Vom depressiven Pferd

Was läuft Die animierte Hollywood-Parodie „Bojack Horseman“ von Raphael Bob-Waksberg bekommt partout nicht die Anerkennung, die sie verdient. Spoiler-Anteil: 41 Prozent
Ausgabe 29/2016

Natürlich wurde Bojack Horseman bei den in der vergangenen Woche verkündeten Emmy-Nominierungen wieder übersehen. Wo bekommt ein depressives Pferd schon den Respekt, den es verdient? Nicht in dieser Welt! Und auch nicht in der Welt, die der US-amerikanische Comiczeichner, Schauspieler, Autor und Produzent Raphael Bob-Waksberg mit der Zeichentrickserie Bojack Horseman erfunden hat. Dabei ist sie das rarste aller Kunststücke: psychologisch wahrhaftig, mediensoziologisch kritisch, sehr, sehr witzig.

Die Serie spielt in einem von Tieren und Menschen gleichberechtigt bewohnten Los Angeles, in dem fast alles so ist, wie wir es kennen: das Hollywood-Zeichen auf dem Hügel, das zynische Filmgeschäft drumherum, Stars wie Andy Garfield, Naomi Watts, Daniel Radcliffe und Tony Curtis – und keiner weiß, ob Letzterer noch lebt. Und es gibt dazu Wesen wie Bojack, ein Mann-Pferd oder Pferd-Mann, der in den 90ern Star einer populären Sitcom war. Die hieß, passenderweise, Horsin’ Around und handelte von einem Pferd, das drei Waisenkinder bei sich aufnahm. Die Sitcom, aus der man in Rückblenden immer wieder Ausschnitte sieht, gehörte zu der schlecht angesehenen Sorte, in der kleine Kinder catch phrases sagen und fast jede Episode mit Umarmungen endet.

Dass er seinen Ruhm solch kulturellem Spießertum verdankt, plagt Bojack noch in der Gegenwart. Schlimm genug, ein has-been zu sein, noch schlimmer, wenn man auf den eigenen Karrierehöhepunkt nicht mal stolz sein kann. So verbringt Bojack (dem Will Arnett, George Oscar „G.O.B.“ Bluth II, aus Arrested Development die Stimme leiht) sich selbst hassend und mit Drogen und Alkohol betäubend seine Tage in der Villa über dem Laurel Canyon, das Hollywood-Zeichen im Blick. Gäbe es nicht Todd (gesprochen von Breaking Bads eigenem Aaron Paul), der als nutzloser Schnorrer bei ihm auf dem Sofa pennt und den er dafür rituell beschimpfen kann – das Leben wäre für Bojack unerträglich.

Bevor sich nun all diejenigen abwenden, die Zeichentrickserien aus Prinzip nicht schauen, erst recht nicht, wenn sie verkappte Hollywood-Satiren sind, sei betont: Bojack Horseman ist das Ding, für das es sich lohnt, solche Prinzipien zu vergessen. Allein weil die Welt, die Raphael Bob-Waksberg hier geschaffen hat, so originell ist in ihrer Mischung aus Anspielungen aufs reale Hollywood und deren Überspitzung in die Tierweltkarikatur.

Auf einer von Bojacks Partys sitzt neben Jake Gyllenhaal Schwester „Maggot“, tatsächlich eine riesige Made. Jerry-Maguire-Regisseur Cameron Crowe muss sich gegen das Vorurteil wehren, er sei eine Krähe, wo er doch ein Rabe ist! „Quentin Tarantulino“ helfen acht Spinnenarme dabei, sich auf dem Set durchzusetzen. Er verschafft alten Stars eine zweite Chance: „What Reservoir Dogs did for Rin Tin Tin“. Keine Sorge, nicht alle Scherze siedeln in solchen Untiefen popkulturellen Wissens.

Von hochkomischen Plakaten im Hintergrund („Talk to your doctor about getting neutered“ hängt im Wartezimmer eines Arztes) bis zu raffinierten Wortspielen (wenn Charlotte, ein Reh und Bojacks einstige große Liebe, einen Abschiedsbrief mit „your deer friend“ unterschreibt) bietet Bojack Horseman so viel Humor, dass man jede Folge mehrfach hintereinander schauen kann und immer wieder Neues entdeckt. Was wiederum nicht so einfach ist, weil die Serie gleichzeitig eine packende und, ja, berührende fortlaufende Handlung hat. Denn all die offenen und versteckten Scherze sind Mittel zu einem finsteren Zweck: das zentrale Thema ist die Depression.

In der ersten Staffel musste Bojack sich mit einer Ghostwriterin herumschlagen, die zu Papier brachte, was er sich nicht eingestehen konnte: dass er sein Leben weitgehend versaut hat. In der zweiten Staffel bekommt er eine zweite Karrierechance mit der Hauptrolle im Biopic über das sagenhafte Rennpferd „Secretariat“. Aber so viel läuft schief, dass man es Bojack nicht verübeln kann, wenn er vom Set flieht.

Mit vielen Gags reflektiert die Serie zugleich in ungewöhnlicher Schärfe den Zustand der modernen Medien, den Untergang des Print-Publishing wie den Hype der News-Sender, die lieber Kontroversen anstacheln, als über Weltgeschehnisse zu berichten. In der dritten Staffel, die Netflix am 22. Juli bereitstellt, soll es um Twitter und Social Media gehen. Bojack muss auf Oscar-Tour, aber machen wir uns nichts vor: Die Chance, dass Bojack am Ende triumphieren könnte, ist denkbar gering.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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