Ein weißer und ein schwarzer Mann werden Freunde, während sie gemeinsam in einem Auto durch die USA fahren. Geschmückt mit dem begehrten Etikett „basiert auf einer wahren Geschichte“, besetzt mit zwei charismatischen Stars wie Viggo Mortensen (Herr der Ringe) und Mahershala Ali (Moonlight), einem 1962er Cadillac Sedan DeVille in der dritten Hauptrolle und dem visuellen Flair der Sixties-Retro-Optik: Da müsste schon einiges schiefgehen, wenn keine Oscar-Nominierung herausspringt. So zumindest mögen es sich die Macher von Green Book gedacht haben. Und sie haben recht behalten – Green Book wurde vergangene Woche in fünf der „zentralen“ Kategorien berücksichtigt, bester Film, bester Hauptdarsteller, bester Nebendarsteller, bester
steller, bester Nebendarsteller, bester Schnitt und bestes Originaldrehbuch. Womit die Macher nicht gerechnet haben, ist, dass ausgerechnet ihr gut gemeinter Film zum zentralen „Bösewicht“ des diesjährigen Oscar-Rennens mutiert, zu einem Film, der mit jedem Preis, den er gewinnt, die Empörungswogen in den sozialen Medien höherschlagen lässt. Bei seiner Premiere in Toronto im September noch als Publikumsliebling geehrt, wurde aus Green Book mittels Wellen von Twitter-Kommentaren ein paradigmatisches Beispiel für jene schwer fassbare, aber dafür umso aktuellere Kategorie des „problematischen Films“.Der weiße RetterGreen Book erzählt die Geschichte des italo-amerikanischen Türstehers Tony „Lip“ Vallelonga, den der afroamerikanische Piano-Virtuose Dr. Don Shirley als Fahrer für eine Tour durch den Süden der USA engagiert. Es ist ein heikles Unterfangen, man schreibt Anfang der 1960er Jahre und in den Südstaaten herrscht „Rassentrennung“. Ein schwarzer Reisender muss sich sehr genau erkundigen, wo ihm Kost und Logis gewährt werden, wozu das titelgebende Negro Motorist Green Book wertvolle Dienste leistet. Tony und Don sind aber nicht nur in ihrer Hautfarbe ein Paar der Gegensätze. So wie Viggo Mortensen und Mahershala Ali ihre jeweiligen Rollen ausfüllen, stehen sich auch ein Prolet und ein Ästhet gegenüber: ein ungebildeter, ungehobelter Klotz und ein arroganter, auf Manieren bedachter Akademiker. Der Road-Trip, wie könnte es anders sein, führt zu manchem Konflikt, aber letzten Endes natürlich zum Beginn einer großen Freundschaft. So zumindest hat es der „echte“ Tony Vallelonga seinem Sohn Nick erzählt, der nun am Drehbuch von Green Book mitschrieb. Tony und Don starben beide 2013.Obwohl der Film auf einer wahren Geschichte basiert, kommt Green Book in vollendeter Hollywood-Glätte als durchkalkuliertes Feelgoodmovie daher: Auch wenn Tony zu Beginn noch die Wassergläser in den Müll wirft, aus denen in seinem Haus zwei schwarze Handwerker getrunken haben, zweifelt man nie daran, dass er sein Herz eigentlich am rechten Fleck hat, schließlich wird er von Viggo Mortensen verkörpert. Ähnlich vorhersehbar entpuppt sich die Arroganz von Don als Selbstschutz in einer Welt, in der er als erfolgreicher schwarzer Künstler einer Elitekultur zwischen allen Stühlen sitzt. Konfrontiert mit dem Unrecht des Südstaaten-Rassismus, wandelt sich Tony vom „habituellen Rassisten“, der es immer nicht so meint, zum Antirassisten. Der steife Don dagegen lernt vom ungehobelten, aber „freieren“ Tony, wie gut Kentucky Fried Chicken aus dem Pappkarton schmeckt und Aretha Franklin und Chuck Berry im Autoradio klingen. Die Botschaft des Films ist so plump wie mustergültig: Lasst uns zusammenrücken und gegenseitig verstehen.Placeholder image-1Nun merkt man Green Book ab der ersten Einstellung an, dass der Film nicht mit dem Ehrgeiz gemacht wurde, sich als ästhetisches Ausnahmewerk in die Kunstgeschichte einzuschreiben. Regie führte schließlich mit Peter Farrelly ein Mann, der mit seinem Bruder Bobby für Komödienklassiker wie Dumm und Dümmer und Verrückt nach Mary verantwortlich ist. Zu anderen Zeiten hätte man Green Book als Unterhaltungskino durchgewinkt, dessen sozialkritischer Anspruch durch seine Produktionsbedingungen – Hollywood! – notwendig limitiert ist. Heute aber, in Zeiten der Hashtags #oscarssowhite und #metoo, gelten, wie soll man sagen, strengere Maßstäbe. Mehr und mehr wird von der