„Warum seid ihr hier?“, fragt Hannah Gadsby in ihrem neuen Comedy-Special mit dem Titel Douglas das Publikum gleich zu Beginn. Einerseits ist die Frage natürlich eine rein rhetorische, darauf aus, das Publikum ein bisschen aus der Reserve zu locken, indem man ihm die Möglichkeit gibt, über sich selbst zu lachen, und es gleichzeitig in jene konfrontativ-prekäre Stimmung versetzt, in der Humor besonders gedeiht. Andererseits aber ist die Frage nicht unberechtigt: Zu ihrer jetzigen Berühmtheit gelangte Gadsby schließlich durch ein Comedy-Programm, das einen Abschied vom Genre Stand-up markieren wollte, weil die 42-jährige Australierin darin von den Traumata in ihrem Leben, vom schwierigen Aufwachsen als Lesbe im starr konservativen Tasmanien, von Ausgrenzungs- und Gewalterfahrungen erzählte – und zwar ohne diese in witzige Anekdoten zu verwandeln. Was in der Strenge vielleicht nicht ganz stimmt, denn Gadsbys trockene Erzählweise verleiht auch noch den traumatischsten Erfahrungen jene Spitze, die reflexhaft zum Auflachen reizt. Gleichzeitig aber dekonstruierte Gadsby in Nanette vor Publikum den herkömmlichen Aufbau einer Comedy-Nummer mit dem Dreischritt aus „Erwartung setzen“, „Erwartung enttäuschen“ und der „punchline“. Sie legte dabei bloß, wie wichtig im modernen Stand-up-Humor der Moment des Selbstverächtlichen ist – um dann dagegenzusetzen, dass die Methode eben nicht mehr taugt, wenn dieses „Selbst“ einer von der Gesamtgesellschaft bereits verächtlich behandelten Minderheit angehört. Die spritzige Selbstverächtlichkeit wirkt alles andere als positiv auf die Selbstachtung der Comedienne zurück.
Warum also nun ein Comedy-Special nach dem Abschied von der Comedy? Indem Gadsby zu Beginn von Douglas die Frage nicht an sich, sondern ans Publikum richtet, vollbringt sie ein weiteres Mal das Kunststück, zugleich im Genre zu bleiben und es von außen zu betrachten. Schließlich bezeugen die ausverkauften Ränge der Douglas-Tour, dass das Publikum offenbar nicht genug kriegen kann vom Trauma. Wenn sie geahnt hätte, wie populär das Thema Trauma sein würde, hätte sie nicht gleich alles in Nanette verfeuert, sondern sich den Stoff mindestens für eine Trilogie eingeteilt, bekennt Gadsby also zum Auftakt. Man müsse aber Nanette nicht gesehen haben, um Douglas zu verstehen – so selbstbewusst sei sie dann doch nicht. Dem hellhörigen Zuschauer wird der selbstverächtliche Unterton dieser Bemerkungen auffallen: Er weist auf ein Paradox hin. Tatsächlich nämlich präsentiert sich Gadsby in Douglas mit einer Selbstsicherheit, die solche Sätze Lügen straft.
Der lange Weg zur Pointe
Nichts bezeugt das besser als die lange Einleitung, die Gadsby unter dem Mantel der Bescheidenheit dem eigentlichen Show-Beginn voranstellt. Angeblich um die Erwartungen des Publikums an das Programm von Beginn an in die richtigen Bahnen zu lenken, gibt Gadsby einen Abriss dessen, was folgen wird. Und zwar ganz unverschlüsselt: Sie werde mit ein bisschen „observational comedy“ beginnen – „Sie wissen schon: ,Ist Ihnen schon mal aufgefallen ...‘“. Niemand solle hier etwas Besonderes erwarten, ihr falle nämlich selten etwas auf. Außerdem gibt sie zu, dass es dabei hauptsächlich um Amerikaner und Amerikanisches gehen werde, denn das sei von ihrem Standpunkt aus immer noch ein „punching up“, also ein Sich-lustig-Machen über den Stärkeren, auch wenn sich dieses Fenster zunehmend schließe.
Und weiter geht es mit diesem nur scheinbar kontraproduktiven Vorhaben, das Publikum wissen zu lassen, was es im Rest des Programms zu erwarten habe. Sie werde im Anschluss an die „observational comedy“ eine Geschichte erzählen, in der sie auf zunächst sehr sanfte Weise gegen das Patriarchat stänkern werde, und dann noch eine zweite Geschichte, in der sie der grassierenden Mysogynie alle Schuld geben werde. Für danach kündigt sie ein bisschen „hate-baiting“ an, fordert die Anwesenden aber gleich dazu auf, nicht anzubeißen. Wer sich von den dann folgenden Jokes beleidigt oder angegriffen fühle, solle sich gefälligst an die goldene Comedy-Regel erinnern: Die in der Minderheit sind, zählen nicht.
Als gäbe es keine Spoilergebote, kündigt Gadsby in ihrer Vorab-Synopsis sogar drei inhaltliche Höhepunkte ihres Programms an: Sie werde davon erzählen, dass bei ihr vor nicht allzu langer Zeit Autismus diagnostiziert wurde, sie werde „einen wirklich guten Witz“ über Louis C. K. anbringen, und sie werde zuletzt noch eine Geschichte erzählen, die sie selbst als absolut liebenswert und anbetungswürdig zeige. Warum sie mit letzterer Geschichte nicht gleich einsteige? Nun, den Autisten diiser Welt falle es eben stets besonders schwer, gleich auf Anhieb einen guten Eindruck zu machen ... Und dann beginnt erst das Programm – es kommt alles wie angekündigt und ist paradoxerweise genau deshalb noch mal viel besser.
So gibt es mindestens zwei Ebenen, auf denen man Gadsbys knapp einstündiges Programm genießen kann: Da ist dieser meisterhafte, vor Selbstbewusstsein geradezu strotzende Umgang mit der Metaebene, mit der Gadsby gängige Stand-up-Traditionen und -Techniken dekonstruiert. Gerade die vorgebliche Arglosigkeit dabei – nach dem Motto: Ich erzähl euch einfach, wie es funktioniert – entfaltet im Akt der Entzauberung eine eigene Wirksamkeit: Man begreift als Zuschauer, dass es gar nicht so leicht ist, an den „richtigen“ Stellen zu lachen – und nicht an den „falschen“. Nicht immer hat man die Weisheit und Gelassenheit, das eine vom andern unterscheiden zu können.
Wie schon in Nanette aber bilden Gadsbys idiosynkratische Anmerkungen zur Kunstgeschichte inhaltlich die wahren Glanzlichter einer Show, die viel weniger politisch ist, als sie gehandelt wird. Etwa wenn sich Gadsby über die „unkorrekte“ Namensgebung der „Teenage Mutant Ninja Turtles“ ereifert oder dem im Wortsinn unglaublichen Hintergrund der Heiligsprechung des heiligen Bernhard nachgeht: Wurde Letzterer tatsächlich dafür gesegnet, dass er träumte, ihn bespritze die Madonna mit Brustmilch? Heiligsprechung eines „wet dream“ also?
Der Joke über den wegen Masturbierens vor Kolleginnen in Ungnade gefallenen Komikerkollegen Louis C. K. übrigens kommt wie angekündigt völlig überraschend – und ist dann wirklich gut.
Info
Douglas Hannah Gadsby Australien 2020; 72 Minuten; Netflix
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