Was Frauen wissen

Medientagebuch Von der Frühjahrsdiät zu den Herbstrezepten: Rituale für den modernen Alltag

... haben sie aus Frauenzeitschriften. Wahrscheinlich gäbe es für die Archäologen späterer Jahrtausende keine bessere Quelle über unser Alltagsleben als ein kompletter Jahrgang Allegra, Freundin oder Brigitte. Von den unterschiedlichen Methoden der Haarentfernung (Nassrasur, Wachsen oder Elektroepilation) bis zu den möglichen Materialien der Brustimplantate (Kochsalzbeutel, Silicon, Titanbeschichtung), von den diversen Lebensmodellen (Zusammenwohnen mit Kindern, Männern oder Katzen) bis zu den sich abwechselnden Stadien des Liebeskummers - es ist im Grunde keine Alltagspraxis vorstellbar, mit der sich dieses einzigartige Segment des Zeitschriftenmarktes nicht beschäftigen würde.

Dazu noch werden hier stets die überlieferte Tradition, das herkömmliche Wissen und die alten Gewohnheiten mit den neuesten Errungenschaften von Wissenschaft und Technik abgeglichen - meist im handlichen Format der Aufzählung. Womit auch schon die typische Zwiespältigkeit des Genres beschrieben wäre: Frauenzeitschriften geben sich übersichtlich, sie folgen im Wesentlichen immer dem gleichen Aufbau, egal ob nun die 16-jährigen Mädchen oder die Frau über 50 angesprochen werden soll. Im vorderen Teil wird die aktuelle Mode vorgestellt, mittig platziert findet sich die Behandlung eines je nach Zielpublikum mehr oder weniger reißerischen Themas, das fast immer mit "Sex" im weitesten Sinn zu tun hat, im letzten Drittel kommen dann die Kochrezepte, oft zum Herausnehmen. Die Übersichtlichkeit verspricht so etwas wie beratende Ordnung in die Unübersichtlichkeit des modernen Lebens zu bringen und stellt sie doch eigentlich erst richtig her, indem ein kleiner Text über den richtigen Auftrag von Selbstbräunercremes ganz selbstverständlich von einem aufklärenden Essay über Essstörungen gefolgt wird, an das sich dann die Beschreibung dessen anschließt, was einen originalen New York Cheese Cake ausmacht. Die ausführliche Lektüre einer Frauenzeitschrift hat deshalb immer auch etwas äußerst Verwirrendes.

Es ist der Gestus des Allumfassenden, mit dem hier Körper und Seele, Wohnen und Arbeiten besprochen werden, in dem sich im Übrigen auch die Frauen- von den Männerzeitschriften unterscheiden. Letztere zeigen Profil, in dem sie sich auf die Fitness des männlichen, die teilweise Entblößung des weiblichen Körpers oder andere Dinge aus der schönen Warenwelt konzentrieren, während die klassischen Frauenzeitschriften eben stets den ganzen Alltagskosmos durchschreiten: von der ersten Liebe zum Ostermenü, von der Hundehaarallergie zur Gestalttherapie.

In unserer vollkommen verweltlichten Gesellschaft, in der immer weniger Menschen in Singlehaushalten noch Lust haben, zu Weihnachten einen Baum zu schmücken - solche prägnanten Umfrageergebnisse gehören ebenfalls zum Repertoire -, übernehmen Frauenzeitschriften eine wichtige Aufgabe: Sie begleiten den Jahreszeitenwechsel mit rituellen Handlungen: Auf die Frühjahrsdiät folgt das Einkleiden mit Sommerfarben, abgelöst vom Kochen nach Herbstrezepten und nachfolgenden winterlichen Einrichtungsvorschlägen. Und so sehr sich das Jahr ein, Jahr aus wiederholt, so aktuell erscheint es doch jeweils, das wirkungsvolle Einstimmen auf Saison und Wetterlagen. Darin mag eine wesentliche Stärke dieser Blätter liegen; sie verbreiten eine Gemütlichkeit und emotionale Wärme, mit der andere Zeitungen nie so richtig mithalten können.

Allumfassend und zyklisch, alltagsbezogen und in fast allen Aspekten praktisch anwendbar, verkörpern die klassischen Frauenzeitschriften so etwas wie die gesellschaftlich sanktionierte Normalität. Was in ihre Aufzählungen aufgenommen ist, kann für sich beanspruchen, dazu zu gehören. Von diesem festgefügten Plateau der Normalität lässt es sich dann um so aufgeschlossener den Randerscheinungen widmen, wie etwa der Homosexualität und anderen Überschreitungen, die doch eher querliegend zum Alltag empfunden werden. Die allen Blättern des Genres, egal wie anspruchsvoll sie im einzelnen Fall sein mögen, eigene Oberflächlichkeit besteht denn auch weniger in der übermäßigen Dramatisierung von Problemen wie fettigem Haar, als vielmehr im Plauderton, mit dem hier suggeriert wird, man könne über alles reden, "unter uns", während das Regelwerk dessen, was Norm und was Abweichung ist, nur immer bestätigt wird.

In ähnlicher Weise, in der sie ihren Leserinnen Ordnungsvorschläge - Machen Sie sich eine Liste! - für eine Welt liefern, die im zwangslosen Nebeneinander von Schminktipps und Krebserfahrungsberichten erst eigentlich unordentlich erscheint, propagieren sie unablässig die Revolutionierung der äußeren Erscheinung durch Kosmetik und Mode, und fordern stets gleichzeitig dazu auf, man selbst zu bleiben. Es ist dieses zyklische, immer die gleichen Themen Reflektierende, das an diesen Zeitschriften zugleich fesselt und deprimiert. Im Zweifelsfall findet man in der Tat hier die Art von Ratschläge, wie man sie von den besten Freundinnen auch im wahren Leben erhalten kann: wenn ja, dann richtig, aber auf jeden Fall auf Qualität und Preis-Leistungsverhältnis achten!

So taucht auch bei den stets kurz gehaltenen Film- und Literaturtipps garantiert nichts auf, was nicht schon von anderer Seite empfohlen worden wäre - Frauenzeitschriften wollen nicht originell sein; das würde ihren "Normailtätsstatus" gefährden.

Dieser Tage feiert also vielleicht "seriöseste" aller Frauenzeitschriften, die Brigitte, ihren 50. Geburtstag. Sie gilt als Qualitätsblatt, besser recherchiert und nachhaltiger geschrieben als ihre oft halbseidenen Schwestern. Und doch ist es fast unheimlich, wie perfekt selbst in dieser konsum- und gesellschaftskritischen Abweichung das unvergleichliche Genre Frauenzeitschrift noch bedient wird.



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