Ziel ist Empörung

Im Kino Michael Winterbottom "The Road to Guantanamo" schildert das Schicksal dreier junger Briten, die aus Afghanistan nach Guantanamo verschleppt wurden

Die Geschichte, die Michael Winterbottom in The Road to Guantanamo erzählt, ist weder neu noch unbekannt. Das macht seinen Film sehr vorhersehbar. Wer dazu noch In this World gesehen hat, mit dem er 2002 den Goldenen Bären auf der Berlinale gewann, - der glaubt sich womöglich mit einer Inhaltsangabe im Grunde schon bestens bedient. Den Rest, die filmische Umsetzung, kann man sich schließlich denken, gibt es doch genug "Dokufiction" allüberall und auch über die Haltung, die Winterbottom mit seinem Werk einnimmt, muss man keinerlei Zweifel hegen. Das Einzige, mit dem man nicht rechnet, gerade weil man alles für vorhersehbar hält, ist die Wirkung, die der Film bei einem als Zuschauer auslöst. Voller Empörung über das geschilderte Unrecht verlässt man das Kino und denkt sich deshalb: Das kann dann doch kein so schlechter Film gewesen sein.

Road to Guantanamo handelt von drei unschuldig im amerikanischen Gefangenenlager auf Kuba festgehaltenen Briten. Deren "Weg nach Guantanamo" geht so: Asif sollte heiraten, sein Vater hatte ihm in Pakistan eine Braut ausgesucht. Vom heimatlichen Tipton bei Birmingham in England machte er sich nach Karatschi auf. Drei Kumpels sind ihm nachgefahren. Soweit, so unauffällig. Das Besondere an dieser Geschichte ist der Zeitpunkt: Ende September/Anfang Oktober 2001. Von Pakistan aus planen die Freunde einen Ausflug nach Afghanistan, "um zu sehen, wie es dort ist". Sie wollen helfen, sagen sie. Auf teilweise abenteuerliche Weise gelangen sie nach Kandahar und Kabul und werden alsbald vom Krieg überrascht. Ihren Freund Monir verlieren sie bei der Evakuierung aus einer bombardierten Stadt für immer aus den Augen. Von den Evakuierungslastern herunter werden sie von Truppen der Nordallianz festgenommen, nach einiger Zeit den Amis übergeben und von denen schließlich nach Guantanamo verschleppt. Von dort kehren sie erst nach über zwei Jahren wieder zurück; frei von jeder Anklage, wie es so schön heißt.

Ganz im herkömmlichen CNN-Fernseh-Dokumentationsstil beginnt Winterbottom mit Archivmaterial - Bush sagt: "These are bad people" - und nimmt dann Interview-Passagen mit den "Tripton Three", Ruhel Ahmed, Asif Iqbal und Shafiq Rasul, und illustriert das, was sie erzählen und was sich daraus ergibt, durch Nachstellen, sogenanntes "Reenactment". Die nachgestellten Szenen, in denen verwirrenderweise Darsteller für Asif und seine Freunde einstehen, imitieren einheitlich das atemlose Nachrichten-Feature: fahrige Kamera, schnelle Schnitte mit unpassenden Anschlüssen, schlechte Ausleuchtung. Man sieht, wovon man schon gehört hat: nackte Männer mit Säcken auf den Köpfen, die sogenannten "Hundezwinger" auf Guantanamo, die orangefarbige Gefangenkleidung, und die schlimmen Verhörmethoden. Bis auf die Irritation darüber, dass es sich bei Interviews und nachgestellten Szenen nicht um dieselben Gesichter handelt und man deshalb bis zum Schluss die Darsteller nur schwer den Originalen zuordnen kann, funktioniert die Einbindung von Statements und Reenactment nahtlos: Der Film überzeugt einen vollständig davon, dass es sich beim Geschilderten um Fakten handelt. Und wie gesagt, dementsprechend empört verlässt man das Kino.

Da der Film damit sein Ziel so effektiv erreicht, möchte man ihm gar nichts vorwerfen. Trotzdem lohnt es sich, darüber nachzudenken, was Michael Winterbottom hier macht, wobei es richtig interessant wird, wenn man sich klar macht, was er eben nicht macht: Die vollendete Nachahmung des Nachrichtenstils unterbindet nämlich jede Subjektivität. Und die wäre ein entscheidendes Element, um einen Zugang zu dem Geschehen und den drei jungen Männern zu finden, der über die Empörung über das Unrecht hinaus geht. An keiner Stelle sagen die Jungs etwas darüber, was sie empfunden haben, sei es während ihres Ausflugs nach Afghanistan oder in der langen Zeit in Guantanamo, sehr selten taucht in ihren Statements die Schilderung eines Gefühls geschweige denn eines Motivs auf. Jede Art des Nachdenkens oder der retrospektiven Reflektion ist aus den Interviews ausgeschlossen - wenn sie denn je da waren. Zuerst war es schlimm, dann wurde es besser, sagt einer einmal über seine Zeit im Lager. Diese Zurückhaltung bewirkt, dass man umso aufmerksamer den Unterton wachsender Verachtung wahrnimmt, der sich bei ihnen im Fortgang der Ereignisse einschleicht. Was die drei von der Politik der USA halten, muss man sie wohl nicht erst fragen. Sie länger und ausführlicher reden zu hören, wäre trotzdem interessanter als sämtliche schmissig nachgestellten Szenen von Krieg, Gefangenschaft und Folter.

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