Es waren zweierlei Bilder, die im fernen Jahr 2001, noch vor dem 11. September, die sich zuspitzende Entwicklung in Afghanistan symbolisierten: Frauen in Burkas und die Sprengung der Riesen-Buddha-Statuen im Bamiyan-Tal. Über Frauen in Burkas hat der iranische Regisseur Mohsen Makhmalbaf bereits 2001 einen bizarren Film mit dem Titel Kandahar gedreht, der die Burka insofern ad absurdum führte, als darin eine nach Kanada emigrierte Afghanin zurückkehrt, um ihre notleidende Schwester zu suchen und das ominöse Kleidungsstück ihr dabei beste Dienste als Tarnkappe und Versteck leistet. Nelofer Pazira, in Indien geboren, in Kabul, Afghanistan aufgewachsen und mit 16 nach Kanada emigriert, spielte sich selbst in dieser Rolle. In Christian Freis Dokumentarfilm The Giant Buddhas taucht sie nun wieder auf, und wieder spielt sie sich selbst, eine nach Kanada emigrierte Afghanin, diesmal allerdings, so deutet sich im Off-Kommentar an, spürt sie dem nach, was ihren Vater mit den Statuen im Bamiyan-Tal verband. Ob dieser Hintergrund autobiografisch oder fiktiv ist, kann der Zuschauer schwer entscheiden; spätestens mit ihrem Erscheinen vor der Kamera aber weiß er, dass der Schweizer Dokumentarist mit seinem Film viel mehr vorhat als nur zu "dokumentieren".
Nein, The Giant Buddhas will nicht bloß in Erinnerung rufen, was vermeintlich schon in Vergessenheit geraten ist, sondern will eine filmische Reflexion sein über Bilderstürmerei, Kriegsfolgen und die Ungerechtigkeit der Welt, über Erbe und Kultur im Allgemein und womöglich noch Einiges mehr, wovon eben nur die Ambition als solche übrig geblieben ist. Leider.
Denn von heute aus gesehen besitzt die Sprengung der Riesen-Statuen eine merkwürdige Korrespondenz zur "Sprengung" des World Trade Centers, dem Attentat, das letztlich der Auslöser dafür war, der Herrschaft der Taliban in Afghanistan ein Ende zu setzen. Auch wenn die Wenigsten die Ereignisse im Detail noch präsent haben, sind deren Folgen doch noch so virulent, dass es für eine interessante Dokumentation vollkommen ausreichen würde, sich mit einer Kamera an den Ort des Geschehens zu begeben und aufzunehmen, was dort heute so los ist.
Aber wer sucht, der findet mehr, und Frei hat sich alle Mühe gegeben, sein Thema nicht auf vermeintlich langweilige Art und Weise direkt anzugehen, sondern Umwege einzuschlagen, deren Sinn sich manchmal nur langsam und manchmal gar nicht erschließt. Da sind zum Beispiel die Reisetagebücher eines chinesischen Wandermönchs aus dem siebten Jahrhundert, der auf seinem Fußweg nach Indien bei den Buddhas im Bamiyan-Tal eine Pause einlegte. Teilstücke der Reise inszeniert Frei mit windumtoster Handkamera nach, den Zuschauer lässt das eher unbeeindruckt. In der selben Quelle hat der französische Archäologe Zémaryalai Tarzi Hinweise auf eine dritte Buddha-Staue aufgetan, die sogar die 54 Meter der größeren der gesprengten um einiges überboten haben soll: von 300 Meter Länge ist die Rede. Nach diesem legendären liegenden Buddha lässt der Franzose ein Team aus Einheimeischen graben, und Frei filmt ihn, wie das Dokfilmer manchmal gerne tun: mit einem kleinen ironischen Abstand, der das Gegenüber ein bisschen manisch und ein bisschen lächerlich erscheinen lässt.
In ähnlicher Weise nimmt sich Frei auch das Expertenteam vor, das sich um den Wiederaufbau der Statuen bemüht, in welcher Form auch immer, ob als ruinenhafte Rekonstruktion oder mittels Photogrammetrie. Nichts einfacher, als solches Tun als müßig darzustellen: Frei parallelisiert die technisch versierten Bemühungen mit dem traurigen Schicksal eines Einheimischen, der aus dem zum Weltkulturerbe erklärten Tal auf eine Anhöhe in der Nähe umsiedeln musste. Mit seiner Familie haust er nun in einer jener Barackensiedlungen, denen man ansieht, dass sie sich jemand an einem Reißbrett weit weg von hier ausgedacht hat. "Die strenge Anordnung der Häuser erinnert mich an einen Gulag", verliest Freis Alter Ego aus dem Off, wo es längst keines Kommentars mehr bedurft hätte.
Zur Realsatire wird Freis Film, wenn er dem Gerücht folgt, in einem chinesischen "Vergnügungspark" habe man eine der Riesenstatuen nachgebaut und biete sie nun für Geld den Blicken feil. Es existieren Bilder der Bauarbeiten, aber niemand will dem Schweizer die Statue zeigen - warum, das kann auch Frei sich nicht richtig erklären, wie überhaupt an dieser Stelle merkwürdig verwischt, wer hier wen des rein kommerziellen Interesses beschuldigt: Frei die Chinesen oder die Chinesen den Dokumentarfilmer?
Als roter Faden ziehen sich durch den Film aus dem Off verlesene Briefe, in denen das erwähnte Alter Ego des Regisseurs im Austausch mit der eingangs genannten Exil-Afghanin Nelofer Pazira über allerlei Dinge nachdenkt. Der reflexiv-melancholische Tonfall wird durch Musikeinsatz von Philip Glass bis Arvo Pärt aufdringlich unterstrichen. Wie überhaupt der Film dazu neigt, den Eingeweihten zu predigen: Wer Bescheid weiß über die Geschichte der Buddhas, kann sich an den gesammelten Impressionen und Skurilitäten erfreuen; wer etwas erfahren wollte über die 1.500 Jahre alten Kulturdenkmäler und die Umstände ihrer Zerstörung, aber wird enttäuscht.
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