Weiße Männer bei der Arbeit

Kino In Steven Spielbergs "Lincoln" spielt Daniel Day-Lewis einen Präsidenten, für den das Ende der Sklaverei ein Ziel ist, das alle Härte des politischen Geschäfts erfordert
Weiße Männer bei der Arbeit

Foto: 2012 Twentieth Century Fox

Geschichte in Form von Geschichten zu erzählen – manchmal scheint es so, als sei das Kino eigens dafür erfunden worden. Steven Spielbergs Film Lincoln fügt sich in diese These von der Geburt des Films aus dem Geist der Anekdote, gerade weil er zeigt, welche Macht aus solchen Erzählungen erwäc hst. Selbstverständlich geschieht das wiederum in Form einer Anekdote. Denn Lincoln, so heißt es, sei selbst ein großer Erzähler von Geschichten gewesen.

Spielberg inszeniert das als den Zeitgenossen wohl bekannte Tatsache. Wenn der Präsident aus der Ecke eines Raumes voller Männer fast leise die Worte spricht: „Lasst mich dazu eine Geschichte erzählen“, dann hält die Kamera auf Gesichter, die sich zunächst mit einer gewissen Ungeduld in ihr Schicksal fügen und ihre Aufmerksamkeit auf ihn richten, als wüssten sie bereits, was kommt. Lincoln erzählt dann etwa von Ethan Allen, einem Helden der amerikanischen Revolution, der kurz nach der Unabhängigkeitserklärung England bereiste, und mit jedem von Lincolns Sätzen scheint der Raum um ihn herum stiller zu werden, scheint Spannung aufzukommen und so etwas wie Vorfreude auf die Pointe, die sich auf den Zuschauer im Kinosessel überträgt. Besagter Ethan Allen also, erzählt Lincoln, reiste nach England und sah sich dort als Amerikaner vielerlei Scherz und Spott ausgesetzt. Auf einem Abort hing einmal ein Porträt von George Washington. Ethan Allen tat so, als sei ihm nichts Besonderes aufgefallen. Um dann, als man ihn dann fragte, was er zum Porträt Washingtons auf dem Klo meine, antwortete Allen, er halte das für einen höchst geeigneten Ort, schließlich bringe wohl nichts einen Engländer schneller zum Scheißen als der Anblick Washingtons.

Gutes Geschichtenerzählen lebt von der Zuspitzung, die vom Speziellen wieder ins Allgemeine führt. Lincoln, so zeigen die entsprechenden Szenen in Spielbergs Film, lenkt mit seinen Anekdoten seine Anhänger und Gegenspieler gleichermaßen. Ein gelungener Witz erweist sich als beste Vorbereitung für schwieriges Geschachere im Parlament. Regisseur Spielberg und sein Drehbuchautor Tony Kushner lassen wiederum in ihren zum Film zusammengefassten Anekdoten nicht nur einen Präsidenten lebendig werden, sie zeichnen auch ein Porträt von Politik als solcher, als Geschäft, als Arbeit.

Nicht ohne Eitelkeit

Anders als das Label „Biopic“ zunächst vermuten lässt, erzählt Lincoln nämlich nicht vom Leben und Werden des 16. Präsidenten der USA. Kushners Drehbuch setzt den Fokus denkbar eng: Der Großteil der Handlung spielt an wenigen Tagen des Januars 1865. Im Zentrum steht die Verabschiedung des 13. Verfassungszusatzes im Repräsentantenhaus, mit dem die Abschaffung der Sklaverei in den USA Gesetz wurde. Wer glaubt, dass das kein Stoff fürs Kino sein könnte, den belehren Spielberg und Kushner schnell eines besseren.

In den wenigen Szenen, die Lincoln im Weißen Haus mit seinen Beratern, Generälen und Familie zeigen, wird der historische Rahmen skizziert. Der amerikanische Bürgerkrieg liegt in seinen letzten Zügen, es scheint nur noch eine Frage von Wochen, wenn nicht Tagen zu sein, bis die Südstaaten kapitulieren. Das Zeitfenster bis dahin möchte Präsident Lincoln zur Verabschiedung des besagten Verfassungszusatzes nutzen, um die nach dem Friedensschluss der Union wieder beitretenden „Sklaven“-Staaten vor vollendete Tatsachen zu stellen. Diese historische Zwangslage dient dem Film als Spannungsbogen. Mit ihr verbindet sich eine der vielen Gewissensfragen, die man hier „Honest Abe“ für sich beantworten sieht: Ist es zulässig, für ein politisches Vorhaben die Verlängerung eines Krieges und damit mögliche weitere Menschenopfer in Kauf zu nehmen?

