Seine Filme seien doch eher durchschnittlich bis kläglich. Die meisten Menschen würden ihn für einen Intellektuellen halten, weil er eine Brille trage, und für einen Künstler, weil seine Filme kaum Geld einspielen. Die Wahrheit sei, dass das amerikanische Publikum seine Filme nie habe sehen wollen. Er habe es schon oft gesagt: Das einzige Hindernis zwischen ihm und wahrer Größe sei - er selbst. Mit diesen Sätzen präsentierte Woody Allen seinen neuesten Film Match Point vergangene Woche in den USA - und bewies damit, dass er das Handwerk des Stand-Up-Comedian noch immer genauso gut beherrscht wie das des Regisseurs. Kaum ein Komiker kann so schön Minderwertigkeitskomplexe und Größenwahn gegeneinander ausspielen. Es gelingt aber auch kaum einem Regisseur, mit seinem 35. Spielfilm noch einmal so beachtet zu werden.
Dabei schien über Woody Allen bereits alles gesagt. Vom Slapstick der frühen Filme über die Frivolitäten und den markanten Wortwitz der mittleren bis hin zur fast erhabenen Albernheit der letzten hatte Allen diversen Formen des Humors Referenz erwiesen und sich dabei im Spagat geübt, den von ihm so geliebten Großmeistern des ernsten Kinos Fellini, Antonioni und Bergman nachzueifern. Dass seine ehrerfüllten Hommagen an letztere für das heutige Auge köstliche und entlarvende Parodien darstellen, ist einer der "Ironien", die Allens Werk wie eine Obsession durchziehen. Wie beste Absichten in ihr Gegenteil umschlagen, Menschen, die sich heiß bemühen, sinnlos scheitern, und solche, die skrupellos ihre Ziele verfolgen, unverdient mit Anerkennung überhäuft werden, dafür hat sich Allen immer interessiert.
So steht auch die These, dass winzige Zufälle und Kräfte, auf die der Mensch keinen Einfluss hat, über Glück und Unglück entscheiden, am Ausgangspunkt des neuen Films: Ein Tennisball trifft die Oberkante des Netzes - auf welcher Seite er landen wird, bleibt ungewiss. Die eigentliche Probe aufs Exempel stellt später im Film ein Ring dar, den ein Mörder in den Fluss werfen will, weil er dem Opfer gehört. Der Ring landet aber nicht im Wasser. Das Schöne an Match Point ist nun, dass der Zuschauer an dieser Stelle schon zu wissen glaubt, wie alles endet wird. Aber dem ist nicht so.
Statt im vertrauten Manhattan-Milieu spielt Match Point in "Boomtown" London und statt des pointierten, gag-reichen New Yorker Intellektuellengeredes herrscht der indirektere britische Tonfall vor. Wer hätte gedacht, dass ein Woody Allen-Film hier so gut funktioniert? Der Umzug in die Fremde sorgt für die Durchbrechung der gewohnten, automatisierten Wahrnehmung und lässt Allens versierten Blick auf gesellschaftliche Hierarchien und Beziehungsdynamiken wie neu erscheinen.
Chris (Jonathan Rhys-Meyers), ein ehemaligen Tennisprofi versucht als Tennislehrer sein Auskommen zu finden. Er ist ein männliches Pendant zu jener Rebecca Sharp aus Thackerays Vanity Fair, die mit viel Charme und Intelligenz den Nachteil der sozialen Herkunft wettmachen will. Wie bei Rebecca besteht Chris´ große Begabung in seiner chamäleonhaften Anpassungsfähigkeit: Er kann sich überall beliebt machen. Aber anders als zu Rebeccas Zeiten begegnet ihm die heutige Londoner High Society mit offenen Armen und einer ans Nervige grenzenden Bereitwilligkeit, ihm, der es doch verdient zu haben scheint, nach oben zu helfen.
Chris erteilt Tom, dem Spross einer wohlhabenden, alteingesessenen britischen Familie, Lektionen und freundet sich mit ihm an. Bald macht der ihn mit seiner Schwester bekannt und man geht miteinander aus, zunächst zu viert, dann als Paar. Die Verlobung ergibt sich wie von selbst, genauso wie der Vater der Braut Chris ohne viel Aufhebens einen geeigneten Job verschafft, kurz: es könnte nicht besser laufen. Nun ist Chris fleißig und kein Betrüger, der Fähigkeiten nur simuliert. Aber als er die Amerikanerin Nola (Scarlett Johansson) trifft, gerät sein unaufhaltsamer sozialer Aufstieg ins Stocken: der Tennislehrer und die erfolglose Schauspielerin, sie teilen das Gefühl der unsichtbaren Demütigung, die mit der modernen Toleranz der High Society einhergeht. Ihre heimliche Affäre hat viele Facetten: Sie verstehen sich gut, weil sie sich gegenseitig durchschauen; sie fühlen sich zueinander hingezogen, weil sie sich voreinander nicht verstellen müssen. Sie sind sich ebenbürtig - und ein bisschen rächen sie sich an jenen, die sie mit einer Großzügigkeit behandeln, die für beide auch etwas Herabsetzendes hat.
Allen zeigt das in atmosphärischen Bildern mit parodistischen Anklängen, wenn er die beiden sich in verregneter Landschaft einander hingeben lässt. Und in diesem Anklang an romantische Liebesideale steckt wieder ein gehöriges Maß an Ironie: Während die "Reichen" heutzutage ganz freiwillig auf den Luxus der Leidenschaft verzichten, stellt sie für die Aufsteiger eine Verführung dar, der nachzugeben sie sich nicht leisten können.
Das ist zugleich Stoff für eine Tragödie und für eine Farce, Allen vermeidet da jede Festlegung. Die Affäre wird Chris schnell zur Last und es gehört zu den Kunststücken, die der Film vollbringt, dass der Zuschauer Chris´ Taten auf der Suche nach einem Ausweg ohne übertriebene Sympathie, aber immer mit Verständnis begleitet. Und das über den Punkt der "moralischen" Rechtfertigung hinaus.
Mit Match Point schließt Woody Allen direkt an eines seiner Meisterwerke aus den späten achtziger Jahren an: In Verbrechen und andere Kleinigkeiten zog er schon einmal die Gerechtigkeit des Lebens in Zweifel, indem er "unverdientes" Glück gegen noch viel unverdienteres Unglück ausspielte. Aber Allen ist kein Fatalist. Und mit fatalistisch wäre auch die Grundstimmung in Match Point falsch beschrieben. Im Gegenteil: Man verlässt den Film eher frohgemut. Denn im Gedanken, dass Glück sich nicht verdienen lässt, liegt auch eine Utopie: Die Befreiung aus den Leistungszwängen, in denen kleine Sünden sofort und große mit langen Qualen bestraft werden.
Dabei lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Die Frage nach den Winzigkeiten des Zufalls, der einen Tennisball auf der einen oder anderen Seite des Netzes landen lässt, entlarvt der Film letztlich als Popanz. Nicht rechts oder links entscheidet über das Schicksal, sondern die Geschichte, die drum herum erzählt wird.
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