In der Welt des Kinos stellt James Bond etwas wirklich Einzigartiges dar. Und zwar weniger die Figur des Geheimagenten selbst, die oft kopiert und parodiert und so manches Mal sogar von Nachahmern übertroffen wurde, als vielmehr die Filmserie als solche. Vom "Bond-Franchise" ist deshalb in den letzten Wochen immer wieder die Rede und tatsächlich gibt das Wort "Franchise" recht gut wieder, dass es sich bei den Bond-Filmen um eine Marke handelt, die alle paar Jahre in Neuauflage unters Volk gebracht wird. Casino Royal ist bereits die 22. Ausgabe und es ist eigentlich nicht vorstellbar, dass diese stolze Zahl von irgendeiner anderen Filmserie je geschlagen wird.
Mehr noch als bei jeder anderen Film-Serie tritt beim Bond-Franchise zu Tage, dass es sich um ein rein kommerzielles Produkt handelt, ähnlich einem neuen Automodell. Weshalb auch das Reden über den neuen Bond-Film oft einem Verkaufsgespräch gleicht: Hervorgehoben wird die Serienausstattung: Bond-Girl, Bond-Bösewicht, Bond-Wagen. Die traditionell "exotischen" Drehorte erfahren Kritik und weitere Produkteigenschaften, neudeutsch: Features werden im Vergleich mit den 21 Vorgänger-Modellen kundig gegeneinander gehalten. Nach einem solchen Gespräch erscheint eigentlich nichts mehr wirklich neu am "neuen Bond". Weshalb auch die ganzen Listen der "5 besten Bond-Girls" und "3 besten Bond-Bösewichts", die zum Bond-Filmstart durch Zeitungen und Magazine kursieren, nicht unbedingt Lust machen, die neue Folge überhaupt noch anzugucken. Bleibt man angesichts soviel Wiederkehr des Immergleichen nicht besser beim "guten Alten"?
Aber in der historischen Spanne, die sich durch die Reihe von 21 Vorläufern ergibt, liegt natürlich auch wieder ein ganz eigener Reiz: Wer dieser Tage ins Kino geht, um Casino Royal zu schauen, geht selten mit dem Bewusstsein, einen einzelnen Film zu sehen, sondern betrachtet den neuen Film gewissermaßen durch das Spektrum der alten, ganz so, als sei er die aktuellste Antwort auf eine immer noch virulente Frage. So kommt es, dass etwas so entschieden geschichtsloses wie die Bond-Marke, die seit über vier Jahrzehnten das Weltbild der fünfziger Jahre konserviert, ja mumifiziert, die einzige Film-Serie darstellt, die selbst eine echte, generationenübergreifende Geschichte hat.
Mit seinen 150 Millionen Dollar an geschätztem Budget gehört Casino Royal nicht einmal in die Liga der teuersten Filme, trotzdem bildet die stattliche Summe eine Art Garantie auf den gesellschaftlichen Gehalt: Wo soviel Geld investiert wird in ein Produkt, muss schließlich auch genügend wieder rauskommen. Der neue Bond ist, ob es uns passt oder nicht, nach "unseren" Wünschen gebaut und konstruiert, oder sagen wir: nach dem, was sich die Produzenten darunter vorstellen. Er bildet mithin den Spiegel aktueller gesellschaftlicher Bedürfnisse, kollektiver Träume. Manchmal ist das erstaunlich; oft ziemlich beschämend.
Mal ehrlich: sähe man die alten Bonds auf großer Leinwand bei voller Aufmerksamkeit und nicht immer nur im Fernsehen, fiele es schon schwerer, den leicht schmierigen Sexismus Sean Connerys im Stil von "Pussy Galore? Ich muss wohl träumen" zu ertragen. Auch die Einzeiler, mit denen Roger Moore als Bond seine Gegner in den Tod verabschiedete - bei einem Dachsturz etwa: "ein hoffnungsloser Fall" - lassen sich heute nicht mehr richtig goutieren. Und selbst in der politisch korrekteren Version von Pierce Brosnan ist die Peinlichkeit dieser Phantasiegestalt, die bei Mordtaten mit guten Manieren prahlt, nie aus der Fassung gerät und scheinbar in allen Wissensgebieten bewandert ist, ohne je einen intelligenten Satz zu äußern, unübersehbar. Die Gestalt gewordene Jungsphantasie von Allmacht, Allwissen und absoluter Souveränität bei höchster körperlicher Fitness - die inzwischen geschlechterübergreifenden Appeal besitzt - braucht eine zeitgemäße Einkleidung, damit das Kindlich-Regressive daran nicht störend ins Bild ragt.
