Verstehen ohne Schlaf

Im Kino Sofia Coppolas "Lost in Translation" handelt von zwei Amerikanern in Tokio, die die Unwirklichkeit des Fremden zusammenbringt

Es ist eines der schönsten Filmthemen überhaupt: Männer in der Krise. Wobei mit Krise etwas gemeint ist, was eben nicht mit den klassischen Kino-Mitteln wie Schwertkampf, Todesmut oder viel Sex zu bekämpfen wäre, sondern etwas ungleich Existentielleres, ein Zustand, in dem die männliche Identität bis ins Mark erschüttert wird und dem so schwer beizukommen ist wie dem Jetlag eines gerade angekommenen Amerikaners in Tokio.

Bill Murray spielt in Sofia Coppolas Lost in Translation einen amerikanischen Filmstar, der entweder bessere Zeiten gesehen oder sie nie erreicht hat. Diese schwierige Positionierung als Prominenter zweiter Klasse illustriert der Film mit liebevoll verstreut gesetzten Hinweisen. Murrays Figur des Bob Harris ist namhaft genug, um in Japan für Whisky-Werbung eingesetzt zu werden, aber zu wenig im Geschäft, um es sich leisten zu können, die Einladung in eine ominöse japanische Talkshow abzulehnen. Von den Angestellten des Hotels wird er äußerst zuvorkommend behandelt, seine eigenen Landsleute, die ihn in der Bar erkennen, haben allerdings Schwierigkeiten, Filme mit seiner Beteiligung richtig aufzuzählen.

Das geradezu schmerzhaft demütigende Moment dieses Daseins als Doch-kein-ganz-so-großer-Star bringt besonders jene Szenenfolge auf den Punkt, die, wäre der Film ein altmodischer Rock-Song, eine Art Gitarrensolo darstellen würde: Bei den Aufnahmen für die Whisky-Werbung wird Murray gebeten, doch bitte an das rat pack zu denken. Viele Witze sind über die asiatische Unfähigkeit zur richtigen Artikulation des abendländischen Kernkonsonanten "r" gemacht worden, lange aber nicht mehr so schön wie hier, wo Verständigungsklippen wie Frank Sinatra und Roger Moore überwunden werden. Wobei der Sprachwitz das Eine ist, mit welch meisterhafter Nonchalance Murray der herabsetzenden Bitte zur Imitation anderer Stars nachkommt das Andere. Ein kurzes Kinnwackeln nach vorne, ein durchtriebener Augenaufschlag von der Seite und old blue eyes und seine Spießgesellen blitzen auf. Und dieses verblüffende Können verleiht Murrays Figur plötzlich eine ganz eigene Größe. Selten sah man die Kläglichkeit eines depressiven Antihelden mit so viel Würde dargestellt.

Murrays Schauspielerleistung wäre aber kaum mehr als ein ergreifendes Solo, begegnete er nicht kurz darauf Scarlett Johansson. Sie spielt Charlotte, die Ehefrau eines erfolgreichen Fotografen, den sie in Ermangelung eines besseren Zeitvertreibs auf seinem Business-Trip in Japan begleitet. Ganz entgegen dieser herkömmlich anmutenden Konstellation hat Johansson die ungewöhnliche Rolle einer jungen Frau, die in erster Linie durch ihre Intelligenz und ihren Sinn für Humor interessant wirkt. Auch sie leidet unter dem Jetlag und wie bei Murrays Figur bringt der Zustand der fortgesetzten Schlaflosigkeit auch bei ihr die latente Depression zum Ausbruch.

Was die beiden fortan miteinander haben Romanze zu nennen, hieße geradezu den noch sehr viel zarteren Charakter ihrer Verbindung zu verraten. Der alternde Star und die Philosophie-Studentin sind ein ungleiches Paar, das so wenig voneinander will, dass sie sich in seltener Gelassenheit über die wahren Probleme des Lebens austauschen können: Ob es leichter wird mit dem Alter, und wie das ist mit der Familiengründung, der eigenen Berufung und dem Kinderkriegen. Und nicht zuletzt, weil sie währenddessen ganz ungeschützt, wenn auch angezogen im Hotel-Bett nebeneinander liegen, klingen ihre Antworten auf eine Weise ehrlich und unverbraucht, die man im Kino sonst oft vermisst.

Denn nur auf den ersten Blick macht es sich die Regisseurin leicht, indem sie die verbreiteten Ansichten über das rätselhafte Japan inszeniert: Etwa, dass sie klein sind - Murray steigt in einen Lift voller Menschen, die ihm alle höchstens bis ans Kinn reichen. Oder dass sie unglaublich hysterisches Fernsehen haben - Murray wird zu seltsamen Aktionen in einer Talkshow genötigt. Auch die raffinierten Prostituierten und undurchschaubaren Speisekarten kommen vor. Dieser ganze Slapstick, über den sich die japanische Kritik schon beschwert hat, balanciert Coppola jedoch aus durch die Ehrlichkeit, Zartheit und Ernsthaftigkeit, mit der sie die Begegnung zwischen zwei Menschen schildert, die zunächst kaum etwas anderes als die Fähigkeit zur Selbstironie gemeinsam haben. Am Ende wünscht man sich jedoch inständig, dass sie doch noch Adressen tauschen.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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