Was bisher geschah

Was läuft Serien lassen sich erstaunlich gut mit Romanen vergleichen, siehe „Krieg und Frieden“ und „Colony“
Ausgabe 05/2016

Eines der vielen schönen Dinge am Seriengucken ist ja, dass man nicht nur über die Serien, sondern auch übers Gucken spricht. Und wenn es heißt, die moderne Fernsehserie sei ein writer’s medium, also von den Drehbuchautoren geprägt, während im Kino als die entscheidenden Figuren (vermeintlich) die Regisseure gelten, scheint es absolut folgerichtig, dass auf der Rezeptionsseite ein Leser steht beziehungsweise sitzt.

Wie überhaupt der Vergleich zum Lesen gute Denkanstöße gibt. Man müsste etwa das Modewort „binge-watchen“ daraufhin befragen, ob es sowohl den Stolz umfasst, der einen erfüllt, wenn man nach dreimonatigem, diszipliniertem Lesen Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit hinter sich gebracht hat, als auch den Selbstekel, der sich einstellt, wenn man sich um vier Uhr morgens im Bett auf der letzten Seite eines Dan-Brown-Schinkens wiederfindet.

Egal ob man für Proust nun Mad Men oder Breaking Bad einsetzt und für Dan Brown so etwas wie Revenge oder House of Cards – tatsächlich fühlt es sich doch erstaunlich richtig an, Serien mit Romanen zu vergleichen. Es macht vorsichtig gegenüber kategorischen Behauptungen wie der von Ekkehard Knörer neulich an dieser Stelle aufgestellten: „Dritte Staffeln sind heikel“ (Freitag 01/2016).

Sicher, auch manche Bücher haben ungeliebte Kapitel. Aber man wäre trotz großer Unlust bei der Erstlektüre zum Beispiel der Schlachtkapitel in Tolstois Krieg und Frieden nicht auf den Gedanken gekommen, Kriegspassagen generell für bedenklich zu halten. Was man Büchern selbstverständlich zugesteht, könnte auch auf viele der neuen, durchkonzipierten Serien zutreffen: Langweilige Kapitel, die zuerst wie Durststrecken erscheinen, entpuppen sich am Ende als wichtige Phasen der Transition, die gerade in ihrer Rauheit interessant sind. Übrigens hat die BBC gerade wieder einmal Krieg und Frieden als Sechsteiler verfilmt – mit Paul Dano in der Rolle des Pierre Besuchow, was nach einer wunderbaren Idee klingt.

Die Miniserie und der Roman pflegen ja schon lange eine innige Beziehung. Nur dass früher, als man noch an die „wissenschaftlich erwiesene“ Tatsache glaubte, dass Fernsehen blöd macht, mehrteilige Literaturverfilmungen in etwa so viel wie illustrierte Kinderbuchversionen der Odyssee galten. Der BBC gelang es, die Miniserie von diesem Ruch des Herunterpopularisierens zu befreien. Aus einem Duell zwischen der Pride-and-Prejudice-Serie mit Colin Firth (1995) und der späteren Kinoadaption mit Keira Knightley (2005) ginge Erstere als klarer Sieger hervor. Aber richtig romanesk werden Serien erst, wenn es mehrere Staffeln gibt, wenn nämlich genau das von Ekkehard Knörer letzthin beklagte Abwarten dazukommt.

Obwohl man das nicht wörtlich verstehen muss. Nicht der zeitliche Abstand der Ausstrahlungen ist wichtig, sondern der Produktionsprozess des Neuansetzens, der jedem Staffelbeginn innewohnt. Es ist die Nagelprobe für jede Serie, die Fortsetzung, die zwingend erscheinen muss, auch wenn sie so vielleicht gar nicht von Anfang an geplant war. Eine Erzählung in die Länge dehnen, das kann jeder, aber dabei die Form behalten und mitreflektieren? Erst beim gekonnten Wechsel zwischen langjähriger Perspektive und staffelinternen Entwicklungen kommt das Medium Serie sozusagen zu sich.

Am natürlichsten scheint es, die Serie mit dem Fortsetzungsroman alter Schule zu vergleichen, samt eingebautem Misstrauen gegen den Autor: Wird er auch nächste Woche wieder liefern können? Gebrannten Lost-Guckern beispielsweise fällt es schwer, Carlton Cuse zu vertrauen, obwohl dessen neue Serie Colony ein ersehntes Wiedersehen mit manchen Lost-Darstellern (Josh Holloway!) bietet und in eine geheimnisvolle Welt hineinzieht, in der die Erdbewohner unter dem grausamen Joch einer fremden Kolonialmacht leben. Es kann schlimm enden, ich weiß.

Wie das Romanlesen führt das Seriengucken dazu, dass man sich mit mehreren Werken gleichzeitig beschäftigt. Wobei in meinem Fall das Seriengucken aufs Romanlesen zurückwirkt. Wenn ich heutzutage in meinem E-Book-Reader ein Buch aufschlage, in dem ich etwas länger nicht mehr gelesen habe, dann wartet etwas in mir auf die hilfreiche Ansage: „Last week on Jonathans Franzen’s Purity.“ Wär’ das nicht toll? Auf Knopfdruck aus dem Buch tönend: Madame Bovary – was bisher geschah.“

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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