählkonzept gelobt. Dominic West (für Fans für immer McNulty aus The Wire) und Maura Tierney (Abby Lockhart, Emergency Room) spielen darin ein lange verheiratetes Ehepaar, dessen Leben eine völlig neue Wendung nimmt, als Noah (West) eine Affäre mit der von Ruth Wilson (Alice Morgan, Luther) gespielten Kellnerin Alison beginnt.

Das Autoren- und Produzentenpaar Sarah Treem und Hagai Levi verpasste dem abgegriffenen Thema ein aufregend neues Gewand, indem es die Geschichte aus subjektiven Perspektiven erzählte und außerdem einen Mordfall untermischte. Es klingt komplizierter, als es war: Der Zuschauer musste lernen, sich zu orientieren zwischen Interviewszenen mit einem Polizisten, die vermeintlich in der Gegenwart spielten, und dem Aufrollen des Geschehens davor aus den unterschiedlichen Blickwinkeln von Noah und Alison. Bezeichnend für den Erfolg der Serie war, dass die Hauptspannung nicht von den sukzessiven Enthüllungen um den Mord – am Anfang wusste man weder, wer Opfer, noch, wer Tatverdächtiger war – ausging, sondern von den feinen und manchmal auch groben Unterschieden in der Perspektive der zwei Hauptprotagonisten. Wo Alison in Noahs Erinnerungen tiefe Ausschnitte und kurze Kleider trug und sich überhaupt als verführerische Sirene gab, ging in Alisons Rekapitulationen die Initiative zur Affäre von dem forschen, eitlen Möchtegernschriftsteller Noah aus.

Das Konzept hätte sich schnell erschöpft, wenn die Unterschiede der subjektiven Erinnerungen sich auf solche leicht plakativen Thesen des Frau- bzw. Mannseins beschränkt hätten. Aber erstens gingen die Autoren relativ sparsam mit dem Mittel der Wiederholung um; nie sah man den gleichen Handlungsabschnitt zuerst von da und dann von da, stets waren es lediglich Überschneidungen mit eleganten Übergängen zu anderen Ereignissen. Und, wichtiger noch, nicht jede Abweichung war mit Bedeutung überfrachtet. Oft dienten sie nur der besseren Charakterisierung der Figur: Was für den einen ein erholsamer Regenguss ist, erlebt der andere als peitschenden Sturm. Durchweg war die Handschrift von Hagai Levi zu spüren, der Be Tipul, das israelische Vorbild zur Therapeutenserie In Treatment, geschaffen hat: ein tiefes Verständnis nicht nur für die Fehlbarkeit des Menschen, sondern für die Widersprüche, für die große Unordnung unserer Gefühle und Motivationen, die sich selbst retrospektiv nur schwer in eine sinnstiftende Erzählung fügen lassen.

Am Ende von Staffel eins hatte sich lediglich geklärt, wer der Ermordete und wer der Tatverdächtige war. Staffel zwei schilderte den Prozess und die langen Nachwehen der Trennungen, die von Noahs und Alisons Affäre in Gang gesetzt worden waren. Zu deren Perspektiven kamen die von Noahs Frau Helen (Tierney) und die von Alisons Mann Cole (Joshua Jackson) hinzu. Wie oft in zweiten Runden konnte die einschlagende Wirkung der ersten nicht ganz wiederholt werden; der Effekt der Erinnerungsunterschiede begann sich abzunutzen, der Mordfall hatte seine Spannung weitgehend eingebüßt. Staffel drei, in der Noah und Alison wieder eigene Wege gehen, während ihre beiden Ex-Partner neu verheiratet sind, verzettelte sich noch weiter mit hinzugefügten Perspektiven und konfrontierte den Zuschauer mit der Erkenntnis, dass vor allem Noah, aber eigentlich auch Helen im Grunde ziemlich unausstehlich sind.

Warum also weitergucken? Weil die vierte Staffel nun wieder das perfekte Gleichgewicht findet zwischen Mystery-Plot (Alison ist verschwunden) und den jeweiligen Perspektiven. Und vor allem, weil es auf eine Weise um Leben und Tod geht, wie man es in der Fiktion selten sieht: alltäglich, unordentlich, ungerecht. Wenn in der letzten Folge Helen und Noah als alte Bekannte ziemlich gebeutelt auf dem Boden neben einer Parkbank sitzen und vom Glück sprechen, lebendig zu sein, ist es, als wäre man mit diesen Figuren über die letzten Jahre hinweg tatsächlich ein Stück älter, weiser, trauriger und abgeklärter geworden.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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