Wie gut den Machern von Casino Royal das bei der Neuauflage gelungen ist, lässt sich deshalb schon daran ablesen, dass einem der neue Bond in Gestalt von Daniel Craig eben nicht peinlich ist. Erstaunt stellt man fest, dass der in Casino Royal beworbene Zeitgeist weniger auf die aktuelle Jugendkultur als auf Nostalgie setzt. Und zwar auf deren "sparsame" und unironische Variante, in der man ohne Schwelgen auskommt, sondern nur eben so ein bisschen sich von der Sehnsucht die Augen benetzen lässt. Die Sehnsucht gilt aber unübersehbar den Formen und Farben, dem Dresscode und der Weltsicht der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre. Die schwarz-weiße Eröffnungssequenz weist den Weg, die Wahl der Schauplätze tut ihr übriges, indem sie eine "Exklusivität" behaupten, die sich in Zeiten des Massentourismus längst erledigt hat. Das Venedig, aus dem heraus der verliebte Bond seine Demission einreicht, hat man jedenfalls lange nicht mehr so menschenleer gesehen. Obwohl der Film in der Gegenwart spielt, sieht die Welt, in der er handelt, ganz nach verklärter Vergangenheit aus. Und wenn Judi Dench als M am Anfang eine Tirade gegen Bonds eigenmächtiges Verhalten mit den Sätzen beendet: "Früher hätte ein Geheimagent nach einer solchen Aktion die Würde besessen zur anderen Seite überzulaufen - mein Gott, wie ich den Kalten Krieg vermisse!" - Dann scheint der Film ihr zumindest mit seinen Kulissen den Wunsch zu erfüllen.
Zum verschlankten, retrograden Charakter des Films passt auch, dass der neue Bond nicht mit technischen Wunderwaffen ausgestattet wird, sondern mit Pistole, Laptop und Handy auskommt. Auf der Ebene der Filmtechnik bedeutet das, dass auch die Action-Szenen in Casino Royal fast ganz auf Computer-errechnete Bilder verzichten. Nach all den Fantasy-Spektakeln der letzten Jahre, in denen "Wimmelsoftware" die Leinwand mit Kriegern und Ungeheuern füllte, kann man die "ehrlichen Stunts" in Casino Royal, wo reale Männer sich fürs Gefilmtwerden an riesigen Baukränen langhangeln, auf Eisenstangen aufschlagen, und außerdem rennen, springen und prügeln, was das Zeug hält, auf neue Weise "genießen".
Das Erstaunlichste am neuen Bond aber ist die Tatsache, dass der Geheimagent zum ersten Mal von einem Schauspieler verkörpert wird. Das ist weniger geringschätzig gegenüber den bisherigen Darstellern gemeint, als es klingt: Schauspieler vom Format und der Generation Sean Connerys und Roger Moores, so stellte der britische Guardian dieser Tage richtig, hätten es in ihrem Berufsethos als frivol empfunden, eine Phantasie-Gestalt wie Bond "realistisch" darzustellen. Die Selbstparodie und das Holzschnittartige waren Teil ihrer ernsthaften Rollenauslegung.
Bei Daniel Craig erhält Bond nun die Dreidimensionalität eines dramatischen Charakters. Und siehe da, auf einmal liegt selbst in so abgenudelten Szenen Spannung, wie der, wenn Bond sein Mädchen trifft. Wenn Eva Green sich als Schatzmeister-Beauftragte zum ersten Mal zum Geheimagenten an den Tisch setzt, erlebt die Bondgeschichte eine absolute Premiere: Es kommt zu einem Dialog, bei dem doch tatsächlich mehr passiert als der bloße Austausch von flotten Formulierungen. Unversehens beginnt man, so etwas wie die psychologische Entwicklung der Bondfigur nachzuvollziehen - ein Akt, der sich für den Zuschauer recht fremd anfühlt, ist er es doch gewöhnt, dass im Zweifelsfall eine Tank-Explosion die Logik der Handlung ersetzt. Leider funktioniert das mit der psychologischen Motivation nicht bei allen Figuren gleich gut. Einzig Mads Mikkelsen darf als zentraler Bösewicht ebenfalls vom Schema abweichen und muss nicht den "alten Traum der Weltherrschaft" verfolgen, sondern gibt einen Terroristenbanker, den eine Aktienmisskalkulation in Nöte bringt. Der Rest der Nebenfiguren, deren Besetzung zwar ein feines Gespür fürs europäische Kino bezeugt, findet sich wie eh und je aufs Karikaturenformat reduziert. Was wiederum zur Folge hat, dass die beiden zentralen Gestalten in ihrer emotionalen Dreidimensionalität auch ein bisschen wie Kinder wirken, die in einer Pappmache-Welt vergessen wurden.
Zwei Dinge gibt es, auf die die Bond-Fetischisten in Casino Royal sehr lange warten müssen: Das eine ist die legendäre Musik, die doch tatsächlich erst mit dem Abspann einsetzt, und das andere ist die Wortfolge, mit der sich die Figur präsentiert: "Bond-James-Bond". Das eine hängt mit dem anderen zusammen. In Casino Royal nämlich muss sich Bond nicht nur die Doppelnull noch verdienen, er wird überhaupt erst zu dem "Bond", wie wir ihn kennen: geschüttelt und nicht gerührt, Sie wissen schon. Daniel Craigs Bond ist es noch egal, wie man ihm den Martini reicht. Als er in der letzten Szene endlich zur althergebrachten Formel "Bond. James Bond" samt Sarkasmus findet, wird dem Zuschauer auf einmal bewusst, warum ihm der Film bis dahin so neu, frisch und spannend vorkam: Was er gesehen hat, war im strengen Sinne noch gar kein Bondfilm.
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