Das Drehbuch orientiert sich an der neuesten Lincoln-Forschung, und der Film traf in den USA den Nerv der Zeitgenossen – zwölf Oscar-Nominierungen sprechen ihre eigene Sprache. Und das wohl deswegen, weil der Film Lincoln nicht zum großen Idealisten stilisiert, sondern ihn als pragmatischen Realisten zeigt, als einen Machtmenschen nicht ohne Eitelkeit und Dünkel, der sich auf das zynische Spiel einlässt, „Lobbyisten“ anzuheuern, die eine Reihe von „Nein“-Stimmern mit Barem und dem Versprechen von Posten zu Befürwortern, sagen wir, überreden.

Die guten Gefühle, die der Film am Ende hinterlässt, rühren deshalb nicht nur daher, dass schließlich die Sklaverei abgeschafft wird, sich die Kongressabgeordneten in den Armen liegen und eine muntere Hymne anstimmen. Nein, erstaunlicherweise ist man als Zuschauer einverstanden mit den Methoden, die es brauchte, um zu diesem Triumph zu gelangen: Erpressung und Intrigen, vielleicht sogar einen Meineid. Das eigentliche Wunder des Films und, wie man immer wieder betonen muss, des Drehbuchs von Kushner passiert darin: den politischen Prozess zu zeigen als erstaunlich befriedigende Kunst, Kompromisse zu schließen, von hohen Rössern herabzusteigen.

Die Szenen, in denen die von John Hawkes und James Spader gespielten Lobbyisten feigen Sklavereibefürwortern hinterherjagen, gehören mit ihrem Folklore-Touch zu den unterhaltsamsten des Films, und es geht von ihnen eine ganz eigene Zuversicht aus: dass hart umkämpfte Schlachten gewonnen werden können.

In existentieller Melancholie

Lincoln ist konventionelles Kino auf seiner höchsten Stufe. Spielberg, der sich wie kein anderer auf das Inszenieren von Schlachten versteht, zeichnet die Parlamentsverhandlung als Debattenturnier, in dem Mann gegen Mann antritt. Kushners Dialoge liefern die Musik dazu und sorgen für den Thrill, den intelligente Argumente wecken können. Prominent besetzt, sind sämtliche Nebendarsteller eher zu bemitleiden, weil sie im Schatten des großartigen Daniel Day-Lewis stehen. Der, so heißt es völlig zurecht, ruft Lincoln von den Toten zurück. Da sind seine kantigen Bewegungen, die einen vor der Zeit gealterten Mann Mitte 50 verraten, stets leicht frierend und übermüdet, von existentieller Melancholie umgeben. Die Maske macht den britischen Schauspieler dem Bild des vielleicht hässlichsten aller Präsidenten täuschend ähnlich. Das Spiel von Day-Lewis, mit seinem feinen Lächeln, lässt ihn schön erscheinen. Man glaubt dem Schauspieler, wenn er über die Figur sagt, dass er noch nie jemanden so sehr geliebt habe, dem er nie begegnet sei.

Die historischen Ungenauigkeiten, die man Lincoln vorwirft, bestätigen in ihrer Kleinmütigkeit, wie viel historischer Geist tatsächlich getroffen wurde. Der berechtigste Vorwurf bemängelt, dass die Abschaffung der Sklaverei einmal mehr als Geschenk des weißen Mannes an den schwarzen dargestellt sei und nicht als soziale Transformation, in der Afroamerikaner und Frauen selbst eine aktive Rolle gespielt haben. Aber so viel macht der Film uns glauben: Der „große Emanzipator“ hätte dazu sicherlich eine Geschichte zu erzählen gewusst.

Barbara Schweizerhof schrieb zuletzt über Der Geschmack von Rost und Knochen

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