Popkultur eingefordert, sie solle das fortschrittliche Ideal von Diversität, Emanzipation und Toleranz nicht nur vor sich hertragen, sondern verkörpern – als Produkt und in dessen Produktion. Nicht dass dagegen was zu sagen wäre.Es sind aber gerade die wohlmeinenden Intentionen, die offenbar den Ärger der selbst ernannten Hüter der „Wokeness“, des fortschrittlichen Ideals, auf den Plan rufen. Green Book sei gerade wegen seiner guten Absichten ein vielleicht zu seichter Film, der vertraute emotionale Knöpfe drückt, ohne seinen Figuren echte Komplexität zu verleihen. Interessant dabei ist, dass die Kritik oft Thesen anführt, die früher als rein akademisch gegolten hätten, als Ergebnisse aufwendiger textanalytischer Operationen, die dem einfachen Konsumenten wegen Intellektualität nicht zugemutet wurden. Auf „woke twitter“ aber sind sie heutzutage gewissermaßen Standard. Green Book bediene althergebrachte „White Savior“-Motive, heißt es da, wieder einmal werde vom amerikanischen Rassismus durch die Augen eines Weißen erzählt, der dem Schwarzen helfend die Hand reiche. Tatsächlich ist das vielleicht die größte Schwäche des Films: seine Perspektive, die den biederen Italo-Amerikaner ins Zentrum stellt und nicht die viel spannendere Figur des schwarzen Künstlers, der mit aristokratischer Arroganz versucht, in einer rassistischen Gesellschaft zu bestehen.Die Erzählperspektive ist jedoch längst nicht alles. Großes Missfallen und den Vorwurf unlauterer „kultureller Appropriation“ erregten besonders die Szenen, in denen der ungehobelte Tony den Ästheten Don über „dessen“ Populärkultur aufklärt, die Freuden von Kentucky Fried Chicken, der „Südstaaten-Spezialität“, der die Tradition der Sklaverei quasi eingeschrieben ist, und der Musik von Chuck Berry und Aretha Franklin. Dass der echte Don Shirley die Stimmen der Letzteren nicht gekannt haben soll, wie es der Film darstellt, kann durchaus als Geschichtsverzerrung empfunden werden. Wie überhaupt die Mehrheit der Einwände zum Film auf schlüssige Kritikpunkte hinausläuft, die allerdings das Vergnügen des Zuschauers an gut agierenden Schauspielern und einem Drehbuch mit smarten Dialogen nicht unbedingt schmälern.Viggo, nicht das N-Wort!Vielleicht gerade deswegen bekamen im Streit über Green Book jene Vorwürfe Gewicht, die weniger damit zu tun haben, was auf der Leinwand zu sehen ist. Da musste sich Viggo Mortensen, nach Hollywood-Gesichtspunkten ein radikaler Linker, dafür entschuldigen, bei einem Auftritt zum Film das N-Wort ausgesprochen zu haben. Da meldeten sich überlebende Familienangehörige von Don Shirley und beklagten, von niemandem konsultiert worden zu sein, weshalb der Film alles falsch darstelle, Shirley habe Vallelonga nie als Freund betrachtet. Und dann, die „awards season“ mit ihren Gilde-Preisen kam gerade in Fahrt, wurde ein jahrealter antimuslimischer Tweet von Drehbuchautor Nick Vallelonga ausgegraben und Regisseur Peter Farrelly als jemand geoutet, der sich auf seinen Filmsets in den 90er Jahren gerne mal „zum Scherz“ entblößt habe. So wurde aus einem seichten schließlich ein „problematischer“ Film, ein Werk gleichsam mit Beipackzettel, in dem allerlei Fehlverhalten vor und hinter der Kamera protokolliert wird mit Spezial-Disclaimer darüber, ob ein „bad man“ involviert ist.Nun ist Green Book nicht der einzige „Bösewicht“ des diesjährigen Oscar-Rennens. Auch zu Bohemian Rhapsody, der besonders auch in Deutschland ein großer Kassenerfolg ist, gibt es einen solchen „Beipackzettel“ (in dem, unter anderem, der sich als tolerant gebende Film als unterschwellig homophob geoutet wird). Statt diese Kontroversen nun als „virtue signaling“, als Zurschaustellung der eigenen Tugendhaftigkeit des Twitter-Mobs abzutun, bringt es mehr, das Ganze als ein Übergangsphänomen zu betrachten, an dem sich ein hochspannender Transformationsprozess der Geschmäcker beobachten lässt. Nicht nur die aktuellen, auch die älteren Filme erfahren gegenwärtig eine Revision, der alte Lieblinge plötzlich nicht mehr standhalten. Jeder kann es an sich selbst ausprobieren: Indiana Jones zum Beispiel geht gar nicht mehr.
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