Zen der Filmfreaks

Kill Bill Vol. 2 Quentin Tarantinos Spiel mit Gewalt, Rachegelüsten und den vergessen geglaubten Szenen jener Filme, die man vielleicht mal geliebt, aber unterschätzt hat

Es kommt, wie angekündigt: Bill wird gekillt. Insofern passiert in Quentin Tarantinos Kill Bill Vol. 2 nichts wirklich Unerwartetes. Aber im Kino ist das oft so: Spannend ist nicht die eigentliche Handlung, sondern das, was dazwischen passiert. Und bei Tarantino gibt es von diesem Dazwischen immer besonders viel. Was aus Kill Bill einen besonders fesselnden Film macht.

Um die Handlung dementsprechend kurz zusammen zu fassen: Uma Thurman als Braut setzt ihren Rachefeldzug fort. Drei der fünf Mitglieder jenes "Deadly Viper Assassination Squad", zu dem sie einst selbst gehörte, sind noch übrig, nachdem sie mit den beiden anderen bereits in Vol. 1 abgerechnet hat. Was dort in schwarz-weißen, fragmenthaften Ausschnitten nur angedeutet wurde, wird nun in einer Art 12 Uhr Mittags-Sequenz nachgetragen: Schwanger von Bill hatte die Braut das Berufskillertum aufgegeben, um einen Secondhand-Plattenladen-Verkäufer zu heiraten - das Kind sollte schließlich in Frieden aufwachsen. Doch noch während der Vorbesprechung zur Hochzeitszeremonie dringen Bill und seine Komplizen in die Kirche ein und töten die gesamte Hochzeitsgesellschaft. Die Braut selbst erwacht erst vier Jahre später aus dem Koma. Und bis kurz vor der Vollendung ihres Rache-Vorhabens weiß sie nicht, dass ihr damals noch ungeborenes Kind inzwischen bei Bill und am Leben ist.

Schon beim Versuch der möglichst knappen Nacherzählung geraten sie einem dazwischen: diese ganzen kuriosen Details (ein Secondhand-Plattenverkäufer!), Abwege, bedeutungsvollen Andeutungen und Pseudo-Geheimnisse, mit denen Tarantino seinen Film anreichert.

Ein lautes Piepen hatte im ersten Teil die Stellen übertönt, an denen der "richtige" Name der Braut fällt; im zweiten Teil spricht ihn Bill alias David Carradine einfach irgendwann aus: "Beatrix Kiddo" - und man kann eigentlich kaum glauben, dass dann nichts weiter passiert. Aber die Raffinesse Tarantinos besteht unter anderem auch darin, noch das Ausbleiben einer erwarteten Handlung als spannungssteigerndes Element einzusetzen.

Da gibt es die Rückblenden auf den weißbärtigen Kung Fu-Lehrer Pai Mei, dessen Markenzeichen darin besteht, sich den bauchnabellangen Spitzbart mit hämischen Grinsen über die Schulter zu werfen, während die Kamera mit einem Sprung auf ihn einzoomt. Er ist es auch, der die Braut die "five-point-exploding-heart-technique" gelehrt hat, und man ahnt bei der ersten Erwähnung dieses tödlichen Tricks schon, dass es Bill sein wird, der so sein Ende nimmt: An fünf Punkten berührt, vermag das Opfer genau noch fünf Schritte zu gehen, bevor ihm das Herz in der Brust explodiert... Von den verschiedenen Todes- und Verstümmelungsarten, die die Braut auf ihrem Rachefeldzug einsetzt, ist das zweifellos die elaborierteste - und gleichzeitig romantischste. Und die Kombination einander so widerstrebender Eigenschaften wie elaboriert und romantisch macht sozusagen den Geschmack, den Geruch, das Gefühl dieses Filmes aus. Selten ist man im Kino so sehr mit den Sinnen dabei wie hier.

Letzteres über einen Film voll inszenierter Gewaltakte zu sagen, mag Vielen unpassend erscheinen. Als im Oktober vergangenen Jahres Kill Bill Vol. 1 in die Kinos kam, sprachen Einige vom blutigsten Film der Filmgeschichte. Nach Mel Gibsons Passion scheinen sich die Maßstäbe verschoben zu haben. Über Vol. 2 wurden bislang keine Klagen laut: obwohl weniger "blutig" als der erste Teil, ist der zweite doch keinesfalls weniger grausam. Jedoch gehorcht der Umgang mit der Grausamkeit bei Tarantino fest den Regeln der Genres, denen er mit seinem Film Referenz erweist. Ob Spaghetti-Western oder Samurai-Film hält man sich da an eine weder ethisch noch moralisch, sondern rein cineastisch begründete Gerechtigkeitsökonomie, die dafür sorgt, dass die Gedemütigten und Schwachen über kurz oder lang zu ihrem Recht, beziehungsweise ihrer Szene kommen - selbst wenn sie zu den Bösen gehören.

Auch ist die Gewalt - genau so wenig wie der betont vorhersehbare Plot - bei weitem nicht der einzige markante und fesselnde Zug der Kill Bill-Filme. Hinzu kommen die Dialoge, die, wie oft bei Tarantino, in einer ungewöhnlich genuinen Filmsprache geschrieben sind: Was sich die Figuren gegenseitig in die Gesichter sagen, oft mit nachdrücklicher Langsamkeit, hallt so sehr von Anspielungen wieder, dass jeder Satz einer Sinfonie gleicht.

Aber nicht nur die Dialoge, jede Kamerafahrt und -Einstellung, viele Gesten und Rollenbesetzungen verweisen hier auf anderes, meist auf das "mindere" Material der Filmgeschichte, dessen legendäre Kenntnis Tarantino durch seine Herkunft aus dem Stand der Videotheksangestellten seiner Biographie eingeschrieben hat. Das Schöne ist, dass Tarantino sich ganz dem Material gemäß verhält, und eben keine ausgefeilten Strukturen von Intertextualität herstellt, denen der gebildete Interpret pflichtschuldigst nachzugehen hätte. Beide Kill Bill-Filme bilden vielmehr ein wildes Gestrüpp aus Hommage, Parodie und glühender Sammelleidenschaft. Mit ihnen betritt man eines jener Jungs- oder auch Mädchenzimmer, in denen jeder abgelegte Gegenstand mit Bedeutung und Intensität aufgeladen ist, im Glauben, mit ihnen die zugeordneten Gefühle bewahren zu können. Tatsächlich gelingt es Tarantino mit den stärksten Szenen von Kill Bill, egal ob Vol. 1 oder 2, den Zuschauer in jene Zeit zurück zu versetzen, als er noch so beeindruckbar war, dass sich einzelne Filmszenen, ein Schieß-Duell in der Wüste etwa, wie unauslöschlich ins Gedächtnis gruben.


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