Vom Druck, stets mitzureden

Was läuft Über „Game of Thrones“ und was davon in 50 Jahren bleiben wird. Spoiler-Anteil: 1 Prozent
Ausgabe 30/2017
Wahre Popularität zeigt sich darin, dass selbst die, denen es nicht gefällt, sich eine Meinung dazu bilden
Wahre Popularität zeigt sich darin, dass selbst die, denen es nicht gefällt, sich eine Meinung dazu bilden

Foto: Michael Goulding/Zuma Press/Imago

Zu den Thesen, denen das Internet hinterrücks die Grundlage entzogen hat, gehört die, dass Fernsehen zu Vereinzelung führt. Von wegen „aktives Gemeinschaftserlebnis Kino“ versus „passives, einsames Hindämmern vor der Glotze“. Ach, waren das noch Zeiten, als die Welt so einfach war (Ost-West, Geha-Pelikan, Beatles-Stones und so weiter). Heutzutage ist „einsam“ ein Stichwort, um ein Multiplexkino an einem Mittwochabend im Sommer zu beschreiben, während die Premiere der siebten Staffel von Game of Thrones als weltumspannendes kollektives Ereignis daherkommt.

So tun sich die „Völker dieses Webs“ seit Mitte Juli wieder zusammen, um in Blogs, Podcasts, Youtube-Videos, Twitterfeeds, Listicles und all den anderen Ausdrucksformen der sozialen Medien wöchentlich die neue Botschaft, soll heißen Folge zu verarbeiten. Statt passiven Konsums explodierende Kreativität auf allen Kanälen also; die besten Köpfe reden sich über die Frage heiß, ob die „Mauer“ fallen wird, während die technisch Versierteren Screenshots einfrieren, um in der Vergrößerung entziffern zu können, was in dem Buch steht, das Sam Tarley da in Oldtown durchblättert.

Wobei der Außenstehende sich vielleicht weniger darüber wundert, dass solche Praktiken zum Alltagsgeschäft des GoT-Exegeten gehören, als darüber, dass auf der Buchseite dann tatsächlich etwas Aufschlussreiches steht. Ein gewisses Schwert aus valyrischem Stahl nämlich besitzt einen Griff aus Drachenstein, womit es von beiden Seiten als Waffe gegen die White Walkers einsetzbar ist!

Wer jetzt erschöpft abwinkt, kann getröstet sein: Auch er ist nicht allein. Bestes Beispiel dafür liefert die New York Times, die in diesem Jahr Game of Thrones verdächtig viel Platz einräumt. In den Leserkommentaren finden sich dafür nicht wenige, die ihr Unverständnis kundtun: „Hab noch nie eine Folge geguckt!“ Oder: „Es reicht, die Serie ist Mist!“ Bleibt die brennende Frage, warum postet so jemand dann unter einem GoT-Recap? Nun, es ist ein Weg, um sich auch noch als contrarian zugehörig zu fühlen.

In der Tat erzeugt eine Popularität wie die von Game of Thrones einen gewissen sozialen Druck: mitzureden, mitzubewerten. Wahre Popularität zeigt sich nicht nur darin, dass etwas den Massen gefällt, sondern darin, dass selbst die, denen es nicht gefällt, sich eine Meinung dazu bilden. Was uns zu einer anderen medienkritischen These aus den 1980er Jahren bringt, die sich damals um die extreme Popularität der Serie Schwarzwaldklinik entspann.

Zur Erinnerung: Die knapp 28 Millionen Zuschauer bei einer Folge im Jahr 1985 sind bis heute im Bereich Fiktion ungeschlagen. Diese Zahl allein war einst vielen Beweis genug dafür, dass die Serie nichts taugt. Nicht umsonst erfreute sich das Dieter-Hildebrandt-Zitat „Leute, fresst Scheiße, Millionen Fliegen können nicht irren!“ großer Beliebtheit. Und wer jetzt meint, ich würde hier willkürlich zwei Arten von Popularitätsmaßstab anlegen, der sei an das andere Dogma jener Jahre erinnert, das jede Kunst in zwei Lager aufteilte: affirmativ oder kritisch. Affirmativ und populär war eklig wie die Schwarzwaldklinik. Kritisch und populär war fortschrittlich und aufklärend wie Hildebrandt.

Auch wenn sich die reflexhafte Antihaltung gegen allzu populäre Stoffe seither abgeschwächt hat, merkt man an den Reaktionen zu GoT doch ihr letztes Zucken. „Wie gut ist GoT wirklich?“, lautet eine gängige Frage derzeit, die ihre abschätzige Beantwortung schon vorwegnimmt. Den meisten Kritikern scheint völlig klar, dass etwa Twin Peaks die bessere Serie ist. Weshalb die Antwort auf die Frage, an welche Serie man noch in 50 Jahren denken wird, ebenfalls schon festzustehen scheint. Gerade weil das Gemeinschaftserlebnis die Rezeption von GoT derzeit so bestimmt, sieht man für die Serie ein Schicksal wie das der Durbridge-Krimi-Verfilmungen Anfang der 1960er Jahre voraus: Die brachten damals „das öffentliche Leben zum Erliegen“ und interessieren heute keinen mehr.

Aber wer weiß: Vielleicht kommt es auch ganz anders und in 50 Jahren entdeckt die Kunstkritik die wahre Größe in GoT so wie die Cahiers du cinéma in Hitchcock verspätet einen Autorenfilmer erkannten. Bis dahin kann man festhalten, dass sowohl die Serie selbst als auch der Kult, der um sie gemacht wird, ein so vielgestaltiges, ambivalentes und beständig sich veränderndes Phänomen sind, dass man sich eben kaum daran sattsehen kann.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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